Dreißig Jahre nach dem Gewinn der DDR-Meisterschaft kann Hansa Rostock einen entscheidenden Schritt in Richtung 2. Bundesliga machen. Warum es an der Ostsee aktuell so gut läuft.
4. Mai 1991, Hansa Rostock gegen Dynamo Dresden. Es ist das Spitzenspiel der DDR-Oberliga, der Erste spielt gegen den Zweiten, vier Spieltage vor Saisonende kann sich die Meisterschaft entscheiden. Und tatsächlich: Das Glück ist mit Hansa. Ein früher Führungstreffer, verletzungsgeplagte Dresdner, die auch noch einen Platzverweis kassieren, und zwei Tore nach dem zwischenzeitlichen Ausgleich – der ewige Zweite Hansa Rostock ist Meister! Es ist die letzte Meisterschaft der DDR-Oberliga, die gleichzeitig die Teilnahme an der gesamtdeutschen Bundesliga bedeutet. Und das ausgerechnet gegen den Rivalen Dynamo Dresden.
Diese Zeiten sind lange vorbei, genau dreißig Jahre ist der Titelgewinn der Rostocker mittlerweile her. Nach zehn Jahren Bundesliga zwischen 1995 und 2005 heißt der Alltag seit nunmehr fast zehn Jahren 3. Liga. Die Hansakogge musste bisweilen sogar Richtung Regionalliga blicken. Musste. Denn in den letzten drei Jahren erreichte Rostock jeweils den sechsten Platz, es war sogar mehr möglich. In der aktuellen Saison greift der Verein nun ganz oben an. Der schlechteste Tabellenplatz war der elfte am dritten Spieltag, seit Ende Februar steht Hansa auf dem zweiten Platz, punktgleich mit Dynamo Dresden. Weil die Sachsen zwei Spiele nachholen mussten, waren die Mecklenburger zeitweise sogar an der Tabellenspitze. Aus den letzten fünfzehn Spielen ging bei elf Siegen nur ein einziges Spiel verloren. Hansa Rostock ist das beste Team der Rückrunde.
Dass zwischendurch eine Partie vor Fans ausgetragen werden konnte, war das Sahnehäubchen in einer starken Phase. Für die Kogge läuft es, wenn es so weitergeht, könnte sie schon am Samstag als Aufsteiger in die 2. Bundesliga feststehen. Ein Sieg gegen Ingolstadt heute Abend wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung: die Schanzer wären dann fünf Punkte auf Distanz.
Was ist anders als in den vorherigen Spielzeiten, als der Aufstieg auch schon greifbar schien, letzten Endes aber verspielt wurde? Ein wichtiger Faktor bei dieser Entwicklung: Konstanz. Und zwar sowohl im Hinblick auf die Ergebnisse als auch auf das Personal. Nach einiger Unruhe und vielen Wechseln sind Sportvorstand Martin Pieckenhagen und Trainer Jens Härtel seit Januar 2019 im Amt. Dass dieser Zeitraum von gerade einmal zwei Jahren bereits bereits als konstant gilt, sagt viel über die vorherigen Rostocker Jahre aus. Der Kader selbst wurde zwar zu Beginn der Saison umgebaut – vierzehn Spieler verließen den Verein, zehn neue kamen im Sommer, vier weitere im Winter. Viele der Neuzugänge allerdings kennen den Trainer und sich gegenseitig bereits aus Magdeburger Zeiten: Manuel Farrona Pulido, Jan Löhmannsröben, Björn Rother sowie die Winterzugänge Tobias Schwede und Philip Türpitz spielten unter Härtel zum Teil zur selben Zeit beim 1. FCM.
Auch in den Ergebnissen zeigt sich eine Konstanz: Elf Siege aus fünfzehn Spielen bedeuten den ersten Platz der Rückrundentabelle. Ausschlaggebend dafür ist unter anderem die starke Abwehr der Mecklenburger. Ähnlich wie zum Ende der Vorsaison kassierten bisher nur zwei Vereine weniger Tore. 1860 München und Spitzenreiter Dynamo Dresden stehen bei 29 Gegentreffern, Rostock bei 31. Besonders hilfreich ist das, weil unter den Top Sieben der Liga nur ein Team weniger Tore erzielte. Drei der wichtigen Defensivakteure verlängerten kürzlich ihre Verträge: Eigengewächs Lukas Scherff auf der linken Seite und Innenverteidiger Julian Riedel jeweils bis 2023, dessen Nebenmann Sven Sonnenberg bis 2022. Ein wichtiges Zeichen, gerade so kurz vor dem entscheidenden Duell gegen Ingolstadt. Allerdings müssen die Rostocker aufpassen: Fünf ihrer Gegentore fielen allein in den vergangenen vier Spielen, zuletzt zwei recht einfache gegen Meppen.
Eine weiterer wichtiger Punkt ist die Art und Weise, wie Hansa die Spiele gewinnt. Das Rostocker Spiel wird vom Willen bestimmt, von Arbeit und Konzentration über die volle Distanz. Mit eigener Führung im Rücken ließ die Mannschaft bisher erst einmal Punkte liegen. Umgekehrt sammelte sie in fünfzehn Spielen, in denen sie in Rückstand geraten war, immer noch starke achtzehn Punkte. Sie spielen die Partien bis zur letzten Minute konzentriert zu Ende: Schon fünfmal trafen die Rostocker in der Nachspielzeit, was dreimal einen Last-Minute-Sieg bedeutete. Überhaupt ist die Offensive mit Toptorschütze John Verhoek, Pascal Breier, Bentley Baxter Bahn, Nik Omladic und Manuel Farrona Pulido breit besetzt.
Durch den Abbruch der Junioren-Ligen haben bereits sowohl die U19 als auch die U17 von Hansa Rostock den Aufstieg in die Junioren-Bundesligen geschafft. Die A‑Mannschaft kann dieses Ziel noch selbst klar machen, das Restprogramm sieht vielversprechend aus: drei der letzten vier Partien sind Heimspiele, nach Ingolstadt wartet Zwickau (11.), die letzten beiden Spiele der Saison gehen gegen Unterhaching (20.) und Lübeck (19.), deren Abstieg so gut wie besiegelt ist. Ein Sieg gegen Ingolstadt am Dienstagabend wäre ein wegweisender Schritt Richtung 2. Bundesliga. Und der Jahrestag der letzten DDR-Meisterschaft ein mehr als passendes Datum.