Gegen Tschechien könnte Ridle Baku sein Nationalelf-Debüt feiern. Der Wolfsburger ist eine Erinnerung daran, dass es auch im komplizierten modernen Fußball vor allem auf die Basics ankommt.
Eine erste Version dieses Textes erschien erstmals als Teil unserer Titelgeschichte für 11FREUNDE #202 im August 2018. Darin haben wir vielversprechende deutsche Talente begleitet. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhältlich.
Manchmal starten große Karrieren nicht am Reißbrett, sondern am Rastplatz. Der zwanzig Jahre alte Mainzer Jugendspieler Ridle Baku war im Mai gerade mit den Amateuren im Bus auf dem Weg zum Auswärtsspiel in Freiburg. Am gleichen Tag kämpfte die Profimannschaft mit Haut und Haaren gegen Leipzig um den Klassenerhalt. Dem Trainer Sandro Schwarz brachen wegen Verletzungen und Krankheiten gleich zwei Mittelfeldspieler weg, da erinnerte er sich an diesen laufstarken Burschen aus der Jugend: Ridle Baku.
„Ich kenne ihn schon lange und war überzeugt, dass er das drauf hat, von Anfang an zu spielen“, erinnert sich Trainer Schwarz. Er gab die Order, dass jemand schnell diesen Jungen herbringen sollte. Baku bekam also die Nachricht, stieg aus dem Bus und spazierte eine Stunde lang auf einem Rastplatz umher. Erst dann wurde er von einem Betreuer der ersten Mannschaft mit dem Auto abgeholt und zurück nach Mainz gebracht.
Bakus Eltern gehen regelmäßig zu Mainz 05, und sie saßen auch gegen Leipzig auf der Tribüne. Als die Spieler den Rasen betraten, trauten sie ihren Augen nicht: Ihr Junge, der doch eigentlich in Freiburg sein sollte, lief in der ersten Elf auf. Mainz spielte wie befreit, rang Leipzig 2:0 nieder und in der 90. Minute fiel kurz hinter der Mittellinie ein hoher Ball vor Bakus Füße. Er legte ihn sich vor, rannte einfach los, vorbei am letzten Leipziger Verteidiger und stand plötzlich alleine vor dem Torwart. Die lange Ecke war frei, dachte er, und schob den Ball genau dort hin. 3:0. Erstes Bundesligaspiel, erstes Tor, Baku legte sich ungläubig die Hände vors Gesicht.
In der folgenden Woche spielte Mainz beim Champions-League-Anwärter Dortmund, Baku zum ersten Mal vor 80 000 Zuschauern. Nach vier Minuten traf er mit einem Traumtor zum 1:0. Mainz gewann 2:1 – und feierte sensationell den Klassenerhalt.
Im Sommertrainingslager 2018 trifft Mainz 05 auf das mit Altstars gespickte West Ham United. Der 20 Jahre alte schmächtige Ridle Baku wuselt rechts im Dreiermittelfeld umher. Nach zehn Minuten sprintet er bei einem Angriff bis in die vorderste Reihe und verpasst nur knapp das Tor. Trainer Schwarz hebt den Daumen.„Gut, Ridle.“ Nur drei Minuten später schimpft Schwarz und hebt zwei Finger.„Ridle, zwei vor der Abwehr, geht der Pierre, bleibst du.“ Baku nickt brav. Er läuft und läuft.
Für die Fans ist der Junge, der seit der E‑Jugend für Mainz spielt, nach einer Saison voller Grabenkämpfe und ungewöhnlicher Mainzer Unruhe wie ein zusätzlicher Kitt. Und für alle Fußballromantiker kommt noch hinzu, dass ihn sein Vater zu Ehren von Karl-Heinz Riedle„Ridle“ rief – bis der Filius sich den Namen in den Pass eintragen ließ. Eigentlich fehlt in Mainz zur Glückseligkeit nur noch, dass er nicht„Ridle“, sondern Kloppo Baku oder Bumm-Bumm Babatz Baku heißt.
Nach dem Spiel gegen West Ham steht er am Zaun bei den Jugendlichen, die nur ein paar Jahre jünger sind als er. Sie fragen nach seinen Schienbeinschonern, nach einem Foto, nach einem Autogramm. Baku lächelt geschmeichelt, tippelt von einem Fuß auf den anderen. Hinter ihm läuft West Hams Marko Arnautovic vorbei und dreht ein Instagram-Video. Baku schaut kurz rüber, fast selbst Fan. So ganz kann er seine Geschichte noch nicht erklären. Er wisse gar nicht mehr, wie dieser ominöse Rastplatz damals hieß.„Aber irgendwann würde ich noch mal gerne dahin zurückkehren, um alles Revue passieren zu lassen.“
Die Entfernung zum Rastplatz ist mittlerweile ein wenig größer geworden. Im Sommer wechselte Baku zum VfL Wolfsburg. Dort hat er sich auf Anhieb als rechter Verteidiger etabliert. Und auch Joachim Löw sieht auf dieser Position wohl das größte Potenzial bei Baku. Nach den Ausfällen der Außenverteidiger Marcel Halstenberg und Thilo Kehrer nominierte der Bundestrainer Riedle Baku für die anstehenden Länderspiele nach.
In der Debatte um Systeme, Nachwuchsleistungszentren, flache Hierarchien oder Laufdiagnostik ist Bakus Story eine Erinnerung an die Basics. Am Ende sind es talentierte Fußballer, bloß Jungs, die loslaufen wollen. Die sich bestenfalls„keine Platte machen“. Und falls irgendwer in ein paar Jahren den Startpunkt einer womöglich großen Karriere besuchen will: Es handelte sich um die bestens gelegene Autobahnraststätte Bruchsal an der A5.