Ramon Vega spielte für Tottenham, Celtic und die Schweiz. Heute arbeitet er in der Londoner Finanzszene und verwaltet eine Milliarde Dollar. Was hält er von den steigenden Ablösesummen?
Ramon Vega, eine britische Zeitung nannte Sie „The Wolf of White Hart Lane“. Mögen Sie Ihren neuen Spitznamen?
Überhaupt nicht. Der Film hat nichts mit der Realität meines Alltags zu tun. Wir machen seriöse Geschäfte, da kann ich solche Bezeichnungen nicht gebrauchen. Wobei, ein bisschen lustig war es ja schon.
Im Januar 1997 wechselten Sie für 3,7 Millionen Pfund zu den Tottenham Hotspurs. Eine lohnende Investition für den Verein?
Ja, natürlich. Ich habe 1999 mit dem Verein den League Cup gewonnen und wir haben uns für den UEFA-Cup qualifiziert. Der Verein war unter Lord Alan Sugar gerade dabei, eine neue Mannschaft aufzubauen. Mit Jürgen Klinsmann, Steffen Freund, David Ginola und mir hatten wir einen hervorragenden Mannschaftskern. Für einen Innenverteidiger waren die fast vier Millionen Pfund damals übrigens enorm viel Geld. Aber es hat sich für den Verein und für mich gelohnt.
Sie sind bei Grasshoppers Zürich groß geworden und haben dort neben dem Fußball mit 17 Jahren noch eine Ausbildung bei der Bank „Credit Suisse“ absolviert. Wie kam es dazu?
Die „Credit Suisse“ war damals der Hauptsponsor der Schweizer Nationalmannschaft und hat als Pilotprojekt Alain Sutter, Ciriaco Sforza und mich als Bankkaufleute ausgebildet.
Wie kamen Sie mit der Doppelbelastung klar?
Das war sehr, sehr schwierig. Die meisten Menschen machen mit 17 tagsüber ihre Lehre und haben abends frei. Ich habe mir nebenbei noch meine professionelle Fußballkarriere aufgebaut. Die meisten Ausbildungskollegen sind am Wochenende feiern gegangen, ich hatte ein Fußballspiel. Die Jahre von 17 bis 20 war ich mit nichts anderem als meiner Zukunft beschäftigt. Als Lohn hatte ich danach die Grundlagen für zwei verschiedene Karrieren gelegt. Das war die Basis für die Zeit nach meiner Fußballkarriere.
Ein beruhigendes Gefühl?
Ja. Ich konnte während meiner Zeit als Profi viel entspannter leben als andere. Die schwierigste Frage im Leben eines Fußballers ist: Was machst du nach deiner Karriere? Es kann nicht jeder Trainer oder TV-Experte werden. Für Leute, die 15 bis 20 Jahre sportlich alles gegeben haben kommt auf einmal die Realität: Was ein anderer in einem Beruf mit 19, 20 lernt, muss ein Ex-Profi mit 35 lernen. Viele verkraften das mental nicht, sie wollen sofort der Boss sein.
Wieso haben Sie ausgerechnet eine Ausbildung im Finanzwesen gemacht?
Ich komme aus Zürich, da gibt es drei Berufsgruppen, die hervorstechen: Mediziner, Juristen und Banker. Viele meiner Freunde und Kollegen hatten schon für Banken gearbeitet, daher habe ich mich immer dafür interessiert.
Auf den Busfahrten mit der Mannschaft spielten Ihre Mitspieler Karten. Sie lasen stattdessen Artikel im „Economist“. Galten Sie als Streber?
Klar, am Anfang hat mich das schon ein bisschen isoliert. Die Mitspieler hatten andere Lektüre dabei, die neue „FHM“ etwa. Aber nach einiger Zeit, bekamen die Kollegen Respekt vor mir. Wenn sie sich ein neues Haus oder eine Wohnung kaufen wollten, kamen sie zu mir in die letzte Reihe und haben mich um Tipps gebeten. Immer öfter fragten sie mich, wie sie ihr Geld am besten anlegen sollen. Ich hatte im Bus schon mein erstes kleines Beratungsbüro (lacht).
Wie sind Sie dann nach Ihrer Karriere in die Finanzbranche eingestiegen?
Gemeinsam mit einem alten Kollegen der „Credit Suisse“ habe ich mich zunächst selbstständig gemacht und einen Fonds aufgesetzt. Das war für mich etwas Neues. Dann kamen die schwierigsten zwei Jahre meiner beiden Karrieren. Man hat uns nicht respektiert.
Haben Ihnen die Erfahrungen und Kontakte aus dem Fußball nicht geholfen?
Die Erfahrungen schon. Im Fußball muss man sich durchsetzen, man gewinnt, man verliert, man lernt, mit Niederlagen umzugehen. Man bereitet sich akribisch auf Spiele vor. Und man muss sich der Öffentlichkeit präsentieren. Genauso muss ich heute zum Beispiel gegenüber Hedge Fonds Managern auftreten.
Aber?
Aber mein Name hat mir nicht unbedingt geholfen. Nur weil die Leute dich kennen, machen sie noch keine Geschäfte mit dir. Viele Leute wollten mich treffen, aber nur, um mir als ehemaligen Fußballprofi die Hand zu schütteln. Diese Jahre waren mir eine Lehre, wie das Geschäft funktioniert. Ich habe gelernt, dass man durch Leistung überzeugen muss, wie im Fußball. Wenn du am Wochenende zwei Tore gegen Bayern München geschossen hast, musst du dich nicht groß präsentieren. Es reicht diese eine Information. Reden kann man lang, aber am Samstag musst du den Trainer, die Fans und dich selbst überzeugen. In der Finanzbranche schaffe ich das durch rentable Investitionen. Dann kommt der Respekt von alleine.
Ausgerechnet zu Beginn der Finanzkrise 2008 haben Sie ein neues Unternehmen gegründet und verwalten mittlerweile rund eine Milliarde US-Dollar. Lieben Sie den Nervenkitzel?
Das fragen mich viele Leute. Aber für mich war das der ideale Zeitpunkt. Gerade wenn man noch neu im Geschäft ist kann man in Krisenzeiten am meisten erreichen. Und gerade in dieser Zeit, hatte ich die besten Geschäftsmöglichkeiten. Wenn der Markt hingegen neutral ist, sucht jeder nach passenden Geschäften und findet kaum welche. Eine Krise ist immer eine Chance.
In der aktuellen Transferphase wechselte Roberto Firmino für 41 Millionen Euro nach Liverpool, Manchester City soll 80 Millionen für Kevin de Bruyne geboten haben. Bildet sich aufgrund dieser Transferpolitik vor allem britischer Teams gerade eine Blase?
In gewisser Weise schon. Alle Premier-League-Spieler sind zusammen rund 5,1 Milliarden Pfund wert. Das sind rund 10 Millionen Pfund pro Spieler. Das ist viel Geld. Das Problem ist nicht eine Blase in der Premier League, sondern die Transfers zwischen der Premier League und der zweiten englischen Liga. Die Einnahmen in der Premier League sind pro Jahr 10 – 15 mal höher als in der zweiten Liga. In jedem Geschäft in jeder Branche auf der Welt gilt: Wenn du plötzlich 15 Mal weniger Einkommen hast, kannst du den Laden dicht machen. Die Blase wächst also eher bei jenen Vereinen, die aus der Premier League absteigen. Die wollen immer noch die großen Transfers machen, um wieder aufzusteigen.
Ein hohes Risiko.
Absolut. Vor allem, weil es um Menschen geht, um Fußballspieler, nicht um Produkte, die man im Supermarkt kaufen und deren Preise man jedes Quartal ändern kann, sodass die Leute sie trotzdem kaufen. Es geht um Sportler und deren Resultate werden immer noch auf dem Fußballplatz gemacht. Die Vereine zahlen hohe Transfersummen und hohe Gehälter, um in der Premier League zu bleiben und dann steigen sie sportlich trotzdem ab. Plötzlich bekommen sie statt 120 Millionen Pfund nur noch 15 Millionen Pfund an TV-Geldern. Das muss die Premier League reformieren, weil sonst viele Zweitliga-Mannschaften bankrott gehen würden.
Was schlagen Sie vor?
Man müsste festlegen, dass nicht mehr als 40 Prozent des Einkommens eines Vereins in die Spieler fließen dürfen. In England liegt dieser Wert momentan durchschnittlich bei 80 Prozent. Damit gehen die Vereine ein hohes Risiko ein, sie befinden sich finanziell am Anschlag.
Wie entstehen derart hohe Ablösesummen überhaupt?
Die hohen Ablösesummen kann man mit den Gehältern und Boni vergleichen, die große Banken ihren Top-Managern zahlen. Diese Summen passen sich an das Einkommen an, das in den vergangenen Jahren erwirtschaftet wurde. Das ist wie bei uns normalen Leuten: Wer eine Gehaltserhöhung bekommt, der gibt auch mehr Geld aus. Ähnlich ist das bei den Transfersummen. Je mehr Geld die Vereine erwirtschaften, zum Beispiel durch TV-Einnahmen, desto mehr geben sie für Spieler aus. Und momentan sehe ich noch kein Ende dieser Aufwärts-Spirale.
Sind für Sie persönlich derart hohe Transfersummen noch zu rechtfertigen?
Die Spieler sind ja keine materielle Vermögenswerte. Sie sind eher Risikofaktoren. Bei der Frage, wieso die Vereine so höhe Ablösesummen zahlen, muss man zwei Dinge beachten: Das sind einmal die Einnahmen, die durch diesen Spieler aus dem Merchandising erwirtschaftet werden, durch Trikotverkäufe etc. Und zweitens wird überlegt, was der Spieler der Mannschaft bringt. Wie viele Punkte ist ein Spieler pro Saison wert? Wenn ein Spieler 20 Millionen kostet, aber 15 Tore schießt und damit dafür sorgt, dass du in der Liga bleibst und im kommenden Jahr wieder 120 Millionen TV-Einnahmen bekommst, dann war das eine super Investition. Klar ist da ein Risiko dabei, aber hat man bei jedem Investment, in jeder Branche. Im Fußball ist dieses nur offensichtlicher als in anderen Bereichen. Man sieht sofort, wenn ein Spieler seine Leistung nicht bringt.
Warum werden für einen Roberto Firmino von Hoffenheim 2015 41 Millionen Euro gezahlt, während für Mario Götze, einen Spieler mit viel höherem Potenzial 2013 „nur“37 Millionen Euro gezahlt wurden?
Das ist eine Frage der Marktsituation. Wenn der Markt offen ist und nicht reguliert wird, dann ist so etwas immer möglich. Der Markt wird im Fußball nicht so analytisch bestimmt wie in anderen Branchen. Hier kommt es mehr auf die Nachfrage an. Im Beispiel Firmino waren aus Liverpools Sicht anscheinend nicht viele vergleichbare Spieler auf dem Markt. Sie wollten ihn unbedingt, andere Vereine waren auch interessiert. So kommt eine derart hohe Ablösesumme zustande.
Werden die Ablösesummen in den kommenden Jahren noch weiter steigen?
Absolut. Das Niveau dieser Transfersummen wird in den nächsten zwei bis drei Jahren um mindestens 20 Prozent steigen. Andere europäische Vereine werden mit den englischen Vereinen nicht mehr mithalten können, bis auf die ganz Großen wie Bayern München, Real Madrid und Barcelona.
Sie sagten einmal, dass ehemalige Fußballer als Manager aufgrund ihrer Emotionen schlechtere Entscheidungen treffen. Wieso?
Fußballer sind immer voller Emotionen. Und Fußballer sind Mannschaftsspieler. Wenn diese zum Manager werden, finden sie sich plötzlich in der Rolle des Einzelgängers wieder. Sie sind auf einmal verantwortlich für mehrere Dutzend Menschen, die sie strategisch managen müssen. Sie müssen die Philosophie vorgeben, sie müssen schlechte Ergebnisse rechtfertigen. Da kann man keine emotionalen Entscheidungen treffen, was vielen ehemaligen Spielern enorm schwerfällt.
Aktuell wird im internationalen Fußball viel über die Financial Fairplay-Regel der Uefa debattiert. Was halten Sie davon?
Das ist keine schlechte Regulation, sie muss aber noch reformiert werden. Man müsste sie so anpassen, dass auch die kleineren Klubs von ihr profitieren. Aber es geht in die richtige Richtung, denn es zielt darauf, die Finanzen der Klubs auf lange Sicht gesünder zu machen. Das ist vor allem auch im Sinne der Fans.
Wo herrscht die größere Ellenbogenmentalität, im Fußball oder in der Finanzbranche?
Das nimmt sich nicht viel. Im Fußball bekommst du eben den physischen Ellbogen in die Rippen und in der Finanzbranche sind es Worte und Gesten.
Sie sagten einmal, dass sie für zwei Dinge Talent besitzen: Fußball und Finanzen. Worin sind Sie talentierter?
Ich würde eher sagen: Da ich mich in beiden Bereichen extrem spezialisiert habe, stelle ich quasi eine eigene, neue Kategorie dar, eine Art Fußballbusiness-Experte. Es gibt nicht viele Menschen, die diese Welten so vereinen wie ich.
2009 scheiterten Sie daran, den FC Portsmouth zu übernehmen. Können Sie sich vorstellen, irgendwann noch einmal ins Fußballgeschäft einzusteigen?
Auf jeden Fall. Ich könnte mir gut vorstellen, eine Mannschaft zu managen. Außerdem denke ich darüber nach mit mehreren Leuten gemeinsam einen Klub zu kaufen. Mal sehen, was daraus wird.