Als Vorsänger der Ultras Dynamo rührte Stefan „Lehmi“ Lehmann mit den Dresdner Fans regelmäßig einen Hexenkessel an. Jetzt arbeitet er in den Stadionkatakomben und kocht nachhaltige und vegane Gerichte. Wie läuft’s beim Jungunternehmer?
Stefan Lehmann, Stadionwurst oder Quinoa-Frikadelle?
Ich habe im Stadion schon ewig keine Wurst mehr gegessen und Quinoa ist jetzt auch nicht so mein Ding. Daher gibt es für mich hier keinen Favoriten. Aber wenn die Stadionwurst gut gemacht ist, ist das sicher kein schlechtes Ding.
Mitten in der Corona-Pandemie haben Sie sich in der Gastronomie selbstständig gemacht. Das ist ganz schön verrückt, oder?
Ein Risiko ist natürlich immer dabei und mit Corona ist das jetzt alles nicht ohne. Aber wenn man etwas bewegen will, muss man auch mal etwas riskieren, sonst funktioniert das nicht. Und ich gehe es lieber an und ziehe das Ding durch, als mich hinterher über eine verpasste Chance zu ärgern. Und bisher bin ich ganz zufrieden damit, wie es läuft.
Ihre Firma bietet zwei von drei Tagesgerichten fleischlos an. Woher kommt Ihr Interesse an vegan-vegetarischer Ernährung?
Ich habe mich mit dem Thema intensiv beschäftigt, weil meine Frau vegetarisch unterwegs ist. Es legen eben viele Leute Wert auf eine fleischlose Ernährung, was völlig okay ist. Das wollte ich berücksichtigen, auch wenn ich selbst nach wie vor gerne mal ein Stück Fleisch esse
Immer mehr Profisportler ernähren sich mittlerweile vegan. Gibt‘s schon Bestellungen aus der Mannschaft?
Es gibt auch in Dresden ein paar Spieler, die das so handhaben, aber die kriegen ihr Essen vom Verein. Da muss ich nicht zwischenfunken. Da gibt’s Profis für, die wissen ganz genau, was die Jungs brauchen. Wir beliefern eher Leute, die im Homeoffice oder im Büro sitzen und mal was anderes essen wollen.
18 Jahre war Stefan Lehmann, den viele nur als „Lehmi“ kennen, das Gesicht der Dynamo-Fanszene. Als Vorsänger der Ultras Dynamo erlangte Lehmann nicht nur in Dresden Bekanntheit, sondern auch deutschlandweite Anerkennung – und auch mal Seitenhiebe. 2017 gab er das Megaphon an die junge Generation weiter, um „beruflich nochmal ein, zwei Schritte nach vorne zu gehen“. Jetzt ist Lehmi in die Selbstständigkeit gewechselt und versorgt Dresdner Bürger zur Mittagszeit mit Frischgekochtem, von deftiger Hausmannskost bis zu veganen Mahlzeiten.
„Der Dresdner an sich tut sich schwer mit einer radikalen Veränderung“
Schonmal von den Forest Green Rovers gehört? Der englische Viertligist ist der erste nachhaltige Fußballclub der Welt. Könnte das ein Vorbild für Dynamo werden?
Es kommt immer drauf an, wie man das gestaltet. Der Dresdner an sich tut sich wahrscheinlich schwer mit einer radikalen Veränderung. Das ist schon ein eigenes Völkchen, was hier rumspringt. Die legen viel Wert auf ihre Bratwurst und ihre Fischsemmel und die sollte man den Leuten auch nicht nehmen. Man kann immer neue Wege gehen, man kann immer etwas probieren, aber man muss versuchen den schmalen Grad zu finden zwischen Moderne und Tradition. Man sollte den Bogen nie überspannen, das ist ganz wichtig.
Ihre Küche befindet sich in den Katakomben des Dresdner Stadions. Ein paar Meter weiter haben Sie früher den berüchtigten Hexenkessel angerührt. Wie oft wird werden Sie beim Zwiebelschneiden nostalgisch?
Ich habe schon öfter morgens gedacht: „Oh geil, hier arbeite ich jetzt!“ Ich fühle mich direkt wie zuhause, weil ich hier so viele geile Momente erlebt habe. Der Kreis schließt sich sozusagen. Aber um ehrlich zu sein, am K‑Block komme ich gar nicht so häufig vorbei.
Früher als Vorsänger im Rampenlicht, jetzt im Hintergrund. Wie fühlt sich Ihr neues Leben in der Firma an?
Völlig okay. Wie auch früher in der Kurve, mache ich ja nicht die ganze Arbeit alleine. In der Kurve gibt es eine Menge Leute, die durch ihr Engagement eigentlich viel mehr im Vordergrund stehen sollten, weil sie die ganze Organisation drumherum aufrecht erhalten. Nur war ich, weil mich viele Leute kannten, das Gesicht der Gruppe. Es ist ja klar: Wer vorne am Zaun steht ist das Gesicht der Kurve, der erste Ansprechpartner, die Verkörperung der Sache. Aber im Hintergrund agieren eben immer zig andere. In Firmen ist das nicht großartig anders. Da braucht man eine handvoll kluger Köpfe. Wenn dann alles ineinander greift, dann läuft die Maschine an und man kann gemeinsam Großes erreichen.
Kommt denn in der Küche noch manchmal Ihre Anheizer-Mentalität durch?
Wenn man in seinem Auftreten authentisch ist, dann ändern sich manche Dinge eben nicht. Wenn etwas schief läuft, springen bei mir direkt gewisse Sensoren an. Wenn das nicht so wäre, würde meine Mitarbeiter sich wahrscheinlich auch denken: „Was ist denn mit ihm los?“ Generell ist der Ton in der Küche schonmal was rauer, wenn Hektik entsteht. Dann bin ich auch zwischendurch mal wieder … sehr authentisch. (Lacht.)
„Da war’s dann wichtiger, dass man noch irgendwo ein paar Bier herkriegt“
Auswärtsfahrten sind nicht immer gesund: Fertigessen und Alkohol gehören dazu. Was war in Ihrer Butterbrotsdose?
Was es da zu essen gab, war immer nebensächlich. Wenn ich mit der Gruppe unterwegs war, hatte ich keine Lust, mich mit dem Thema Ernährung auseinanderzusetzen. Ich habe dann immer Resterampe gemacht: Was im Kühlschrank noch rumstand, wurde alles durcheinander gewürfelt. Da war’s dann wichtiger, dass man noch irgendwo ein paar Bier herkriegt.
Welches Auswärtsziel hat sich denn in kulinarischer Hinsicht besonders gelohnt? Man sagt, der Nudeltopf bei Erzgebirge Aue soll gut sein…
Den Namen Aue nimmt man hier nicht so gerne in den Mund. Ich bin froh, wenn ich mit denen nicht so viel zu tun habe. Ich glaube aber, so eine Nudelpfanne ist schon was richtig gutes. Das ist dann aber auch das einzige, was die da gut machen. (Lacht.)
Sonst irgendwo besonders gut verköstigt worden?
Wenn ich im Stadion war, hatte ich immer irgendwas zu organisieren und stand dauerhaft unter Strom. Da waren andere Sachen wirklich wichtiger als das gastronomische Angebot.
Mit Pommes-Currywurst im Magen bringt man auf dem Zaun wahrscheinlich keine gute Leistung…
Nee, das macht keinen Sinn, dann wird man zu schwerfällig. Dann wäre ich auch nicht mit mir zufrieden gewesen.
Stefan Lehmann, zum Schluss müssen wir noch eine Sache klären: Haben Sie die Ultras Frankfurt schon zum Döneressen eingeladen?
(Lacht.) Nene, ich glaube, das werde ich auch nicht machen. Wenn sie Hunger haben, gibt es in Frankfurt sicher auch eine gute Dönerbude. Da müssen sie nicht nach Dresden fahren. Aber ich muss sagen, dass ich riesengroßen Respekt vor ihnen habe, weil sie die Ultra-Sache in Deutschland mächtig nach vorne gebracht haben. Von daher: alles gut.