2002 mischte er mit Bayer Leverkusen Europa auf, später stand er mit Chelsea noch mal im Finale. Die Champions League gewonnen hat er aber nie. Warum nur, Michael Ballack?
Barcelona, Arsenal, Juventus, Liverpool, Manchester United: Es war nicht gerade Laufkundschaft, die Sie aus dem Weg geräumt haben.
Aber es war ja, um den Begriff aufzunehmen, auch keine Laufkundschaft, die bei uns gespielt hat. Wir hatten Nationalspieler aus Deutschland, Brasilien, Kroatien, Bulgarien und der Türkei, dazu noch einige, die auf dem Sprung waren. Und mit jedem großen Namen, den man aus dem Weg räumt, wächst man. Selbst wenn man zuvor auf dem internationalen Parkett noch nicht so zu Hause war.
Lässt sich das mit Borussia Dortmund vor zwei Jahren vergleichen? Auf einmal ist da ein Gefühl, die Welt aus den Angeln heben zu können?
Ich glaube, dass wir die noch etwas feinere Klinge gespielt haben als der BVB. Dortmund pflegt einen anderen Stil, überfallartig und mit unheimlich viel Tempo. Jürgen Klopp hat aus dem Nichts eine Mannschaft aufgebaut, die ihm überall hin gefolgt ist. Ich wage einfach mal zu behaupten, ohne den Trainer hätten sie das nicht geschafft. Sein Einfluss war wahrscheinlich größer als der jedes anderen Trainers auf eine Mannschaft.
Und Toppmöller hat damals einfach gesagt: „Ich habe eine geile Truppe, und die lasse ich jetzt einfach mal spielen.“
So ungefähr, aber Toppi hat das sehr gut gemacht. Er hatte das richtige Gefühl dafür, was diese Mannschaft braucht. Manchmal können ja schon kleine Dinge dafür sorgen, dass etwas aus dem Ruder läuft.
Nach dem 2:2 im Halbfinale bei Manchester United wurde die Bayer-Elf im Old Trafford mit stehenden Ovationen verabschiedet.
Das war eine Gänsehautatmosphäre, die ich nie vergessen werde. Dort so zu bestehen, war toll.
Stimmt es, dass die Mannschaft beim Rückspiel bereits auf dem Zahnfleisch ging?
Wir hatten viele Verletzte. Jens Nowotny hatte sich das Kreuzband gerissen, Zoltan Sebescen hat mit einem Knorpelschaden gespielt und sich dabei das Knie ruiniert. Wegen der Dreifachbelastung waren die meisten an ihre körperlichen Grenzen gestoßen, und es war offensichtlich, dass wir auf der Felge liefen.
Über das 1:1 im Rückspiel hat Reiner Calmund später gesagt: „Danach habe ich Ballack zum Ritter geschlagen. Er ist schon halb bei Bayern München, hat die WM vor der Brust und wirft sich in jeden Ball, als gäbe es kein Morgen.“
Das Lob ehrt mich, aber wenn du nach der Saison zu einem direkten Konkurrenten wechselst, musst du tatsächlich noch bessere Leistungen bringen, um einen versöhnlichen Abschluss zu erreichen. Außerdem ging es immerhin darum, die Champions League zu gewinnen. Die Chance dazu hat man im Leben nicht so oft.
Hat das Team daran geglaubt, im Finale als Sieger vom Platz zu gehen?
Ja, klar. Letztlich ist es ja auch nur an ein paar Kleinigkeiten gescheitert. Zum Beispiel war Zé Roberto wegen eines blöden Ball-Wegtippelns für das Finale gesperrt. Das hat uns sehr weh getan.
Am Ende hat Bayer nicht nur den Champions-League-Titel verspielt. Wie konnte es passieren, dass diese tolle Elf komplett leer ausging?
Das fragen sich die Leute in Leverkusen wahrscheinlich noch heute.
War der Kader zu klein?
Mag sein. Bayer Leverkusen konnte zwar damals in einen Topkader investieren, aber eben nicht in zwanzig Spieler. So hat man dann gesagt, wir haben zehn, elf richtig gute Leute und schauen, wie weit wir damit kommen. Irgendwo hast du immer eine Schwachstelle und in diesem Fall war das vielleicht die mangelnde Tiefe des Kaders. Obwohl der Kräfteverschleiß gerade im Endspiel für mich kein Argument war, weil wir in den letzten zwanzig Minuten nur gedrückt haben und eine Chance nach der anderen hatten. Real Madrid hatte viel größere körperliche Probleme als wir, hat aber letztlich von einem Sonntagsschuss von Zinedine Zidane profitiert.
Und vom besseren Torwart.
Der, der dann während des Spiels reinkam (der junge Iker Casillas, d. Red.). So beginnen Karrieren.
Und der Substanzverlust hat keine Rolle gespielt?
Im Endspiel nicht, aber mir fällt eine andere Geschichte ein. In der Zwischenrunde, die es damals noch gab, mussten wir zu Juventus Turin. Das Spiel wurde wegen Nebels um eine Woche verschoben, aber dann herrschte schon wieder Nebel. Leider war Calli nicht da, er war aus irgendeinem Grund in Südamerika. Jedenfalls sagte die UEFA: „Wir haben keinen Ausweichtermin mehr, es muss auf jeden Fall gespielt werden.“ Am Mittwochabend ging es nicht mehr, also Donnerstag, 15 Uhr. Wir sind erst stundenlang durch Turin gegurkt, um noch ein Restaurant zu finden. Ein Hotel in der näheren Umgebung war auch nicht zu kriegen, so dass wir zwei Stunden Richtung Alpen gefahren und nachts um zwei ins Bett gekommen sind. Am nächsten Morgen ging es nach dem Frühstück gleich wieder zurück, wir waren schon um zwölf im Stadion, hockten drei Stunden in der Kabine und verloren mit 0:4. Das war aber nicht das Problem, wir sind ja trotzdem weitergekommen. Doch zwei Tage nach dieser Odyssee mussten wir in Bremen spielen und verloren auch dort. Diese Punkte haben in der Bundesliga am Ende gefehlt.
Was hatte Reiner Calmunds Abwesenheit damit zu tun?
Wir hatten das Gefühl, dass es anders gelaufen wäre, wenn er dabei gewesen wäre. Sagen wir so: Hätte es sich um Real Madrid gehandelt, wäre das sicher nicht passiert. Aber es war ja nur Bayer Leverkusen.
Klaus Toppmöller hat mit der damaligen Saison seinen Frieden gemacht und gemeint, Titel würden ohnehin überschätzt. Wichtiger sei gewesen, dass Bayer den schönsten Fußball gespielt habe.
Das ist sicher auch Selbstschutz, um mit der Situation im Nachhinein besser zurechtzukommen. Damals hat er das jedenfalls nicht gesagt.
Jens Nowotny glaubt, mit Christoph Daum als Trainer hätte Leverkusen in der Saison alle drei Titel geholt.
Ach, ich weiß nicht. Zwei Jahre zuvor sind wir unter Christoph Daum auch nicht Deutscher Meister geworden, obwohl wir vor dem letzten Spiel in Unterhaching drei Punkte Vorsprung hatten. Und das lag nicht nur an meinem Eigentor. (Lacht.)
Sind Sie 2002 in der Überzeugung zum FC Bayern gewechselt, es sei nur eine Frage der Zeit, bis Sie die Champions-League-Trophäe in den Händen halten?
Zunächst mal war es nach den vielen knapp verpassten Titeln mit Bayer ein Segen für mich, den Verein zu wechseln und frische Luft zu bekommen.
Sie sind aber mit dem FC Bayern nie so nah an diesen Pokal herangekommen wie mit Bayer Leverkusen.
Das stimmt. Ich bin der Meinung, dass der FC Bayern damals nicht die Mannschaft hatte, um die Champions League zu gewinnen. National haben wir zwar in vier Jahren drei Doubles gewonnen, doch international sind wir nicht mal in die Nähe des Halbfinals oder Finals gekommen. Das kann kein Pech, kein Zufall gewesen sein und zeigt, dass diese Mannschaft nicht so gut war wie die heutige.
Die besten deutschen Spieler haben sich die Bayern aber schon damals geholt.
Das hat zu der Zeit nicht gereicht. Nach meinem Weggang hat man beim FC Bayern angefangen, größer zu investieren und diese Strategie hat sich ausgezahlt. Der Verein war ja finanziell gesund genug, um sich das leisten zu können, und hat gemerkt: Das beste Kapital sind immer die Spieler.
War Ihre Sehnsucht nach dem großen internationalen Titel der Grund dafür, 2006 zum FC Chelsea zu gehen?
Die Bayern haben mir damals ein neues Angebot über vier Jahre gemacht, aber ich habe gedacht: Wenn du die Champions League gewinnen willst, musst du dich noch mal verändern. Der andere Grund war, dass ich unbedingt im Ausland spielen wollte. Ich war 28 Jahre alt, als ich die Entscheidung traf, und das war für mich die letzte Chance, noch mal zu einem großen internationalen Verein zu gehen. Wenn du erst mal dreißig bist, wird es eng.