Er war Weltpokalsiegerbesieger, Pokerspieler, Bestatter, Postbote und Küchenhilfe. Heute hat er Geburtstag. Nico Patschinski über Marihuana auf St. Pauli, ein fehlendes Tor in Trier und sein abwechslungsreiches Berufsleben.
Nico Patschinski, Sie wurden mal als „George Best von Ost-Berlin“ bezeichnet. Mögen Sie den Spitznamen?
Ich habe zwar nicht so viel Geld verprasst, aber eigentlich passt es. Best hat’s mit Humor genommen. Ein guter Typ. Und sein Satz ist legendär.
„Ich habe viel Geld für Alkohol, Frauen und schnelle Autos ausgegeben, den Rest habe ich einfach verprasst.“
Auf mich würde auch eine abgewandelte Hollywood-Weisheit passen. Nach meiner Fußballkarriere habe ich bei einem befreundeten Gastronom als Küchenhilfe gearbeitet. Irgendwann dachte ich: „Ist ja wie in Hollywood, nur andersrum: Vom Millionär zum Tellerwäscher.“
Waren Sie Millionär?
Ich habe damals nicht schlecht verdient, aber aussorgen konnte man als Zweitligaprofi nicht.
Es heißt, Sie hätten Ihr Vermögen in Casinos verspielt. Wie viel Geld war es denn?
Unterm Strich nicht mehr als 30 000 Euro. Wirklich reingehauen haben andere Dinge: falsche Investitionen, Immobilien, Zahlungen an meine Ex-Frau.
Wären Sie gerne in der heutigen Zeit Profi?
Die Frage ist doch: Würde mich das Geld glücklicher machen? Du hast heute keine Freiheiten mehr, jeder deiner Schritte wird in den sozialen Netzwerken dokumentiert. Und morgen würde in der Zeitung stehen: „Ist das nur Cola in Patsches Glas? Und raucht er etwa?“ Weißte, früher war Montagabend Saufabend. Sag ich mal so locker. Vier, fünf Jungs aus der Mannschaft, die alle in Eidelstedt gewohnt haben. Die Stammkneipe war um die Ecke. Und morgens um halb drei sind wir wieder rausgestolpert. Hat niemanden interessiert.
Sie haben nie einen Rüffel bekommen?
Nein. Bei St. Pauli gab es zwar einen Mediencoach, aber der hat nur gesagt, dass wir in Interviews auf unsere Wortwahl achten sollten: Der Sponsor ist kein Wichser, der Trainer kein Idiot und so weiter.
Ihnen wurden aber auch mal Grenzen aufgezeigt. Sonst wären Sie 2005 bei Stefan Raab aufgetreten.
Stimmt, das war die Geschichte mit den zwei Fallrückziehertoren, die ich an zwei Spieltagen nacheinander für Eintracht Trier geschossen habe. Ein Reporter fragte mich: „Wie haben Sie denn das gemacht?“ Ich antwortete: „Hab’ ich beim Zirkus Busch gelernt, dort bin ich aufgewachsen. Heute übe ich die Stellung mit meiner Frau.“ Haha, total witzig. Fand jedenfalls Stefan Raab und lud mich ein. Trainer Paul Linz sagte aber, keine Chance, wir haben ein wichtiges Spiel in Cottbus. Da merkte ich: Niemand ist größer als der Verein.
Haben Sie je einen flapsigen Spruch bereut?
Die Whisky-Geschichte vielleicht. Es war bekannt, dass mein Vater jedes Spiel von mir im Fernsehen schaut. Nach einem Dreierpack fragte also ein Reporter: „Schon mit dem Vater telefoniert?“ Ich scherzte: „Wird kaum möglich sein, der trinkt nach jedem Tor von mir einen Whisky und ist jetzt blitzeblau.“ Mein Vater sagte später: „Mensch, Nico, musste das sein? Wie seh’ ich denn jetzt aus? Wie’n Alkoholiker!“
Auf einem T‑Shirt präsentierten Sie einst eine Hommage an Ihren Vater: „Ich habe mein ganzes Leben lang gearbeitet, um zu sein wie er.“
Er ist mein großes Vorbild. Als Kind wollte ich Eishockeyspieler werden, so wie er. (Rainer Patschinski spielte 238 Mal für die DDR-Auswahl, d. Red.) Eishockey habe ich immer geliebt. Philadelphia gegen Pittsburgh im Mai 2000, das längste Spiel aller Zeiten: Michael Leopold kommentiert im DSF, und ich hänge bis halb acht morgens vor der Glotze. Großartig.
Eishockey war in der DDR nicht gerade spannend, die Liga bestand nur aus zwei Teams: Dynamo Weißwasser und Dynamo Berlin.
(Imitiert einen TV-Kommentator.) „Vollkommen überraschend heißt das diesjährige Playoff-Spiel Weißwasser gegen Berlin.“ (Lacht.) Aber mein Vater war recht erfolgreich, er ist sogar Mitglied der deutschen Eishockey-Hall-of-Fame. Seine Karriere musste er frühzeitig beenden. Ich sag mal so: aus kaderpolitischen Gründen. Danach nahm er auch mich aus dem Verein. „Ist wohl besser, wenn wir einen anderen Sport für dich suchen“, sagte er.
Und bald einen anderen Verein. Sie wechselten von Dynamo zu Union Berlin.
Wegen angeblicher Westkontakte gab es ständig Ärger bei Dynamo. Irgendwann erzählten Ärzte, dass ich – Achtung, jetzt wird’s lustig – einen Pendelhoden habe und nicht mehr Fußball spielen kann. War natürlich totaler Quatsch. Mein Vater meldete mich danach bei seinem Lieblingsklub an: bei Union.
Dort trafen Sie auf Trainer Hans Meyer. Klingt nach einem humorvollen Duo.
Meyer ist ein super Typ, mit dem ich heute noch befreundet bin. Man musste sich aber auf seine Art einlassen: hart arbeiten und gut kontern. Vor meinem Debüt in der ersten Elf, ein Spiel gegen Bischofswerda, sagte er zu mir: „Herr Patschinski, ich erwarte zwei Tore von Ihnen.“ Ich meinte: „Das geht ja. Hatte schon befürchtet, dass ich drei machen muss.“
Wie sah es damals an der Alten Försterei aus?
Kein Dach, ständig Regen, matschiger, tiefer Rasen. Auf den Tribünen 400 Zuschauer, die ein 0:0 gegen die Amateure von Hansa Rostock sahen.
Klingt übel.
Übel? Ich mochte das immer lieber als später die sterilen Arenabauten. Früher bin ich sogar manchmal nach England gefahren, um dort unterklassigen Fußball in abgerockten Stadien zu sehen. Schön oldschool.
„Ich wusste anfangs nicht mal, wo St. Pauli liegt.“
Sie haben mal gesagt, dass Ihr Herz heute für Union Berlin, Eintracht Trier und den Kreisklasse-Verein SG Südstern Senzig schlägt. Ein Scherz?
Keineswegs. Meine Eltern haben einen Garten in Senzig, südlich von Berlin. In meiner Kindheit habe ich dort oft Spiele von Südstern gesehen. Geiler Name schon!
Warum taucht der FC St. Pauli nicht in der Liste auf?
Ich habe mit dem Verein in drei Jahren viel erlebt: Aufstieg, Abstieg, zweite Liga, Bundesliga. Der 2:1‑Sieg gegen die Bayern, das Weltpokalsiegerbesiegerspiel. Eine tolle Zeit. Aber irgendwas ist in meinem dritten Jahr kaputtgegangen. Mit Franz Gerber (Zwischen 2002 und 2004 Trainer und Sportdirektor beim FC St. Pauli, d. Red.) bin ich nicht warmgeworden. Ich wäre gerne zu Rostock gewechselt, es gab ein Angebot. Aber St. Pauli wollte unbedingt eine Million Euro Ablöse haben. Die hätte selbst ich nicht gezahlt für mich.
Wie wirkte St. Pauli am Anfang auf Sie?
Aufregend und anders. Die überfüllte Holztribüne, die Punks, die ihre Hunde mitbrachten. Auf dem Spielfeld hast du das süße Marihuana gerochen. Ein Mitspieler erklärte mir: „Musst dir nicht die Nase zuhalten. Am Millerntor darf unser Wert bei der Dopingprobe ein bisschen höher sein als in anderen Stadien.“ Da dachte ich: „Was für’n geiler Verein!“ Dabei wusste ich anfangs nicht mal, wo St. Pauli liegt.
Wie bitte?
Als mir mein Berater das Angebot vorlegte, sagte ich: „Ja, super, da habe ich schon mal mit Fürth gespielt. Das Stadion war schön. Und da gibt’s ja auch die Reeperbahn. Aber wo liegt dieses St. Pauli eigentlich?“ Dummer Ossi halt. (Lacht.)
Wie kamen Sie mit Trainer Dietmar Demuth zurecht?
Super. Ein Kneipenkind wie ich – trockener Humor, gute Sprüche. Die Ansprache in der Kabine vor dem Bayern-Spiel ist legendär: „Männer, wir zermürben den Gegner heute durch ständiges Toreschießen.“
In der Saison wären Sie beinahe Nationalspieler geworden. Wie kam das?
Ich spielte recht gut (Acht Tore und fünf Vorlagen in 28 Spielen, d. Red.), und weil Carsten Jancker außer Form war, machte die „Sport Bild“ eine Umfrage: Welcher Stürmer soll mit zur WM 2002? Da tauchte dann auch mein Name auf.
Hat sich Rudi Völler gemeldet?
Nein, aber Michael Skibbe. Allerdings dachte ich zunächst, dass das ein Scherzanruf ist. Ich habe mich bei Kumpels ja auch gerne mal mit „Beckenbauer“ gemeldet. Aber er war es wirklich. Sagte, er wollte mich einfach mal informieren, dass ich eine Option bin, falls sich jemand verletzt. Letztendlich fuhr Jancker aber mit zur WM.
Ihre nächste WM-Chance bekamen Sie 2006.
Eines Tages sprach mich ein Redakteur des Magazins „Rund“ an, für das ich damals eine Kolumne schrieb. „Nico, ein Mann vom polnischen Verband hat angerufen und möchte wissen, ob du polnische Wurzeln hast.“ Wir fanden heraus, dass meine Oma aus Rastenburg stammt. Es hat eine Woche gedauert, bis ich alle nötigen Unterlagen für den Verband zusammenhatte.
Warum haben wir Sie dann nicht im Westfalenstadion gegen Deutschland gesehen?
Pawel Janas, damals Trainer der Polen, rief kurze Zeit später an: „Danke, dass Sie sich so bemüht haben. Wir haben nun schon unseren Kader beisammen, aber nach der WM würde ich mich gerne wieder melden.“ Da sagte ich: Ach, lass gut sein. Immerhin habe ich jetzt zwei Staatsbürgerschaften.
Sie waren nicht enttäuscht?
Es gab schlimmere Momente in meiner Profizeit. Auf dem Sterbebett werde ich einer anderen Sache nachtrauern: dass ich in der Saison 2004/05 kein weiteres Tor für Eintracht Trier gemacht habe. Wir sind damals aus der zweiten Liga abgestiegen, weil uns ein verdammtes Tor gefehlt hat.
Was war so besonders in Trier?
Zum Ersten ist die Gegend wunderschön: die Weinberge, das gute Klima, die Architektur, Frankreich ganz nah. Mit Trainer Paul Linz hat es gleich gefunkt. Bei seinem ersten Anruf verstand ich zwar kein Wort, denn sein pfälzischer Dialekt war echt hart, aber er hörte sich nett an. Also sagte ich: „Ja, ich unterschreibe.“ Bereut habe ich es nie. Wenn ich morgen im Lotto gewinne, kaufe ich mir ein Haus in Trier.
Trier ist nicht gerade als Fußballstadt bekannt.
Aber damals wurdest du als Fußballer auf Händen durch die Stadt getragen, alle waren superfreundlich, ständig wurde ich eingeladen. Und einige Zeit machte ich dieses Fußballstar-Ding mit: Ich trug blondgefärbte Haare und legte mir einen heißen Amischlitten zu. Die Leute drehten sich um, wenn ich durch die Straßen fuhr. Ganz ehrlich: Heute brauche ich das gar nicht. Ich sitze lieber in einer Eckkneipe als in einem Szenecafé in der Schanze. Aber mit Mitte 20 war das schon aufregend.
In der „Bild“-Zeitung stand, Sie lebten damals in einer Einzimmerwohnung und gingen in Second-Hand-Läden einkaufen. War das Gehalt so schlecht?
Ich lebe heute noch in einer Einzimmerwohnung. Ist doch okay. Ich kann mich eh nur in einem Zimmer aufhalten. Die Second-Hand-Sache stimmt nicht ganz. Ab und zu schauten wir bei Sergej Barbarez oder anderen HSV-Profis, was die so tragen. Die Ernüchterung kam dann in den Boutiquen: 800 Euro für eine Hose? Nur weil die von Dolce & Gabbana ist? Sind die wahnsinnig? Ich bin dann meistens zu H&M gegangen und habe mir eine ähnliche Hose gekauft.
Ist Ihnen Geld wichtig?
Natürlich würde ich gerne Sicherheiten haben und einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Aber ich brauche keinen Luxus. Ich glaube auch, dass der Satz „Je reicher, umso geiziger“ wahr ist. Als ich selbst gutes Geld verdiente, habe ich viel mehr drauf geachtet, bloß nicht zu viel auszugeben.
Als Sie vor einigen Monaten als Busfahrer anfingen, berichteten viele Medien darüber und veröffentlichten auch Ihr Gehalt.
Das ist ein deutsches Ding. Was macht der Nachbar? Was verdient er? Welches Auto fährt er? Es kann halt nicht jeder nach der Profikarriere Spielerberater, Manager oder Präsident werden. Manche werden Lehrer wie Knut Reinhardt, einige Maler wie Rudi Kargus. Andere Busfahrer. Ich bin immer gerne Auto gefahren.
Hatten Sie nie Lust, im Fußballgeschäft zu arbeiten?
Zumindest nicht in einer führenden Position. Dafür bin ich nicht hart genug. Ich könnte einem ehemaligen Mitspieler nicht sagen, dass er gefeuert ist. „Stani, Dicker, du bist raus!“ Geht nicht. Zeugwart würde ich hingegen gerne machen.
Sie waren nach Ihrer Profikarriere: Küchenhilfe, Bestatter, Paketzusteller, Disponent, Busfahrer. Welchen Job werden Sie garantiert nicht mehr machen?
Teerarbeiter. Der Gestank, die Hitze: unmenschlich. Pornostar hatte ich mal überlegt. Aber da meinte meine damalige Frau, das ist nichts für mich. (Lacht.)
Wann waren Sie zuletzt in einem Casino?
2007 habe ich mich bundesweit für alle Spielbanken sperren lassen. Seitdem war ich nie wieder in einem Casino. Zugegeben: Ich tippe einmal im Monat 50 Euro auf Fußballspiele. Das ist nichts im Vergleich zu früher.
Wie war es denn früher?
Da gab es auch mal richtig Ärger. In Ahlen wurde ich abgezogen. Ein Bekannter, der bei der Reinigungsfirma des Vereins arbeitete, hatte mich zu einer Runde eingeladen. Ich sagte zu und nahm, wie immer, 1000 Euro mit. 900 in der rechten Hosentasche fürs Zocken, 100 in der linken für Getränke und das Taxi nach Hause. Auf einmal hatte ich vier Asse auf der Hand. Seltsamerweise präsentierte ein anderer einen Royal Flush, für den man auch ein Ass braucht. Es waren also fünf Asse in Umlauf. „Okay“, sagte ich, „das war’s für mich.“ Ich bin aufgestanden und gegangen. Am nächsten Tag kamen die Typen zum Training und sagten, dass ich ihnen 8600 Euro schulde. Später tauchten sie bei meiner Wohnung auf. Ich rief also den Vereinspräsidenten Helmut Spikker an, der die Angelegenheit klären wollte.
Mit Erfolg?
Nun ja, am Ende des Monats wurden mir nur 468 Euro überwiesen. Ich fragte, wo die restlichen 8600 Euro blieben. Spikker sagte: „Ach ja, damit haben wir deine Schulden bezahlt.“
Die einen kennen Sie heute als Weltpokalsiegerbesieger, die anderen als notorischen Zocker.
So ist das. Das Zockerimage werde ich nun nicht mehr los. Aber ich will mich nicht beschweren. Ich hätte mich einfach nie auf solche Runden einlassen sollen.
Die Zockerei hat Sie sogar Ihre Profikarriere gekostet: 2009 kündigte Union Berlin mitten in der Saison Ihren Vertrag. Sportchef Christian Beeck warf Ihnen vor, spielsüchtig zu sein.
Beeck ist der schlimmste Mensch im Fußballgeschäft. Als er mir damit kam, hatte ich mich längst für die Casinos sperren lassen. Ich ließ mich auch von einem Arzt untersuchen. Seine Diagnose: Ich bin nicht spielsüchtig. Vor Gericht kam es zum Prozess, den ich gewann.
Nico Patschinski, wenn Sie heute nicht in Hamburg Bus fahren würden, wo wären Sie gerne?
Ich wäre gerne Martin Brodeur von den New Jersey Devils. Ein NHL-Eishockeytorhüter im Ruhestand, der heute wieder in der Einsamkeit von Quebec oder am Ontariosee in einer Holzhütte lebt.
—