Vor 30 Jahren starb der legendäre United-Trainer Matt Busby. Traurige Berühmtheit erlangte er auch deshalb, weil 1958 acht seiner Spieler bei einem Flugzeugunglück ums Leben kamen. Das ist die Geschichte der Busby Babes.
„Wir haben einfach die beste Geschichte“. Diesen Satz hört man oft von Manchester Uniteds Fans, und je älter und geschichtskundiger sie sind, desto überzeugter wird er vorgetragen. Andere Vereine haben viel mehr Titel gewonnen, besonders internationale, aber eine solch märchenhafte Wiederauferstehung nach dem denkbar fürchterlichsten Schicksalsschlag, die hat kein anderer Klub zu bieten. Die Dekade zwischen 1958 und ’68, der nicht selten wundersame und oft zutiefst berührende Weg vom Absturz zur Eroberung des „holy grail“, wozu man den Gewinn des Europacups im Jahr 1968 überhöhte, die den Münchner Opfern nachträglich so etwas wie einen tieferen Sinn abrang, ist das Kern- und Filetstück der Vereinschronik, sie ist das, was Manchester United für immer von entseelten Titelfressmaschinen abheben wird.
Busbys Jugendabteilung
Die Geschichte der blutjungen Mannschaft, die wie ein leuchtender Stern vorüberzog und dann jäh erlosch, ist mythisch rein, herzzerreißend traurig und fürwahr „bigger than life“. Zum Davor nur soviel: Bis zum Zweiten Weltkrieg war Manchester United ein Verein wie viele andere auch. In grauer Vorzeit war man zweimal Meister geworden und hatte einmal den FA Cup gewonnen, dann entwickelte man sich, immer von Geldnot geplagt, zu einem jener Klubs, die ohne rechtes Ziel zwischen der 1. und 2. Liga pendelten. Bei Kriegsende war man fast bankrott, nicht zuletzt, weil Görings Luftwaffe das Stadion Old Trafford in Schutt und Asche gelegt hatte. Man spielte, widerwillig geduldet, auf der Anlage des Stadtkonkurrenten City, und dort hatte auch jener Mann seine Wurzeln, der nun die Bildfläche betrat und Uniteds Geschicke in die Hand nahm. Er hieß Matt Busby, stammte aus Schottland und sah aus wie ein leicht weltfremder Landpfarrer, den es in die Großstadt verschlagen hatte. Weil er linkisch wirkte und außerhalb des Fußballs unglaublich schüchtern, unterschätzte man ihn leicht, merkte nicht, wie tough er war und über welch phänomenale Menschenkenntnis er verfügte. Er war kein gewiefter Taktikfuchs, aber er hatte eine unglaublich glückliche Hand beim Zusammenstellen von Mannschaften und er konnte auf eine Weise motivieren, die wohl nur aus der Zeit heraus verständlich ist. Mit einem soliden, aber alles andere als genialen und bereits mächtig überalterten Team holte er 1948 den FA Cup und 1952 mit viel Glück die Meisterschaft. Das vorgezeichnete Ende dieser Truppe war die Geburtsstunde der Babes, denn nun, sieben, acht Jahre nach Kriegsende, stand die erste Generation von Nachwuchsspielern parat, deren Ausbildung nicht durch den Weltbrand beeinträchtigt worden war. Und weil Busby genau darauf gesetzt und schon früh die Jugendabteilung ausgebaut und, zumindest in den Midlands, ein Netzwerk von Scouts etabliert hatte, wollten viele der größten Talente nur zu ihm. Er schien auf junge Talente, die wussten, dass der Fußball ihre einzige Chance ist, den Fabriken und Kohlegruben zu entgehen, eine geradezu magische Ausstrahlung gehabt zu haben. Fünf Jahre später hätten wohl viele dieser Burschen zur Gitarre gegriffen, um sich den Traum vom sozialen Aufstieg zu ermöglichen, noch aber hatte der Fußball die freie Auswahl.
Matt Busby war kein Revolutionär. Dass die Babes so ganz anders agierten als man es von den Teams der 30er und 40er Jahre gewohnt war, war nicht die Umsetzung eines vorab ausgetüftelten Plans, es musste wohl einfach passieren, weil die Menschen, zumindest unbewusst, nach etwas zu lechzen schienen, dass neu und anders war als alles, was man mit der grauen und entbehrungsreichen (Nach-) Kriegszeit assoziierte. Nach Konsumgütern und populärkulturellen Innovationen, die laut, bunt und grell waren. Und eben auch nach einem jungen und wilden Fußball. Aus just diesem Grund faszinierten die Babes und es waren nicht nur die eigenen Fans, die ihnen zu Füßen lagen, wenn sie nach Herzenslust aufspielten. Schon vor München galt, dass United „everybody’s second favorite team“ ist.
Zwischenfall in Bilbao
Die neue, mit hochtalentierten Eigengewächsen gespickte Mannschaft – nur Mittelstürmer Tommy Taylor und Rechtsaußen Johnny Berry waren hinzugekauft worden – war 1955 komplett und gewann in den Spielzeiten 1955/56 und 1956/57 souverän die Meisterschaft, zunächst mit neun Punkten vor Blackpool, im Jahr darauf mit acht vor den Spurs. Die beim zweiten Titelgewinn erzielten 103 Tore stellen einen noch heute gültigen Vereinsrekord dar und lassen erahnen, welch begeisterten Offensivfußball man zelebrierte. Jetzt, in der Saison 1957/58, strebten die Babes den dritten nationalen Titel in Folge an, was sie auf eine Stufe mit den legendären Vorkriegsmannschaften von Huddersfield und Arsenal gestellt hätte. Sie besaßen Flair und spielten aufregender und unberechenbarer als bisherige englische Erfolgsteams. Im tristen Nachkriegsengland standen sie für jugendlichen Aufbruch und die Aussicht auf bessere Zeiten. Und nicht zuletzt sie galten als das Lebenswerk ihres Entdeckers und Förderers Matt Busby. Dann war mit einem Schlag alles vorbei. Sieben Spieler, darunter sechs absolute Leistungsträger, starben sofort; einer, der wohl beste, zwei Wochen später; zwei weitere erlitten so schwere Verletzungen, dass sie nie wieder professionell spielen konnten, und drei andere erreichten danach nie mehr die Form früherer Tage. Von den 17 mitgereisten Babes lässt sich nur von Harry Gregg, Bill Foulkes, Bobby Charlton und Dennis Viollet behaupten, dass sie den Munich Air Crash zumindest körperlich überstanden haben.
Sie waren nicht das erste Mal mit dem Flugzeug unterwegs gewesen. Schon im Januar 1957 war die Mannschaft zum Auswärtsspiel bei Athletic Bilbao geflogen, nach Nordspanien und zurück wäre man mit dem Zug und der Kanalfähre viel zu lange unterwegs gewesen. Francos Reich war damals hinsichtlich seiner Infrastruktur bestenfalls auf dem Stand eines besseren Drittweltlandes, weshalb Bilbao auch von keiner britischen Linienfluggesellschaft angesteuert wurde. Folglich war der United-Tross auf die Dienste einer Charterfirma angewiesen. Weil der Zielort nur über ein rudimentäres Rollfeld verfügte, flog man mit zwei kleinen Maschinen vom Typ Dakota, damals der Transportesel der Lüfte schlechthin. Schon die Anreise ins nebelverhangene und schneeverwehte Bilbao war nichts für schwache Nerven. Als die beiden Dakotas die Stadt erreicht hatten, machten die Piloten keinerlei Anstalten, zur Landung anzusetzen. Während der endlosen Schleifen, die die Flugzeuge über Bilbao zogen, wurde schließlich über den Bordlautsprecher verkündet, dass man keinen Funkkontakt zum Tower herstellen und daher den Flughafen nicht finden könne. Die Spieler und Betreuer Uniteds wurden von den Stewardessen dazu aufgefordert, beiderseits aus den Fenstern zu spähen und laut zu rufen, falls sie unter sich etwas entdeckten, das einer Landebahn ähnelte. Diese bizarre Anweisung hatte zur Folge, dass jede etwas breitere Straße für einen Teil des Flugplatzes gehalten wurde und die Piloten jede Menge sinnloser Informationen zugebrüllt bekamen. Zum Glück war inzwischen eine Abordnung des britischen Konsulats, die die Delegation aus Manchester in Empfang nehmen sollte, am Flugplatz eingetroffen. Die Diplomaten staunten nicht schlecht, als sie feststellen mussten, dass der kleine Airport wegen des schlechten Wetters geschlossen war. Sie sorgten für eine rasche Wiederöffnung, wodurch eine sichere Landung der Dakotas doch noch erfolgen konnte, kurz bevor der Treibstoff knapp wurde. Ob die Chartermaschinen nicht korrekt in Bilbao angemeldet worden waren, oder ob die Fluglotsen sie schlichtweg vergessen hatten, als sie ihren Laden dicht machten, konnte nie eindeutig geklärt werden. Man kann gut nachvollziehen, dass jene Spieler, die den Trip nach Bilbao mitgemacht hatten, sich ein Jahr später in München auch nach dem zweiten Startabbruch keine großen Gedanken um ihre Sicherheit machten. Nachdem United das Spiel mit 3:5 verloren hatte, verlief auch der Rückflug nach heutigen Kriterien höchst seltsam, denn vor dem Start mussten sämtliche Passagiere erst einmal die Tragflächen der beiden Maschinen erklimmen und diese von Eis und Schnee befreien. Die Dakotas verfügten noch über keine Enteisungsanlage und Servicepersonal konnte man nicht auftreiben. Wenn man solche Erlebnisse heil übersteht, liefern sie Jahrzehnte später idealen Stoff, um nachgewachsene Generationen prächtig zu unterhalten, doch die Details des Fluges nach Bilbao rücken das, was später in München geschah, in eine andere Perspektive und zeigen, dass Fliegen damals etwas anderes war als heute.