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Seite 2: „Vielleicht trägt diese bedingungslose Liebe Mitschuld am aktuellen Desaster"

Göd­decke: Stimmt. Aber gerade in der Saison zeigt sich doch, wie außer­ge­wöhn­lich das Werder-Publikum ist. Jeden Spieltag bekommen wir auf die Fresse und trotzdem werden Auf­rufe gestartet, die Mann­schaft zu unter­stützen. Statt die Abfahrt des Team­busses zu ver­hin­dern oder wütend am Zaun zu rüt­teln, wird hier nach dem Schluss­pfiff applau­diert. Selbst beim 0:2 gegen Union Berlin, wo wir nach dem Sieg im Pokal gegen Dort­mund alle die Hoff­nung hatten, dass es jetzt wieder bergauf gehen würde.

Guer­rero: Man kann das gar nicht hoch genug ein­schätzen, was die Bremer Ultras in Sachen Umgangs­kultur geschaffen haben. Ich weiß noch, wie Pascal Borel (ein frü­herer Werder-Keeper, d. Red.) damals nach einigen Feh­lern höh­nisch beklatscht wurde, als er unfall­frei einen Rück­pass wei­ter­lei­tete. Da war ich kurz davor, nicht mehr ins Sta­dion zu gehen. Der Sup­port der Ultras nach der schlimmen Nie­der­lage gegen Union war mein bis­he­riges Sai­son­high­light. Liebe ist eben bedin­gungslos!

Munk: Viel­leicht trägt diese bedin­gungs­lose Liebe aber auch Mit­schuld am aktu­ellen Desaster. Bestes Bei­spiel: Der unge­bro­chene Zuspruch für Flo­rian Koh­feldt. Der hatte eine kom­plette Vor­be­rei­tung zur Ver­fü­gung, durfte über die Trans­fers ent­scheiden, sich eine Mann­schaft nach seinen Vor­stel­lungen zusam­men­stellen – und trotzdem funk­tio­niert es vorne und hinten nicht! Manchmal frage ich mich, ob er wirk­lich die Kom­pe­tenzen besitzt, die ihm zuge­spro­chen worden sind.

Guer­rero: Koh­feldt ist in meinen Augen das letzte Pfund, das wir noch haben! Ein phan­tas­ti­scher Trainer, der im Verein schon an ganz vielen Stell­schrauben gedreht hat, die kom­plette Mann­schaft hinter sich stehen hat und für diesen Verein brennt. Vor einem Jahr, als ihn alle gefeiert haben, hätte der zu Dort­mund gehen können und hat sich doch zu Werder bekannt, weil er hier etwas auf­bauen will. Wo gibt es so was denn noch? Das ist doch das, was man sich als Fan wünscht. Ihn jetzt zu ent­lassen, wäre gera­dezu hirn­rissig.

Warum hat man sich dann vor der Saison hin­ge­stellt und als Sai­son­ziel Europa aus­ge­geben? Totaler Quatsch“

Piet Munk

Munk: Aber wäh­rend wir hier zusam­men­sitzen (1. März 2020, d. Red.), steht Werder auf Platz 17 und hat acht Punkte Rück­stand auf Rang 15 …

Guer­rero: Das hat am wenigsten was mit Koh­feldt zu tun. Auch nicht mit Frank Bau­mann (Geschäfts­führer Sport, d. Red.). Die Schere zwi­schen den Klubs ist inzwi­schen so groß, dass sich ein Klub wie Werder nur Spieler leisten kann, die die ersten zehn Ver­eine der Liga nicht haben wollen. Und mit einem kaputten Schlauch­boot hast du auf Dauer keine Chance gegen die Speed­boote der Kon­kur­renz. Teams wie Werder, Mainz oder Frei­burg dürfen sich keine Fehler und keine Schwä­che­phasen erlauben, wenn sie nicht in den Abstiegs­strudel geraten wollen. Ein Klub wie Dort­mund kann zehn Spiele ver­ka­cken und landet am Ende trotzdem in der Cham­pions League. Der Abstieg wird kommen. Wenn nicht in dieser Saison, dann in den nächsten zwei oder drei Jahren.

Göd­decke: Nur mit dem dau­er­ver­letzten Philipp Barg­frede und Nuri Sahin im defen­siven Mit­tel­feld zu planen, war nicht schlau. Aber für ver­nünf­tigen Ersatz bzw. Alter­na­tiven fehlte wieder das Geld. Und dann die ganzen Ver­let­zungen! Bestes Bei­spiel dafür ist Niclas Füll­krug. Der kam vor der Saison für 6,5 Mil­lionen Euro als Top­transfer aus Han­nover, holte drei Scor­er­punkte in vier Spielen und riss sich dann das Kreuz­band. Wie hat es Andi Brehme gesagt: Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß“ – nie hat das besser gepasst als in dieser Saison.

Munk: Warum hat man sich dann vor der Saison hin­ge­stellt und als Sai­son­ziel Europa aus­ge­geben? Totaler Quatsch. Es wäre völlig aus­rei­chend gewesen, als Mini­mal­ziel 40 Punkte aus­zu­geben und dann wei­ter­zu­schauen.

Guer­rero: Das war schon jugend­lich forsch von Koh­feldt. Aber ver­giss nicht, dass das sein drittes Jahr als Pro­fi­trainer ist. In zehn Jahren würde er so eine Ziel­vor­gabe ver­mut­lich anders for­mu­lieren. Mich hat diese Saison auch kalt erwischt. Aber wisst ihr, warum ich ziem­lich gefasst reagieren werde, wenn wir wirk­lich absteigen sollten? Weil das nicht mehr der Fuß­ball ist, in den ich mich einst ver­liebt habe. Weil das nicht mehr die Bun­des­liga ist, von der ich mich unter keinen Umständen ver­ab­schieden will. Ich komme mir vor wie einer, der jah­re­lang immer in den glei­chen Urlaubsort gefahren ist, weil er den tollen Strand und die intakte Natur so liebte und sich jetzt not­ge­drungen nach etwas anderem umschaut, weil dort nun Hoch­häuser stehen und alles voll­ge­müllt ist. Und selbst wenn wir den Klas­sen­er­halt packen: Die oberen Tabel­len­plätze der Bun­des­liga wird Werder Bremen wohl nie wieder errei­chen.

Munk: Sehe ich nicht so. Mit etwas Glück könnten wir es in Zukunft sogar mal wieder in den Euro­pa­pokal schaffen. Aber zwi­schen Platz sechs und einem Abstiegs­rang ist es eben nur noch ein schmaler Grat.

Guer­rero: Die Qua­li­fi­ka­tion für den Euro­pa­pokal wäre, so blöd es klingt, ver­mut­lich das Schlimmste, was einem Verein wie Werder pas­sieren könnte. In der Som­mer­pause werden die besten Spieler weg­ge­kauft, die Mann­schaft zer­fällt und kann die Dop­pel­be­las­tung nicht aus­halten. Dann ist der Abstieg garan­tiert. Der ist in Bremen nur eine Frage der Zeit – uns fehlen ein­fach die Mög­lich­keiten, auf Dauer in dieser Form von erster Liga zu bestehen.