Die Ukraine ist im EM-Viertelfinale gegen England krasser Außenseiter. Angeführt wird sie von Oleksandr Zinchenko, der beim Champions-League-Finalisten Manchester City eine tragende Rolle spielt und über den dennoch kaum jemand spricht. Warum eigentlich?
Als sich die politische und militärische Situation in der Donbass-Region 2014 verschärft, schreibt Oleksandrs Mutter Irina einen Brief an Schachtar und informiert den Klub, dass die Familie die Region verlassen werde. Mutter, Stiefvater und Sohn fliehen, kommen in Moskau unter und wohnen fortan in einer 16 Quadratmeter kleinen Garage seines Onkels, in sicherer Distanz zu den politischen Unruhen.
Für Zinchenko zieht die Flucht aber sportliche Konsequenzen nach sich. Er trainiert kurz darauf bereits Rubin Kasan mit, doch es kommt kein Vertrag zustande, da Schachtar darauf pocht, dass das Arbeitsverhältnis in Donezk noch Bestand haben würde. Aus Angst vor einem Rechtsstreit zieht Kasan zurück und Zinchenko trainiert in der Folge auf den Bolzplätzen Moskaus, spielt hier und da bei Amateurklubs mit, um sich fitzuhalten. Er trainiert mitunter dreimal am Tag bei Wind und Wetter, oftmals allein, ohne absehen zu können, ob oder wann es auf Grund der verzwickten Rechtslage weitergehen könnte mit der Profikarriere. Zinchenko ist in dieser Zeit von der Bildfläche des Fußballs verschwunden, sein Talent droht in Vergessenheit zu geraten.
Rund ein halbes Jahr später unterschreibt er beim FK Ufa, einem kleinen Klub im Osten Russlands, fußballerisches Niemandsland, aber immerhin ein Neuanfang. Schachtar fordert rund 8000 Euro Entschädigung von Zinchenko und prangert vor dem CAS an, dass dessen Familie den Krieg als Vorwand genutzt habe, um den Klub nach den gescheiterten Gesprächen bezüglich einer Verlängerung verlassen zu können. Die Forderung nach einer viermonatigen Spielsperre lehnt der CAS ab.
Schnell spielt er sich in die Startelf des FK Ufa, mal als Verteidiger und mal im Mittelfeld, debütiert mit 19 Jahren für die A‑Nationalmannschaft der Ukraine und lernt nebenbei aus Eigenantrieb Englisch. Er nimmt Unterricht beim damaligen Mitspieler Emmanuel Frimpong. „Wir hatten vereinbart, dass er mich für die Stunden bezahlen würde, wenn er den Klub verlässt. Normalerweise nehme ich 2000 Euro pro Stunde, für ihn waren es nur 1000. Das Geld schuldet er mir noch“, erzählt Frimpong später sport24.ru. Es wirkt fast, als hätte Zinchenko geahnt, dass er die Sprachkenntnisse schon bald brauchen könnte. 2016 verpflichtet Manchester City den jungen Spieler für zwei Millionen Euro.