Zwischen 1975 und ’84 war die North American Soccer League das Eldorado für Kicker mit Popstar-Flair. Die New York Cosmos formten mit Pelé und Franz Beckenbauer ein Wunderteam. Doch der Traum vom Kicker-Showgeschäft währte nur kurz.
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Der Freistoß vom Sechzehner ging weit übers Tor. Klaus Toppmöller drehte sich um und lief zurück in die eigene Hälfte. Doch das Publikum in Dallas kreischte, als hätte der Mann aus der Vordereifel aus spitzem Winkel per Fallrückzieher in letzter Minute den entscheidenden Treffer erzielt. „Die Zuschauer hatten vom Fußball keine Ahnung. Die glaubten, ein Tor wäre, wenn der Ball wie beim American Football über die Latte flog.“
Toppmöller war 1980 vom 1. FC Kaiserslautern nach Texas gewechselt. Wegen einer Knieverletzung sah sich der Stürmer in Deutschland bereits mit dem Karriereende konfrontiert. Doch Dallas Tornado, die Mannschaft von Öl-Milliardär Lamar Hunt, der 1960 die American Football League gegründet hatte, brauchte dringend einen Star.
ABC hatte soeben die TV-Rechte für die North American Soccer League (NASL) erworben. Es schien, als könnte Soccer dem Discotrend nachfolgen – und das nächste heiße Ding werden. Und zumindest an der Ostküste eilte den New York Cosmos der Ruf als Dreamteam der neuen Fußball-Ästhetik voraus.
Toppmöller spielte mit offenen Karten: Einen Orkan würde der angeschlagene 29-Jährige auf dem Spielfeld bei Tornado nicht mehr entfachen. „Ich konnte kaum schmerzfrei auftreten.“ Aber Hunt wollte das deutsche Lockenköpfchen. Und ein Mann wie er duldete keine Absagen, also bekam er seinen Star. Toppmöllers fußballerische Qualitäten spielten bei dem Deal keine Rolle mehr: Vertraglich erhielt der Deutsche das Recht zugesichert, in jedem Spiel nach 30 Minuten ausgewechselt zu werden. Am Training brauchte er überhaupt nicht teilzunehmen. „Im Halbfinale der Play-Offs spielten wir gegen Cosmos. Vor mir tänzelte Franz Beckenbauer in die Arena und ich hinkte mit einem dickem Verband hinterher, während der Stadionsprecher brüllte: „Ladies and gentlemen, from West-Germany, Klaus ‚Toppi‘ Toppmuuelleer.“ Herzlich willkommen in der Traumfabrik des Fußballs.
Der Mann aus Rivenich war einer von vielen kleinen und großen Fußballstars aus Europa, die in der Boom-Zeit der NASL dem Lockruf des Geldes über den großen Teich folgten. Bis 1975 fristete die 1968 ins Leben gerufene Liga noch ein tristes Dasein auf High-School-Sportplätzen und in Vorstadtstadien. Auch sieben Jahre nach dem Start der Profiklasse bestanden die meisten Kader nur aus Studenten und Teilzeitkräften. Nichts deutete darauf hin, dass sich daran etwas ändern würde. Der Zuschauerschnitt in der NASL lag im Jahr 1974 bei 5954. Ein Rekord in der jungen Ligageschichte.
Der Mann, der den Sport aus seiner Nische holen sollte, produzierte von Berufs wegen Stars. Der Chef des Medienkonzerns Warner Communications, Steve Ross, hielt sich die New York Cosmos seit 1971 als sein exklusives Spielzeug. Seine Geschäftsfreunde Ahmet und Nesuhi Ertegün, die Gründer von Atlantic Records, hatten dem Fußball-Laien dazu geraten. Die beiden Türken liebten Fußball und ihr cleverer Geschäftssinn ließ sie glauben, dass mit Soccer die Hegemonie der heiligen Trias von Baseball, Basketball und Football als medienkompatible Sportarten zu durchbrechen sei. Wichtig war dabei nur, das Spiel angemessen zu vermarkten.
Für Aufsehen hatte der Verein bis dahin nur einmal gesorgt: Als Cosmos-Keeper Shep Messing für das Erotik-Magazin „Viva“ posiert und seine Männlichkeit dort weich gezeichnet den Lesern feilgeboten hatte. Die Vereinsführung sah die Anstandsregeln verletzt und suspendierte den Harvard-Absolventen vorübergehend. Immerhin besaß Cosmos fortan ein Image – ein seltenes Gut in dieser Phase: Bei Auswärtsspielen der Männer vom Big Apple segelten aufblasbare Puppen von den Rängen.
Wenn Steve Ross etwas machte, dann richtig. 1975 nahm er die Sache selbst in die Hand. Vom Fußball hatte er keine Ahnung, also entwickelte der mächtige Warner-Boss ein simples Prinzip zur Gewinnmaximierung mit dem Fußballverein. Die einfache Formel: Kauf die berühmtesten Namen im Weltfußball – und deine Mannschaft wird die größte Attraktion des Universums. Die New York Cosmos sollten nicht länger elf Männer und ein Fußball sein. Ross wollte eine Boygroup in Shorts, eine Garde aus Popstars, keine Metropoliten mehr, sondern schon Kosmopoliten. Eine Truppe larger than life – größer als das Leben.