Nie war die Abstiegsgefahr bei Werder größer als in dieser Saison. Trotzdem hält der Verein an Trainer Florian Kohfeldt fest. Am Wochenende, als die Liga wegen Anti-Hopp-Bannern in Aufregung geriet, trafen wir drei lebenslang Grün-Weiße in der Bremer Kneipe „Eisen“.
Dieser Text erschien erstmals im März in 11FREUNDE #221. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhältlich.
Piet Munk: Ich bin mir immer noch nicht sicher, worum es bei diesen grotesken Szenen gestern wirklich ging. Kann mir das einer erklären?
Fernando Guerrero: Ich glaube, das ist vor allem Widerstand gegen die Art und Weise, wie die Verantwortlichen beim DFB und in den Klubs die Fanszenen behandeln. Wie ein strenger Papa, der seinen bockigen Teenager ohne Essen ins Bett schicken will. Aber so kannst du mit den Ultras nicht kommunizieren. Die internen Mechanismen dieser Subkultur sind noch immer nicht im Ansatz begriffen worden. Kalle Rummenigge kam mir vor wie einer, der im Kampf gegen den Klimawandel den Alu-Hut rausholt. Korrigiere: Die Alu-Rolex.
Johanna Göddecke: Und DFB-Präsident Keller hat anschließend angedeutet, dass die Abschaffung von Stehplätzen ein Thema werden könne, weil Ultras die Fußballkultur kaputtmachen würden. Beim DFB hat offenbar noch immer keiner einen blassen Schimmer von Fankultur. Dabei würde schon ein Blick nach Bremen reichen, um zu erkennen, was die angeblich so doofen Ultras in der Vergangenheit alles geleistet haben. Dank der Ultras haben wir im Weserstadion keine Nazis mehr. Das kann man gar nicht oft genug betonen.
Munk: Bei Bannern, die Hopps Konterfei im Fadenkreuz zeigen, denke ich mir trotzdem: Ihr habt doch einen an der Waffel!
Guerrero: Das geht mir bei einem Begriff wie „Hurensohn“ ähnlich. Man kann sich nicht auf der einen Seite gegen Sexismus positionieren und auf der anderen Seite so seinen Protest ausdrücken.
Munk: Noch schlimmer fand ich allerdings die Reaktionen der Offiziellen. Für die sind wir Stehplatzfans nicht mehr als Pausenclowns, die mit ihrer guten Laune dafür sorgen sollen, dass sich das Hochglanzprodukt Fußball besser verkauft.
Guerrero: Schon krass, wie sich die selbsternannten Leistungsträger unserer Gesellschaft bei diesem Thema verhalten. Da herrscht ein erschreckendes Schwarz-Weiß-Denken vor, ohne jegliche Zwischentöne. Niemand scheint sich zu fragen, was der Grund dafür ist, dass Fanszenen so reagieren, wie sie reagieren. Das Privileg der Jugend und der Subkulturen sollte doch auch diese Vehemenz sein. Selbst wenn man mal über das Ziel hinausschießt. Eigentlich wird man mit dem Alter ruhiger und gelassener. Dass nun gesetzte Herren wie Rummenigge und mit ihm ein Großteil der Medienlandschaft genauso reagieren wie aufgeregte Teenager, finde ich total erschreckend.
Munk: Die große Frage ist doch: Wem gehört eigentlich der Fußball? Wem gehört ein Klub wie Werder? Wiesenhof (Trikotsponsor, d. Red.) und Wohninvest (Namensgeber des Weserstadions, d. Red.)? Den Menschen in den teuren Logen? Den aktiven Fans, die sich ähnlich positionieren wie die Bayern-Fans gegen Hoffenheim?
Göddecke: Die Stimmung ist ziemlich zwiegespalten, auch in Bremen. Obwohl uns die vernünftige Kommunikation auf Augenhöhe in der jüngeren Vergangenheit doch immer von anderen Klubs abgehoben hat. Als die Ultras im Pokalspiel gegen Heidenheim ein kritisches Banner präsentierten („Immobilienhaie – Vorsicht – bissig!“, d. Red.), hat die Polizei es entfernt, die Ultras verließen anschließend geschlossen die Ostkurve und wurden von vielen anderen im Stadion ausgepfiffen. Das fand ich total daneben.
Guerrero: Die Klammer, die alles zusammenhält, ist leider oft Erfolg.
Mit seinen Fischkopp-Klamotten läuft die halbe Ostkurve rum. Er hat seit 1982 eine Dauerkarte, was den Werder-Blogger nicht davon abhält, seinem Heimatverein Göttingen 05 die Daumen zu drücken.
Zog 2013 aus dem Sauerland nach Bremen, natürlich für Werder. 2016 hatte sie entscheidenden Anteil am Klassenerhalt: Als Mitinitiatorin der #greenwhitewonderwall. Für 11 FREUNDE damals die „Fanaktion des Jahres“.
Dauerkarteninhaber beim SVW und FC St. Pauli. Außerdem Geschäftsführer der vor allem bei Werder-Fans beliebten Viertel-Kneipe „Eisen“. Gefrusteten Fans empfiehlt er die Spezialität des Hauses: einen Schnaps namens „Krabbeldiewandnuff“.