Wenn Aston Villa spielt, ziehen hunderte Bewohner des südghanaischen Juaben singend durch die Straßen. Wie konnte es soweit kommen?
Die Prozedur gleicht einem bunten Mix aus europäischem Fanmarsch und brasilianischem Straßenkarneval: Vor jedem Spiel von Aston Villa sammeln sie sich zu Hunderten und ziehen lauthals singend durch die staubigen Straßen: „Every week we follow the boys in claret and blue … we’ve conquered all Europe in 1982 …“ Das Ziel dieses gut tausendfüßigen Lindwurms in Weinrot und Himmelblau ist nicht etwa der Villa Park in Birmingham, denn der liegt beachtliche 8.000 Kilometer weiter nördlich. Von einer kostspieligen Reise nach England können die allermeisten hier auch in Nicht-Corona-Zeiten nur träumen.
Die Aston-Villa-Fans aus Juaben in der ghanaischen Provinz Ashanti wollen ihrem Klub trotzdem so nahe sein, wie es nur eben geht: An Spieltagen strömen sie gemeinsam zu einem zentralen Platz in dem beschaulichen Provinzstädtchen, wo vor jedem Straßencafé ein großer Fernseher postiert ist. An guten Tagen kommen hier bis zu 1.000 Anhänger zusammen. Die Villa-Trikots, die sie tragen, sind meist Modelle aus dem Vorvorjahr oder noch älter. Viele der Leibchen stammen aus Paketspenden von Villa-Fans aus England und der übrigen Welt, die via Social Media mit den ghanaischen Anhängern vernetzt sind. Ab und zu schickt auch der Verein selbst eine Ladung älterer Fanartikel nach Juaben.
Während im übrigen Afrika die Farben von Manchester United, FC Liverpool und FC Chelsea dominieren, ist diese 5.000-Seelen-Gemeinde fest in der Hand fanatischer „Villans“. Etwa jeder dritte Einwohner Juabens ist Mitglied im örtlichen Fanclub „Ghana Lions“ (benannt nach dem Wappentier von Aston Villa). Die Verbindung der Kleinstadt in Süd-Ghana mit dem Klub in den englischen Midlands ist sozusagen historisch: „Der Vater meines Großvaters lebte früher in der Nähe von einigen Weißen, die aus Birmingham hierher gekommen waren“, erzählt Owusu Boakye Amando von den „Ghana Lions“ im Gespräch mit der britischen BBC: „Sie sagten immer, sie würden meinen Urgroßvater eines Tages mit nach Birmingham nehmen, damit er für Aston Villa spielen könne.“
Die England-Reise fand niemals statt, geschweige denn der Transfer zum Profiklub. Doch allein das Gerücht, dass einer von ihnen zu einem der beliebtesten Vereine im Vereinigten Königreich wechseln könnte, ließ Hunderte in Juaben zu begeisterten Aston-Villa-Fans mutieren – und das in den 1960er-Jahren, als in Afrika so gut wie keine Bewegtbilder aus der englischen Elite-Spielklasse verfügbar waren. Rund 20 Jahre später sollte sich diese Treue zum Klub auszahlen, denn am 26. Mai 1982 gewann Aston Villa sensationell den Europacup der Landesmeister in einem denkwürdigen Finale gegen den FC Bayern. Das Siegtor in Rotterdam erzielte ein gewisser Peter Withe aus kürzester Distanz.