Er prügelte sich mit Mitspielern, stellte Karten-Rekorde auf und wurde bereits mit 17 wegen Cannabis-Konsums gesperrt. Heute ist Lee Bowyer gefeierter Trainer von Charlton Athletic. Über eine wundersame Wandlung.
Wenn Lee Bowyer (43) heute Interviews gibt, schlüpft er gern mal in die Rolle des Fragestellers: „Wer hätte gedacht, dass ich einmal Trainer werden würde?“, sagt er dann und grinst, halb schelmisch, halb verlegen. Natürlich ist die Frage rein rhetorisch, denn einen Chefcoach namens Lee Bowyer – das hätte wohl niemand für möglich gehalten. Erst recht nicht Anfang dieses Jahrtausends. Da standen Leeds-United-Profi Bowyer und sein damaliger Teamkollege Jonathan Woodgate wegen eines tätlichen Angriffs auf einen asiatischen Studenten vor Gericht und galten als die mit Abstand größten Pflegefälle des englischen Fußballs – neben ein paar anderen vielleicht.
Der „Daily Mirror“ urteilte einst über Bowyer: „Er ist momentan der Saddam Hussein der Premier League.“ Das war im Jahr 2003. Und heute? Vor etwas mehr als einer Woche verlängerte eben dieser Lee Bowyer seinen Vertrag als Cheftrainer von Charlton Athletic, jenem Londoner Klub, dessen Stadion nur vier Meilen von Bowyers Elternhaus entfernt liegt, für den er 1994 sein erstes Spiel als Profi absolvierte und den er im Mai vergangenen Jahres als Coach zum Aufstieg in die Zweitklassigkeit führte.
„Der Saddam Hussein der Premier League“
Bowyer, weißes Hemd mit gestärktem Kragen, rote Krawatte, anthrazitfarbener College-Pullover und ein verschmitztes Lächeln für den Fotografen, unterschrieb für drei zusätzliche Jahre, bis 2023, in Charlton. Denn nach eigenen Angaben ist er dort noch nicht fertig – nicht, bevor der Verein wieder in der Premier League spielt. Charltons neuer Eigentümer Matt Southall wollte den Vertrag mit seinem Coach sogar um fünf Jahre verlängern – mit allen Vollmachten. Dabei konnte man diesen Lee Bowyer früher nicht mal fünf Minuten aus den Augen lassen, ohne dass es krachte.
In der Saison 2004/05 sorgte der begnadete Box-to-Box-Player weltweit für handfeste Schlagzeilen: Bowyer, damals bei Newcastle United unter Vertrag, zettelte eine Prügelei mit seinem eigenen Mitspieler Kieron Dyer an. Auf dem Rasen. Während eines laufenden Premier-League-Spiels gegen Aston Villa. Die darauffolgende Rote Karte war einer von drei Platzverweisen gegen Bowyer in jener Spielzeit und bescherte ihm eine sechswöchige Sperre sowie eine 350.000-Euro-Geldstrafe.
Bowyer war auch der Erste, der 14 Gelbe Karten innerhalb einer Premier-League-Saison kassierte und der Erste, der die Gesamtzahl von 99 Gelben erreichte. In einer Zeit, da in England eigentlich nur der Tatbestand des (versuchten) Mordes mit Karten geahndet wurde.
Fehltritte und Skandale zogen sich durch Bowyers Spielerkarriere wie ein leuchtend-roter Faden: Schon als 17-jährige Nachwuchshoffnung von Charlton Athletic war er wegen Cannabis-Konsums gesperrt worden. Zwei Jahre später, als Jungprofi, beleidigte er die Bedienung eines Londoner Fast-Food-Restaurants mit den Worten: „Ich will von keinem Pakistani bedient werden.“ Kurzum: Lee Bowyer war ein Vollidiot! Einer, der spätestens nach seiner Spieler-Laufbahn am Leben scheitern würde. Todsicher.