Vor einem Jahr erschien die „Pillenkick“-Recherche zum Schmerzmittelmissbrauch im Fußball. Die Reaktionen im vergangenen Sommer: Wenig Überraschung, trotzdem Erschrecken. Was hat sich seitdem getan?
Er war der Held des Abends: Lukas Nmecha. Sein 1:0 am Sonntagabend gegen die Niederlande bedeutete die Europameisterschaft für die deutsche U21-Nationalmannschaft. Doch während Kommentator Uwe Morawe den Torschützen mit Lob überhäufte, gab sein Kollege René Adler dieses weiter an die medizinische Abteilung. Von Nmecha höre man, dass er seit Längerem an Adduktorenproblemen leide. Es sei schon fast eine Schambeinproblematik, gegen die er die eine oder andere Schmerztablette nehme. „Diese Physios, das muss man auch mal sagen: Sie haben es geschafft, ihn permanent durchs Turnier zu tragen, fit zu kriegen. Großes Kompliment an die deutsche medizinische Abteilung.“
Sprüche wie diesen hört man oft, sie sind bei Weitem nichts Neues. Weder die Glorifizierung der „harten Hunde“ im Profifußball, noch der übermäßige Konsum von Schmerzmitteln. Auf Pressekonferenzen oder in Interviews sind derlei Aussagen allgegenwärtig: „Andere hätten mit dieser Verletzung nicht mal trainiert“ (Markus Gisdol Anfang Februar über Marius Wolf, der mit einem doppelten Bänderriss spielte), „Er hat sich fitspritzen lassen, er kämpft sich da durch – man muss ihm dankbar sein, dass er sich zur Verfügung gestellt hat“ (Markus Anfang im Februar über Patrick Hermann), „Die Jungs haben einen guten Charakter und trainieren, auch wenn ihnen mal etwas wehtut“ (Adi Hütter im Februar über die Personallage bei Frankfurt).
Dabei kann eben jener „Charakter“ weitreichende Folgen haben. Vor einem Jahr veröffentlichten das Recherchezentrum Correctiv und die ARD-Dopingredaktion ihre Recherche zum Schmerzmittelmissbrauch im Fußball. Ein Jahr hatten sie sie das Thema untersucht, eine Umfrage aufgesetzt, an der 1142 Amateurfußballer*innen teilnahmen, mit über hundert Profifußballer*innen gesprochen. Viele erzählten von langfristigen Schäden, von verschleppten Verletzungen über Abhängigkeiten bis hin zum Herzstillstand.
„Da müssen wir unbedingt an unsere Landesverbände gehen und über die Trainer eine Sensibilisierung hinbekommen.“
Die Ergebnisse der Umfrage: Über die Hälfte der Teilnehmenden gab an, mehrmals pro Saison Schmerzmittel einzunehmen. Etwa vierzig Prozent wollten damit die Belastbarkeit erhöhen, „den Kopf frei haben“, die Leistung steigern. Von einem erhöhten Risiko für Herzprobleme durch die häufige Einnahme von Schmerzmitteln wusste nur knapp die Hälfte. Neven Subotic, der einzige aktive Bundesligaspieler, der sich öffentlich äußerte, sprach davon, dass Schmerztabletten „wie Smarties“ herumgereicht würden. Konfrontiert mit der Recherche kündigte der damalige DFB-Präsident Fritz Keller an, er würde sofort überprüfen lassen, ob der Deutsche Fußballbund die Thematik zu lange vernachlässigt hätte. „Ich bin etwas betroffen“, sagte er, „da müssen wir unbedingt an unsere Landesverbände gehen und über Trainer eine Sensibilisierung hinbekommen“. Ist das gelungen? Und was hat sich seitdem überhaupt getan?
„In einigen Bereichen hat der DFB gerade im Amateurbereich zumindest angefangen, Veränderungen anzugehen“, stellt Jonathan Sachse vorsichtig fest. Er und Arne Steinberg waren für Correctiv federführend an der Recherche beteiligt. Gemeinsam mit der ARD-Dopingredaktion, zu der Steinberg mittlerweile gewechselt ist, wollten sie die unvollständige Datenlage zum Umgang mit Schmerzmitteln im Fußball erfassen und die Aufklärung zum Thema beleuchten. Auf die Ergebnisse der Umfrage reagierten die beiden deutlich anders als Keller: „Eigentlich war das keine Überraschung“, sagt Steinberg, „wir haben das Thema auch nicht erfunden“. Trotzdem sei die Art und Weise, wie man Leute über Schmerzmittelmissbrauch aufkläre, erschütternd.