Desolate Leistung auf dem Platz, Pyro-Eskalation auf der Süd und Grenzüberschreitungen auf allen Seiten. Nach dem Stadtderby betreibt die aktive Fanszene des FC St. Pauli Selbstfindung. Das Image des gesamten Klubs steht in Frage. Oder geht es doch um etwas ganz anderes?
„Die aktive Fanszene des FC St. Pauli ist sehr heterogen“, sagt Sven Langner vom Fanladen St. Pauli. „Dazu gehört die größte Gruppe auf der Südtribüne, aber auch Teile der Gegengerade sind dazuzuzählen. Auch in der Nordkurve gibt es Teile der aktiven Fanszene.“
Die Trennlinien sind einigermaßen klar: Die Südtribüne ist Ultra-Territorium, seitdem USP 2002 gegründet wurde, ist die Gruppe bestätig gewachsen und erwartet laut eigener Aussage, dass die Leute auf den Süd-Stehplätzen das Ultra-Konzept mittragen. Die Teile der aktiven Fanszene auf der Gegengerade stehen eher für einen klassischen, vom Spielverlauf abhängigen Support. Und auf der Gegengerade stehen eben auch viele, die mit der aktiven Szene nichts zu tun haben. Das kann zu Missstimmungen führen, wenn die Ultras sich wünschen, dass die Gegengerade ihr gesamtes Unterstützungs-Potential abruft, während umgekehrt die schweigende Masse dort gelegentlich den Dauergesang der Ultras kritisiert. „Konflikte würde ich das aber nicht nennen“, sagt Langner. „Es sind unterschiedliche Sichtweisen auf das Spieltagserleben, die Art des Fanseins und das Ausleben von Fankultur. Trotz aller Differenzen waren alle Teile der aktiven Szene aber immer in einem guten Austausch.“
Wer ist hier also sauer auf wen?
Grenzüberschreitungen auf beiden Seiten
Die Hamburger Morgenpost titelte nach dem Derby: „Fan-Wut auf die Zündel-Ultras“. In einem Gastbeitrag beklagte sich ein besorgter Vater, dass die Pyroaktionen seinen neunjährigen Sohn traumatisiert hätten. Im St. Pauli-Forum und den sozialen Medien forderten andere harte Konsequenzen, die Klubführung solle die zu erwartende DFB-Strafe auf die Täter umlegen und „endlich dem Ultra-Treiben ein Ende machen.“ Also die Südtribüne gegen alle anderen? Nein, so einfach ist es eben nicht. „Die Konfliktlinie zwischen Gegengerade und Südtribüne ist leicht hergeredet“, sagt Ben. Es sei zwar nicht immer ein einfaches Verhältnis, doch zumindest die Teile der aktiven Fanszene seien sich weitgehend einig. „Aber die Mischung auf der Gegengerade aus Aktiven, Fußballtouristen und normalen Fans aus einem eher bürgerlichen Milieu führt zu einem anderen Verständnis von Support.“
Fakt ist, dass sich auf der Gegengerade viele gegen die Schmährufe in Richtung der eigenen Fans wehrten. Dass mit dem Präsentieren von „gezocktem“ Fanmaterial eine Grenze überschritten und ein Konsens gebrochen wurde, ist klar. Doch das Beleidigen von Teilen der eigenen Fanszene stellt ebenfalls eine Grenzüberschreitung dar. „Man kann sich berechtigtermaßen darüber aufregen, was auf der Süd abging“, sagt Ben. „Aber viele, nicht nur bei USP, waren ebenfalls genervt von diesen Rufen. Dass sich Leute erdreisten, in einem Derby so etwas zu sagen.“
Pauschalisierter Hass
Der Fanclubsprecherrat (FCSR), gewähltes Gremium der offiziellen St. Pauli-Fanklubs, der auf 11FREUNDE-Anfrage weitere Kommentare mit Verweis auf die interne Aufarbeitung ablehnte, sieht es genauso. In seiner Stellungnahme zu den Vorkommnissen verurteilt er das „Präsentieren von Beute“ ebenso wie die Reaktion in Form von „Pauschalbrüll, dessen Hall uns noch jetzt irritiert.“ Auch andere Institutionen der Szene wie die Blogs „Magischer FC“ und „Millernton“ stoßen ins gleiche Horn: Was auf der Süd passiert ist, war mies. Doch eine Gegengerade, erst recht, wenn sie sich supporttechnisch während des Spiels nicht mit Ruhm bekleckert hat, darf sich solche Schmähungen nicht erlauben. Und schon gar nicht so pauschal.
Denn während es schwer vorstellbar ist, dass USP von grundsätzlichen Aktionen der Menschen mit den roten Tüchern nichts wusste, so versuchten die Vorsänger spätestens beim Präsentieren von Gegnermerch auch entgegenzuwirken. Ein Großteil der Südtribüne war nicht begeistert von dem, was da in ihrer Nähe abgezogen wurde. Erst recht mit zunehmenden schlechterem Spielstand. Aber sich mit den beleidigenden Rufen gemein machen und die eigenen Leute zu diffamieren war verständlicherweise auch keine Option. „Ebenso wie die gesamte aktive Szene, ist auch die Südtribüne eben keine homogenen Masse, die sich uniform danach richtet, was USP sagt oder möchte“, sagt Ben. Verschiedenfach wurden die Aktionen der Gruppe „New Kidz Sankt Pauli“ zugeschrieben. Diese hatte USP nach verschiedenen Meinungsverschiedenheiten zu den Themen Gewalt und Sexismus allerdings aufgelöst.