Robert Lewandowski ist Weltfußballer. Die Wahl erfolgt genau zu dem Zeitpunkt, an dem es ihm zum ersten Mal in seiner Karriere nicht mehr nur um ihn selbst geht.
Als es dann wirklich so weit war, vermeldete der Twitter-Account von Robert Lewandowski: „I will repeat what I said a while ago. Never stop dreaming. Thank you so much for this award, it’s an incredible honour to receive this tonight. Dziękuję!“ Und wieder einmal fragte man sich, welche Bots eigentlich einen so trüben Kram verschicken, um eine so wunderbare Auszeichnung wie die zum „Weltfußballer“ zu feiern. Auf der anderen Seite hat Robert Lewandowski selber ja ebenfalls immer etwas leicht roboterhaft Irreales an sich. Obwohl er den Höhepunkt seiner Karriere in einem Moment erreicht hat, wo man fast schon von seiner Menschwerdung sprechen kann.
Zentrales Moment der Lewandowski-Folklore war lange eine leicht ins Pathologische überlappende Besessenheit Tore zu schießen. In seiner Autobiographie „Meine wahre Geschichte“ wird etwa erzählt, wie Vater Krzysztof, ein Judoka und Fußballtrainer, sowie seine Mutter Iwona, eine Volleyballspielerin, ihn Judo machen lassen wollten, er aber natürlich immer nur kicken wollte. Zu Karneval verkleidete der kleine Robert sich in einem Trikot der dänischen Nationalmannschaft – als Fußballspieler. Und angeblich brachte er dem Hund der Familie, einem Boxer namens Kokusia, sogar bei, nach dem Ball zu springen, ohne ihn zu zerbeißen, um mit ihm Elfmeter trainieren zu können.
Über die Jahre entspann sich die endlose Mär von Lewy dem Superprofi, der jede Sekunde seiner Existenz dem Gedanken der Leistungsoptimierung zu widmen schien. Der sicherlich nicht leicht zu beeindruckende Pep Guardiola sagte über ihn: „Er ist einer der professionellsten Fußballspieler, mit denen ich je gearbeitet habe.“ Allerdings ging das stets mit einem mitunter beängstigenden Egoismus einher. Lewandowski wirkte wie ein Individualsportler, der eher irrtümlich im Teamsport gelandet war. Er sah mit dem Erzielen von Toren seinen Job erledigt und kümmerte sich um den Rest nicht.
Daher brach unter den Anhängern von Borussia Dortmund auch nicht annähernd das Klagen und Wehgeheule aus, als er 2014 nach München wechselte, wie etwa bei den Abgängen von Mats Hummels oder Mario Götze. Lewandowski hatte schließlich von Anfang an klar gemacht, dass er ein Mann auf der Durchreise zu größeren Klubs und größeren Verträgen war. Auch in München blieb das lange so, denn es gab ja etwa noch Real Madrid, weshalb er 2018 den Agenten Pini Zahavi engagierte (der die Bayern gerade in Sachen David Alaba bis aufs Blut quält), um ihn auf dem Olymp des Fußballs zu bringen und dort Cristiano Ronaldo zu ersetzen.
Bekanntlich wurde daraus nichts. Lewandowski verlängerte 2019 seinen Kontrakt in München bis 2023, wo er dann 35 Jahre alt sein und vermutlich das Ende seiner Karriere erreicht haben wird. Erstaunlicher Weise veränderte er sich danach und vermutlich auch dadurch. Seine Mannschaftskameraden stellten verblüfft fest, dass Lewandowski, zuvor noch egozentrischer als Arjen Robben, sich nun plötzlich für die Mannschaft interessierte – nach immerhin schon sechs Spielzeiten bei den Bayern. Dass er im September 2019 Philippe Coutinho, der sich in München schwer tat, einen Elfmeter schießen ließ, wäre vorher unvorstellbar gewesen. Angeblich nahm er sich auch des Nachwuchsstürmers Jan-Fiete Arp an und machte mit ihm Zusatztraining.
Auch auf dem Platz wurde aus dem Einzel- zunehmend ein Mannschaftssportler. Thomas Müller lobte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung: „Robert Lewandowski hat nicht nur mit Toren geglänzt, sondern richtig gut mitgearbeitet. Früher gab es ja immer mal Phasen, da haben wir Mittelfeldspieler gesagt: Heute hätten wir uns da vorne noch ein bisschen mehr Laufleistung gewünscht – immer dann, wenn wir wieder mit rotem Kopf das Spielfeld verlassen haben, nach 13 gelaufenen Kilometern.“ Es gehört sicherlich auch zu den großen Leistungen von Hansi Flick, der bei der Wahl zum Welttrainer Jürgen Klopp den Vortritt lassen musste, dass er den neuen Teamgeist von Lewandowski auch strategisch nutzte. Denn all die Erfolge der Bayern in diesem Jahr basierten auf einem Pressing, das eben nicht funktioniert, wenn ein auf seine Torquote fixierter Mittelstürmer dabei nur halbherzig mitmacht.
Der Post-Ego-Lewandowski hat trotzdem oder vielleicht auch deshalb in der letzten Bundesligasaison so viele Tore geschossen wie nie zuvor (34), für die 15 Treffer in der Champions League gilt das gleiche. Er gewann endlich die Champions League, er wurde Europas Fußballer des Jahres und nun auch Weltfußballer. Das alles führt zu der tröstlichen Pointe, dass der beste und erfolgreichste Lewandowski genau der Lewandowski ist, der nicht mehr nur darauf geschaut hat, dass er der beste und erfolgreichste ist. Der also verstanden hat, dass es dem Ich in einer Mannschaft am besten geht, wenn das Wir am stärksten ist.