Schweinsteigers Wechsel kam plötzlich. Doch schon am Tag darauf kursierte ein aufwändig produzierter Werbeclip. Er zeigt, was Schweinsteiger nicht mehr sein will: das Maskottchen des FC Bayern.
Am späten Freitagabend kam die Nachricht, am frühen Samstagmorgen war sie bereits Kitsch: Bastian Schweinsteiger verlässt den FC Bayern, so ging es über den Ticker, als Eilmeldung, und keine zwölf Stunden später kursierte im Internet schon dieser Clip, produziert von seinem Sponsor, einem US-amerikanischen Kopfhörerhersteller: Schweinsteiger, gespielt von Schweinsteiger, nimmt darin in aller Stille Abschied von München. Dazu läuft Fanmeilen-Soul, der einem so oder so einen Schauer über den Rücken jagt.
Während seine Fans also noch schlafen und viele von ihnen womöglich noch gar nicht wissen, was da an epochalen Umwälzungen im Gange ist, steht Schweinsteiger in diesem Clip auf dem Balkon eines seltsam anonymen Lofts, aus dem entweder Möbelpacker bereits alle persönlichen Gegenstände herausgeräumt oder sich nie welche befunden haben, und blickt über die im Morgenlicht liegende Stadt. Dann packt er ein paar Dinge in seine sehr kleine Tasche, unterschreibt mit ostentativem Schwung noch ein letztes Dokument, den neuen Vertrag bei Manchester United vielleicht, steigt schließlich in eine Limousine und fährt davon, in seine ganz persönliche Zukunft. Den Fernseher, aus dem Highlights seiner Karriere flimmern, lässt er einfach laufen. Damit auch ja niemand hört, wie die Tür ins Schloss fällt.
Wie ein Abschiedsbrief, der auf dem Küchentisch lag
Der Clip mutete an diesem Samstagmorgen an wie eine Liveschaltung in die unwirkliche Wirklichkeit eines modernen Fußballprofis: Der echte Schweinsteiger flog am selben Tag ja tatsächlich zum Medizincheck nach Manchester. Als die Fans erwachten, sich aus ihrer Bayern-Bettwäsche schälten, die Nachricht vom Abgang ihres heißgeliebten Schweini hörten und in ihren Foren sofort im Dreieck zu springen begannen, war es dennoch schon viel zu spät: Der Clip, so nah er auch wirkte, war ein Abschiedsbrief, der auf dem Küchentisch lag. Plötzlich zwar in seinem Erscheinen, doch wohlgeplant in seiner Entstehung.
Er ist natürlich nicht über Nacht gedreht worden, er muss vorbereitet gewesen sein, Tage, ja Wochen, bevor die Nachricht vom Wechsel an die Öffentlichkeit drang, womöglich sogar vor dem ersten vertiefenden Gespräch mit den Vereinsverantwortlichen. Deshalb enthält er auch neben der frohen Botschaft, dass sich Schweinsteiger als Kopfhörer-Testimonial ein erkleckliches Sümmchen dazuverdient, noch eine andere: Er ist – entgegen aller volkstümlichen Erregungsreflexe – beim FC Bayern nicht vom Hof gejagt worden. Der Schritt muss durchaus freiwillig gewesen sein, geplant bis hin zur viralen Werbekampagne.
Die Deutungshoheit über Schweinsteigers Karriere und deren Vermarktung liegt also nicht bei Pep Guardiola oder Karl-Heinz Rummenigge und erst recht nicht bei den Anhängern des FC Bayern. Er gehört nicht zum Inventar des FC Bayern, verschiebbar wie ein alter Schreibtisch, der zwar aus der Mode gekommen ist, von dem man sich aber auch nicht so ganz trennen mag. Er ist nicht das lebendige Exponat eines ideellen Museums, in dem sich der Traditionsgeist manifestieren kann, inmitten eines immer kommerzieller werdenden Fußballgeschäfts, der letzte wahre Bayer in einem von superflinken Spaniern unterwanderten Verein. Nein: Schweinsteiger will nicht mehr der local hero sein, der im Glockenbachviertel ganz volksnah sein Eis schleckt und sich zur Selbstvergewisserung des Vereins maskottchenhaft die Lederhose anzieht. Man soll ihn als Weltstar wahrnehmen, der seine Freundin, die Tennisspielerin Ana Ivanovic, in Paris und Wimbledon anfeuert, hinterher fotogen mit ihr durch die Parks der Metropolen spazieren geht – und ganz autark das letzte große Kapitel seiner glänzenden Karriere entwirft. Inklusive der Inszenierung als kopfhörertragender global player.