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Seite 4: Der letzte Startversuch

Zum Flug­ka­pitän war James Thain bestimmt worden, die wohl tra­gischste Figur unter allen Über­le­benden des Crashs. Trotz seiner erst 36 Jahre war er bereits Vor­sit­zender der bri­ti­schen Pilo­ten­ver­ei­ni­gung BALPA, ein Beleg für seine her­vor­ra­gende Qua­li­fi­ka­tion. Als Copilot hatte Thain seinen alten Freund Ken Ray­ment ange­for­dert, selbst Flug­ka­pitän, zudem älter und erfah­rener. Damals schrieben die Bestim­mungen der BEA vor, dass der Flug­ka­pitän immer den linken und der Copilot den rechten Sitz im Cockpit ein­nehmen müssen, die Vor­schriften der über­ge­ord­neten zivilen Luft­auf­sichts­be­hörde erlaubten jedoch einen Platz­tausch. Für die spä­teren Ermitt­lungen war dieser Wider­spruch in den Dienst­vor­schriften von zen­traler Bedeu­tung und für die BEA der ideale Ansatz­hebel, um Thain als grund­sätz­lich unzu­ver­lässig dar­zu­stellen. Denn Thain hatte sich mit Ray­ment intern dahin­ge­hend abge­spro­chen, dass er wäh­rend des Hin­flugs links sitzen werde, beim Rück­flug aber auf der rechten Seite, dem Platz des Copi­loten. Anders als man ihm später unter­stellen wollte, blieb Thain aber trotz des Platz­tauschs Kapitän, der das Sagen hatte.

Lan­dung ohne Pro­bleme

Wäh­rend des Rück­flugs ver­schlech­terte sich das Wetter kon­ti­nu­ier­lich. Für den Münchner Raum wurden 5000 Meter dicke Schnee­wolken gemeldet. Daher schal­tete Thain wäh­rend des Sink­flugs zur Zwi­schen­lan­dung die Ent­ei­sungs­an­lage ein, die heiße Luft über Trag­flä­chen und Heck blies. Trotz der schlechten Sicht­ver­hält­nisse gelang die Lan­dung um 13.10 Uhr ohne Pro­bleme. Die Pas­sa­giere ver­ließen die Maschine und begaben sich zu Fuß in die Lounge der Abfer­ti­gungs­halle, wo Erfri­schungen gereicht wurden. Um wegen des Schnee­falls, der mit jedem Moment hef­tiger wurde, schnellst­mög­lich wieder in die Luft zu kommen, wählte man die schnel­lere Methode über die oben­lie­genden Not­füll­stutzen, statt der sonst übli­chen Druck­be­tan­kung von unter­halb der Trag­flä­chen. Durch die kurze Dauer des Zwi­schen­stopps wurde gewähr­leistet, dass die Trag­flä­chen warm und eis­frei blieben. Aber auch weil beim Betanken ja meh­rere Männer von der Boden­crew auf die Trag­flä­chen gestiegen und darauf her­um­ge­laufen waren, ohne ins Rut­schen zu kommen, ver­zich­teten Thain und Ray­ment beim Start auf ein erneutes Ent­ei­sungs­ver­fahren. Schon allein des­halb war es völlig unver­ständ­lich, dass die deut­schen Unter­su­chungs­be­amten, als sie viele Stunden später an der Unglück­stelle ein­treffen, fast auto­ma­tisch von ver­eisten Trag­flä­chen als Ursache des Crashs aus­gingen. Geschah dies, um von Anfang an davon abzu­lenken, dass die Start­bahn nicht vom Schnee geräumt worden war? Damals galt eine Schnee­höhe von bis zu zwei Zen­ti­me­tern als unge­fähr­lich. Auf dem Roll­feld war ein Auto im Ein­satz, dessen Fahrer in regel­mä­ßigen Abstand die Schnee­höhe über­prüfte, außerdem hielten andere Maschinen die Bahn durch Starts und Lan­dungen benutzbar. Harry Gregg jedoch gab später an, schon beim ersten Start­ver­such sei neben den Fens­tern so viel Schnee­matsch in die Höhe gespritzt, dass man glauben konnte, ein Flug­boot ver­suche abzu­heben. Eine Schnee­höhe im Tole­ranz­be­reich war güns­tigs­ten­falls auf jenen ersten zwei Drit­teln der 1900 Meter langen Start­bahn anzu­treffen, die ständig benutzt wurden. Auf dem letzten Drittel, auf das Zulu Uni­form“ beim fatalen dritten Ver­such geriet, war sie mit Sicher­heit höher.

Nachdem die Tanks voll und alle Pas­sa­giere wieder an Bord waren, erfolgte um 14.19 Uhr die erste Start­frei­gabe. Elf Minuten später ver­ließ Zulu Uni­form“ die Start­po­si­tion und rollte langsam an. Ray­ment und Thain schoben gemeinsam die beiden Gas­hebel nach vorne. Wäh­rend das Flug­zeug Fahrt auf­nahm, aber noch weit von VI“ – der Ent­schei­dungs­ge­schwin­dig­keit, bei deren Errei­chen es zu spät ist, den Start noch abzu­bre­chen, weil der Rest der Roll­bahn für den Bremsweg zu kurz ist – ent­fernt war, änderte sich das Trieb­werk­ge­räusch und die Druck­an­zeigen der Instru­mente begannen zu zit­tern. Thain und Ray­ment bra­chen den Start ab. Noch bevor also über­haupt zum Pro­blem werden konnte, dass das hin­tere Drittel der Start­bahn mit Schnee bedeckt war, sahen sich die beiden Piloten mit einem tech­ni­schen Pro­blem ihrer Maschine kon­fron­tiert. Das war jedoch noch kein Grund zu grö­ßerer Besorgnis, denn wie Thain später angab, kannten die Piloten diesen Druck­ver­lust bei der Start­be­schleu­ni­gung schon von anderen Maschinen. Die Ursache war ein zu fettes Treib­stoff­ge­misch, durch das die Treib­stoff­ver­tei­lung durch­ein­ander geriet und die Leis­tung sank. Die Piloten konnten dem ent­ge­gen­wirken, indem sie die beiden Gas­hebel beson­ders langsam nach vorne drückten. Schon kurz darauf, um 14.34 Uhr, erteilte der Kon­troll­turm die zweite Start­frei­gabe. Wie geplant drückten Thain und Ray­ment diesmal die Gas­hebel lang­samer nach vorn, wor­aufhin der Steu­er­bord­motor auch den kor­rekten Lade­druck anzeigte, der Back­bord­motor jedoch nicht. Wieder wurde der Start etwa in der Mitte der Roll­bahn abge­bro­chen. Ray­ment infor­mierte die Pas­sa­giere über das tech­ni­sche Pro­blem, dann rollte Zulu Uni­form“ zum Flug­steig zurück. Die Pas­sa­giere wurden zum Ter­minal zurück­ge­leitet. Nicht wenigen von ihnen war jetzt mulmig zumute, was aber zumin­dest die Fuß­baller mit flap­sigen Bemer­kungen zu über­spielen ver­suchten. Einige von ihnen gingen, auch weil das Schnee­treiben immer dichter wurde, fest davon aus, dass an diesem Tag kein wei­terer Start­ver­such mehr ris­kiert werden würde. Die Mann­schaft würde wohl die Nacht in Mün­chen ver­bringen und erst am Freitag nach Man­chester heim­kehren. Das zu tra­gi­scher Berühmt­heit gelangte Tele­gramm etwa, das Duncan Edwards an seine Zim­mer­wirtin schickte („All flights can­celled. Flying tomorrow“), wurde in der Vier­tel­stunde zwi­schen dem zweiten und dritten Start­ver­such auf­ge­geben. Und auch einige der Jour­na­listen riefen in ihren Redak­tionen an, um über den auf den kom­menden Tag ver­scho­benen Rück­flug zu infor­mieren. Wäh­rend Tommy Taylor und Eddie Colman den letzten Schluck Tee ihres Lebens tranken, kam es im Cockpit zu einer Dis­kus­sion zwi­schen den beiden Flug­ka­pi­tänen und dem nach Mün­chen abkom­man­dierten Inge­nieur der Flug­linie BEA, Black. Es gab, da waren sich alle drei einig, nur zwei Alter­na­tiven: Ent­weder eine kom­plette Neu­ein­stel­lung beider Trieb­werke oder, weil das lang­sa­mere Gas­geben ja einen Teil­erfolg gebracht hatte, einen dritten und defi­nitiv letzten Ver­such mit noch stärker ver­zö­gerter Beschleu­ni­gung.

Der letzte Ver­such

Thain und Ray­ment wagten den letzten Ver­such. Das Vor­haben ver­län­gerte zwar die Start­strecke, doch die Roll­bahn schien ihnen dafür lang genug. Und was den Schnee auf dem letzten Teil der Roll­bahn anging, nahmen sie wohl an, dass, solange die Trag­flä­chen eis­frei waren, das Flug­zeug durch die Dynamik des Starts abheben könnte. Diese heute gespens­tisch naiv anmu­tende Theorie sollte Minuten später pul­ve­ri­siert werden. Um 14.58 Uhr erbat Zulu Uni­form“ zum dritten Mal Start­erlaubnis, die vier Minuten später erteilt wurde. Es war genau 15 Uhr, drei Minuten und sechs Sekunden, als sich das Flug­zeug in Bewe­gung setzte. Mit jetzt noch zöger­li­cher geöff­neten Gas­he­beln war die Beschleu­ni­gung extrem langsam. Wieder trat ein Druck­ver­lust auf, den die Piloten aber unter Kon­trolle bekamen. Die Instru­mente beider Trieb­werke zeigten kon­stant den gewünschten Lade­druck von 57,5 Inches an. Als der Geschwin­dig­keits­messer 117 Knoten vor­wies, rief Thain laut VI“. Zulu Uni­form“ musste abheben. Doch in diesem Moment gerieten sie auf den unbe­rührten Schnee, der das letzte Drittel der Roll­bahn bedeckte. Sofort fiel die Geschwin­dig­keit dra­ma­tisch auf 105 Knoten. Das Bugrad schien gera­dezu an der Piste zu kleben. In einem ver­zwei­felten Ver­such, doch noch in die Luft zu kommen, riss Ray­ment das Steu­er­horn zurück, wäh­rend Thain gleich­zeitig das Fahr­werk einzog. Etwa drei Sekunden lang schien alles gut zu gehen, doch Zulu Uni­form“ kam nicht hoch genug, um den Maschen­draht­zaun zu über­queren, der das Flug­ha­fen­ge­lände etwa 200 Meter hinter dem Ende der Roll­bahn begrenzte. Das Flug­zeug durch­schlug den Zaun, sackte dabei auf den gefro­renen Erd­boden zurück und brach nach rechts aus. Mit ein­ge­zo­genem Fahr­werk und hohem Tempo rutschte es auf eine Gruppe Bäume zu, die unmit­telbar vor einem kleinen Wohn­haus standen. Beim Auf­prall gegen die Bäume riss ein großes Stück der linken Trag­fläche ab, der frei­ge­setzte Treib­stoff setzte sofort das Haus in Flammen. Von der sechs­köp­figen Familie Winkler, die darin wohnte, waren zum Zeit­punkt des Unglücks die Mutter und drei kleine Kinder anwe­send. Maria Winkler warf, bevor sie sich selbst ret­tete, die zwei kleinsten Kinder aus einem Fenster in den Schnee. Dem dritten, das damals vier Jahre alt war, gelang es aus eigener Kraft, der Flam­men­hölle zu ent­kommen. Wie durch ein Wunder blieben alle unver­letzt. Zulu Uni­form“ rutschte weiter und rammte zunächst einen wei­teren Baum, der die linke Seite der Pilo­ten­kanzel ein­drückte und Ken Ray­ment die Ver­let­zungen zufügte, denen er zwei Wochen später erliegen sollte. Anschlie­ßend knallte die Maschine mit der rechten hin­teren Seite auf einen Gara­gen­schuppen, in dem Reifen gela­gert waren. Sowohl der Schuppen als auch ein daneben abge­stellter LKW-Anhänger fingen Feuer. Die Kol­li­sion war so stark, dass das Flug­zeug aus­ein­an­der­brach und das kom­plette Heck in dem Hin­dernis ste­cken blieb. Der vor­dere Teil des Rumpfes schlit­terte krei­selnd ein Stück weiter und kam schließ­lich zum Still­stand. Fast alle Über­le­benden erwähnten hin­terher über­ein­stim­mend die gespens­ti­sche Ruhe, die urplötz­lich für einige Momente herrschte. Die meisten Pas­sa­giere, die im lich­terloh bren­nenden Heck saßen, hatten keine Chance. Hier, wo auch Duncan Edwards seinen Platz hatte, starben unter anderem Tommy Taylor, Mark Jones, Eddie Colman und David Pegg. Der Flü­gel­stürmer hatte sich erst nach dem zweiten Start­ver­such in den hin­teren Teil der Maschine begeben, weil es dort angeb­lich sicherer sei.

Todes­mu­tige Ret­tungen

Da von den Besat­zungen abge­schos­sener RAF-Bomber über­durch­schnitt­lich viele Heck­schützen über­lebt hatten, war in Eng­land der Glaube ver­breitet, dass man bei Flug­reisen mög­lichst weit hinten sitzen sollte. Einige der etwa in Höhe der Trag­fläche sit­zenden Rei­senden wurden beim Aus­ein­an­der­bre­chen der Maschine ins Freie geschleu­dert, teil­weise mit­samt ihrer Sessel. Dieses Schicksal war in einigen Fällen ein Todes­ur­teil, in anderen die Ret­tung. Roger Byrne brach sich auf diese Weise das Genick, Bobby Charlton, der mehr als hun­dert Meter weit vom Wrack ent­fernt gefunden wurde, blieb bis auf eine leichte Kopf­wunde, die ihm ein Gepäck­stück zuge­fügt hatte, kör­per­lich unver­letzt. Matt Busby flog ohne Sitz in den Schnee und zog sich dabei schwerste Quet­schungen des Brust­korbes und zahl­reiche Kno­chen­brüche zu. Je weiter vorn man seinen Platz hatte, desto größer waren die Über­le­bens­chancen. Hier saßen auch die drei Männer, die den Schock über­wanden und ohne Rück­sicht auf die eigene Sicher­heit spon­tane Hilfe leis­teten, wodurch sie etli­chen Men­schen das Leben ret­teten. Es waren Pilot James Thain, Tor­wart Harry Gregg und der Foto­graf Peter Howard, denen die Nach­welt auch die prä­gnan­testen Schil­de­rungen von der Szene unmit­telbar nach dem Crash ver­dankt. Thain reagierte als erster. Nachdem er begriffen hatte, dass er Ray­ment, der im Cockpit fest­ge­klemmt war, nicht alleine befreien konnte, schnappte er sich die beiden an Bord befind­li­chen Feu­er­lö­scher und klet­terte ins Freie. Wäh­rend er einige klei­nere Brände, die um das Bug­teil herum auf­zu­lo­dern begannen, löschte, brüllte er alle Über­le­benden, die teil­weise ver­wirrt her­um­irrten, an, sofort weg­zu­rennen. Thain war wohl als ein­zigem klar, dass wegen der Unmengen von aus­ge­lau­fenem Treib­stoff jeden Augen­blick das gesamte Bug­teil des Wracks in die Luft fliegen konnte. Doch da fiel ihm Gregg barsch ins Wort, der im Gegen­satz zu Thain gesehen hatte, wie viele Pas­sa­giere noch ein­ge­klemmt in der Maschine ein­ge­sperrt waren. Thain reagierte mit der Pro­fes­sio­na­lität seines Berufs­tandes, Gregg so beden­kenlos drauf­gän­ge­risch wie auf dem Fuß­ball­platz. Wenn ein Teil­aspekt des Munich Air Crash auch in der Erin­ne­rung zahl­loser Men­schen, die nicht das geringste mit Fuß­ball am Hut haben, die Zeit über­dauert hat, dann der, dass Harry Gregg zweimal todes­mutig zurück ins hoch­gradig explo­si­ons­ge­fähr­dete Wrack klet­terte und erst ein 20 Monate altes Baby, das leider so schwere Gesichts­ver­let­zungen erlitten hatte, dass es ein Auge verlor, und dann dessen Mutter aus den Trüm­mern holte. Bei den auf solch hel­den­hafte Weise Geret­teten han­delte es sich um Vera Lukic, die Frau eines in London sta­tio­nierten jugo­sla­wi­schen Diplo­maten, und ihre kleine Tochter, zwei der wenigen Pas­sa­giere, die nichts mit dem Rei­se­tross der Reds zu tun hatten. Wäh­rend Harry Gregg sein Hel­den­stück absol­vierte, befreite Howard Albert Scanlon und Ray Wood, der unter dem Metall­koffer begraben lag, in dem sich die Spiel­klei­dung der Busby Babes befand. Zusammen mit Foto­graf Ellyard und Ver­tei­diger Foulkes lei­teten Thain, Gregg und Howard dann die Erst­ver­sor­gung der Schwer­ver­letzten wie Johnny Berry und Jackie Blanch­flower ein.