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Seite 2: Wie die Busby Babes schon fast in Bilbao abstürzten

Wir haben ein­fach die beste Geschichte“. Diesen Satz hört man oft von Man­chester Uniteds Fans, und je älter und geschichts­kun­diger sie sind, desto über­zeugter wird er vor­ge­tragen. Andere Ver­eine haben viel mehr Titel gewonnen, beson­ders inter­na­tio­nale, aber eine solch mär­chen­hafte Wie­der­auf­er­ste­hung nach dem denkbar fürch­ter­lichsten Schick­sals­schlag, die hat kein anderer Klub zu bieten. Die Dekade zwi­schen 1958 und 68, der nicht selten wun­der­same und oft zutiefst berüh­rende Weg vom Absturz zur Erobe­rung des holy grail“, wozu man den Gewinn des Euro­pa­cups im Jahr 1968 über­höhte, die den Münchner Opfern nach­träg­lich so etwas wie einen tie­feren Sinn abrang, ist das Kern- und Filet­stück der Ver­eins­chronik, sie ist das, was Man­chester United für immer von ent­seelten Titel­fress­ma­schinen abheben wird.

Busbys Jugend­ab­tei­lung

Die Geschichte der blut­jungen Mann­schaft, die wie ein leuch­tender Stern vor­überzog und dann jäh erlosch, ist mythisch rein, herz­zer­rei­ßend traurig und für­wahr bigger than life“. Zum Davor nur soviel: Bis zum Zweiten Welt­krieg war Man­chester United ein Verein wie viele andere auch. In grauer Vor­zeit war man zweimal Meister geworden und hatte einmal den FA Cup gewonnen, dann ent­wi­ckelte man sich, immer von Geldnot geplagt, zu einem jener Klubs, die ohne rechtes Ziel zwi­schen der 1. und 2. Liga pen­delten. Bei Kriegs­ende war man fast bank­rott, nicht zuletzt, weil Görings Luft­waffe das Sta­dion Old Traf­ford in Schutt und Asche gelegt hatte. Man spielte, wider­willig geduldet, auf der Anlage des Stadt­kon­kur­renten City, und dort hatte auch jener Mann seine Wur­zeln, der nun die Bild­fläche betrat und Uniteds Geschicke in die Hand nahm. Er hieß Matt Busby, stammte aus Schott­land und sah aus wie ein leicht welt­fremder Land­pfarrer, den es in die Groß­stadt ver­schlagen hatte. Weil er lin­kisch wirkte und außer­halb des Fuß­balls unglaub­lich schüch­tern, unter­schätzte man ihn leicht, merkte nicht, wie tough er war und über welch phä­no­me­nale Men­schen­kenntnis er ver­fügte. Er war kein gewiefter Tak­tik­fuchs, aber er hatte eine unglaub­lich glück­liche Hand beim Zusam­men­stellen von Mann­schaften und er konnte auf eine Weise moti­vieren, die wohl nur aus der Zeit heraus ver­ständ­lich ist. Mit einem soliden, aber alles andere als genialen und bereits mächtig über­al­terten Team holte er 1948 den FA Cup und 1952 mit viel Glück die Meis­ter­schaft. Das vor­ge­zeich­nete Ende dieser Truppe war die Geburts­stunde der Babes, denn nun, sieben, acht Jahre nach Kriegs­ende, stand die erste Gene­ra­tion von Nach­wuchs­spie­lern parat, deren Aus­bil­dung nicht durch den Welt­brand beein­träch­tigt worden war. Und weil Busby genau darauf gesetzt und schon früh die Jugend­ab­tei­lung aus­ge­baut und, zumin­dest in den Mid­lands, ein Netz­werk von Scouts eta­bliert hatte, wollten viele der größten Talente nur zu ihm. Er schien auf junge Talente, die wussten, dass der Fuß­ball ihre ein­zige Chance ist, den Fabriken und Koh­le­gruben zu ent­gehen, eine gera­dezu magi­sche Aus­strah­lung gehabt zu haben. Fünf Jahre später hätten wohl viele dieser Bur­schen zur Gitarre gegriffen, um sich den Traum vom sozialen Auf­stieg zu ermög­li­chen, noch aber hatte der Fuß­ball die freie Aus­wahl.

Matt Busby war kein Revo­lu­tionär. Dass die Babes so ganz anders agierten als man es von den Teams der 30er und 40er Jahre gewohnt war, war nicht die Umset­zung eines vorab aus­ge­tüf­telten Plans, es musste wohl ein­fach pas­sieren, weil die Men­schen, zumin­dest unbe­wusst, nach etwas zu lechzen schienen, dass neu und anders war als alles, was man mit der grauen und ent­beh­rungs­rei­chen (Nach-) Kriegs­zeit asso­zi­ierte. Nach Kon­sum­gü­tern und popu­lär­kul­tu­rellen Inno­va­tionen, die laut, bunt und grell waren. Und eben auch nach einem jungen und wilden Fuß­ball. Aus just diesem Grund fas­zi­nierten die Babes und es waren nicht nur die eigenen Fans, die ihnen zu Füßen lagen, wenn sie nach Her­zens­lust auf­spielten. Schon vor Mün­chen galt, dass United everybody’s second favo­rite team“ ist.

Zwi­schen­fall in Bilbao

Die neue, mit hoch­ta­len­tierten Eigen­ge­wächsen gespickte Mann­schaft – nur Mit­tel­stürmer Tommy Taylor und Rechts­außen Johnny Berry waren hin­zu­ge­kauft worden – war 1955 kom­plett und gewann in den Spiel­zeiten 1955/56 und 1956/57 sou­verän die Meis­ter­schaft, zunächst mit neun Punkten vor Black­pool, im Jahr darauf mit acht vor den Spurs. Die beim zweiten Titel­ge­winn erzielten 103 Tore stellen einen noch heute gül­tigen Ver­eins­re­kord dar und lassen erahnen, welch begeis­terten Offen­siv­fuß­ball man zele­brierte. Jetzt, in der Saison 1957/58, strebten die Babes den dritten natio­nalen Titel in Folge an, was sie auf eine Stufe mit den legen­dären Vor­kriegs­mann­schaften von Hud­ders­field und Arsenal gestellt hätte. Sie besaßen Flair und spielten auf­re­gender und unbe­re­chen­barer als bis­he­rige eng­li­sche Erfolgs­teams. Im tristen Nach­kriegs­eng­land standen sie für jugend­li­chen Auf­bruch und die Aus­sicht auf bes­sere Zeiten. Und nicht zuletzt sie galten als das Lebens­werk ihres Ent­de­ckers und För­de­rers Matt Busby. Dann war mit einem Schlag alles vorbei. Sieben Spieler, dar­unter sechs abso­lute Leis­tungs­träger, starben sofort; einer, der wohl beste, zwei Wochen später; zwei wei­tere erlitten so schwere Ver­let­zungen, dass sie nie wieder pro­fes­sio­nell spielen konnten, und drei andere erreichten danach nie mehr die Form frü­herer Tage. Von den 17 mit­ge­reisten Babes lässt sich nur von Harry Gregg, Bill Foulkes, Bobby Charlton und Dennis Viollet behaupten, dass sie den Munich Air Crash zumin­dest kör­per­lich über­standen haben.

Sie waren nicht das erste Mal mit dem Flug­zeug unter­wegs gewesen. Schon im Januar 1957 war die Mann­schaft zum Aus­wärts­spiel bei Ath­letic Bilbao geflogen, nach Nord­spa­nien und zurück wäre man mit dem Zug und der Kanal­fähre viel zu lange unter­wegs gewesen. Francos Reich war damals hin­sicht­lich seiner Infra­struktur bes­ten­falls auf dem Stand eines bes­seren Dritt­welt­landes, wes­halb Bilbao auch von keiner bri­ti­schen Lini­en­flug­ge­sell­schaft ange­steuert wurde. Folg­lich war der United-Tross auf die Dienste einer Char­ter­firma ange­wiesen. Weil der Zielort nur über ein rudi­men­täres Roll­feld ver­fügte, flog man mit zwei kleinen Maschinen vom Typ Dakota, damals der Trans­por­tesel der Lüfte schlechthin. Schon die Anreise ins nebel­ver­han­gene und schnee­ver­wehte Bilbao war nichts für schwache Nerven. Als die beiden Dakotas die Stadt erreicht hatten, machten die Piloten kei­nerlei Anstalten, zur Lan­dung anzu­setzen. Wäh­rend der end­losen Schleifen, die die Flug­zeuge über Bilbao zogen, wurde schließ­lich über den Bord­laut­spre­cher ver­kündet, dass man keinen Funk­kon­takt zum Tower her­stellen und daher den Flug­hafen nicht finden könne. Die Spieler und Betreuer Uniteds wurden von den Ste­war­dessen dazu auf­ge­for­dert, bei­der­seits aus den Fens­tern zu spähen und laut zu rufen, falls sie unter sich etwas ent­deckten, das einer Lan­de­bahn ähnelte. Diese bizarre Anwei­sung hatte zur Folge, dass jede etwas brei­tere Straße für einen Teil des Flug­platzes gehalten wurde und die Piloten jede Menge sinn­loser Infor­ma­tionen zuge­brüllt bekamen. Zum Glück war inzwi­schen eine Abord­nung des bri­ti­schen Kon­su­lats, die die Dele­ga­tion aus Man­chester in Emp­fang nehmen sollte, am Flug­platz ein­ge­troffen. Die Diplo­maten staunten nicht schlecht, als sie fest­stellen mussten, dass der kleine Air­port wegen des schlechten Wet­ters geschlossen war. Sie sorgten für eine rasche Wie­der­öff­nung, wodurch eine sichere Lan­dung der Dakotas doch noch erfolgen konnte, kurz bevor der Treib­stoff knapp wurde. Ob die Char­ter­ma­schinen nicht kor­rekt in Bilbao ange­meldet worden waren, oder ob die Flug­lotsen sie schlichtweg ver­gessen hatten, als sie ihren Laden dicht machten, konnte nie ein­deutig geklärt werden. Man kann gut nach­voll­ziehen, dass jene Spieler, die den Trip nach Bilbao mit­ge­macht hatten, sich ein Jahr später in Mün­chen auch nach dem zweiten Start­ab­bruch keine großen Gedanken um ihre Sicher­heit machten. Nachdem United das Spiel mit 3:5 ver­loren hatte, ver­lief auch der Rück­flug nach heu­tigen Kri­te­rien höchst seltsam, denn vor dem Start mussten sämt­liche Pas­sa­giere erst einmal die Trag­flä­chen der beiden Maschinen erklimmen und diese von Eis und Schnee befreien. Die Dakotas ver­fügten noch über keine Ent­ei­sungs­an­lage und Ser­vice­per­sonal konnte man nicht auf­treiben. Wenn man solche Erleb­nisse heil über­steht, lie­fern sie Jahr­zehnte später idealen Stoff, um nach­ge­wach­sene Gene­ra­tionen prächtig zu unter­halten, doch die Details des Fluges nach Bilbao rücken das, was später in Mün­chen geschah, in eine andere Per­spek­tive und zeigen, dass Fliegen damals etwas anderes war als heute.