Das muss man auch erstmal schaffen: Mit 25 Jahren noch Profifußballer werden. Der Holländer Alfred Nijhuis gehört zu dieser seltenen Spezies. Wir sprachen mit dem ehemaligen Duisburger und Dortmunder über Grenzerfahrungen und Streit mit dem Karlsruher SC.
Alfred Nijhuis, sind Sie ein Spätstarter?
Ich habe nicht so die dermaßen große Karriere gehabt. Aber die Art und Weise, wie ich Profi wurde, kommt nicht mehr oft vor. Daher würde ich sogar sagen: Ich bin ein absoluter Spätstarter.
Warum mussten Sie so lange warten, ehe Sie Profi wurden?
Ab meinem 17. Lebensjahr hätte ich jedes Jahr bei Twente Enschede unterschreiben können, allerdings nicht als Profi. Als ich mit 21 mein Studium abgeschlossen hatte, wollte ich es wissen. Aber obwohl ich einen Monat lang bei Twentes erster Mannschaft mittrainierte, bekam ich kein Vertragsangebot. Also bin ich vom SC Enschede aus der dritten holländischen in die dritte deutsche Liga zum ASC Schöppingen gewechselt.
Hatten Sie den Traum vom Profifußball damit begraben?
Erst am Ende meiner vier Jahre in Schöppingen. Es gab zwar Interesse vom VfL Bochum, Borussia Dortmund, Preußen Münster und Arminia Bielefeld, aber es wurde nie so richtig konkret. Das lag auch daran, dass damals nur drei Ausländer in einer Mannschaft spielen durften.
War das wirklich alles?
Na ja, da gibt es noch etwas. Ich war von Haus aus Verteidiger, aber als ich nach Schöppingen kam, habe ich mich als Mittelfeldspieler ausgegeben. Ich wollte einfach nicht mehr in der Verteidigung spielen. Dabei hätte es so vielleicht eher mit dem Profibereich geklappt.
War Fußball für Sie damals nur Nebensache?
Zumindest war er nicht die Hauptsache. Irgendwann muss man auch beruflich etwas auf die Beine stellen, außerdem haben wir nur vier Mal pro Woche trainiert. Also habe ich zwei Jahre lang eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann gemacht, nachdem ich meine Fachhochschule für Betriebswirtschaft abgeschlossen hatte. Mein damaliger Schwiegervater war Immobilienmakler und ich hätte das Geschäft übernehmen sollen. Daher hatte ich auch noch eine Ausbildung zum Immobilienkaufmann begonnen. Am Ende habe ich fast nicht mehr dran geglaubt, Profi zu werden, aber dann kam der MSV.
Wie kam es zu dem Wechsel?
Genau genommen begann es mit einem kleinen Streit mit unserem Trainer Ennatz Dietz. Er hatte mich auf die Bank gesetzt und im nächsten Spiel plötzlich als Libero aufgestellt. Danach haben wir zehn Spiele nicht mehr verloren und ich habe mein bestes Spiel gezeigt. Nach ein paar Wochen hat Ennatz beim MSV und bei Bayern München angerufen. So bekam ich die Chance in Duisburg.
Wie haben Sie den Schritt von der dritten in die erste Liga auf Anhieb gemeistert?
Das erste Probetraining beim MSV hatte ich, als sie noch in der zweiten Liga spielten. Da habe ich direkt gedacht: „Das Niveau kann ich.“ Entsprechend groß war mein Selbstvertrauen. Den Platz wollte ich mir nicht mehr abnehmen lassen. Ich hatte ja auch lange genug darauf gewartet.
Wurden Sie als 25-Jähriger aus der dritten Liga zunächst belächelt?
Nein, überhaupt nicht. Ich hatte meine Chance ja sofort genutzt. Und ich war sogar einer der Jüngsten in der Mannschaft. Da standen sechs, sieben Spieler jenseits der 30 in der Startelf. Am Anfang des Trainings mussten beim Kreisspiel immer die Jüngsten in die Mitte. Ich war sogar mit 28 noch dran.
Wie kam es, dass Sie nach sechs Jahren an der Wedau weiter nach Japan gezogen sind?
Ich hatte eine verschleppte Meniskusverletzung. Verschiedene Diagnosen haben dazu geführt, dass ich sehr lange ausgefallen bin. In dieser Zeit hat sich der Verein kaum um mich gekümmert. Das änderte sich erst, als Friedhelm Funkel Trainer wurde. Aus dieser Wut heraus habe ich danach fast die beste Saison meiner Karriere gespielt. Also war ich recht weit oben in der Kicker-Rangliste. Horst Köppel war Trainer bei den Urawa Red Diamonds und hat auf der Liste nachgeschaut, welcher Verteidiger gut, aber trotzdem preisgünstig ist. So ist er auf mich gekommen.
Wie lange haben Sie überlegt, als das Angebot kam?
Ich war sofort Feuer und Flamme. Aus finanzieller Sicht musste ich das machen. Und zusätzlich konnte ich in der besten japanischen Mannschaft gemeinsam mit Guido Buchwald und Txiki Begiristain spielen. Trotzdem habe ich überhaupt keinen Druck als Spieler empfunden. Wir Älteren wurden hauptsächlich geholt, um den japanischen Talenten zu zeigen, was es bedeutet, Profi zu sein. Das war auch mal schön.
Trotzdem blieben Sie nur ein Jahr.
Horst Köppel ist am Saisonende zurück nach Deutschland gegangen und wurde Scout bei Borussia Dortmund. Und prompt hat er vorgeschlagen, mich zu verpflichten. Japan war sehr angenehm und ich hätte noch fünf Jahre dort spielen können. Aber wenn man ein Angebot vom BVB bekommt, dann muss man das machen. Heutzutage geht das nicht mehr, aber ich hatte den richtigen Zeitpunkt erwischt.
Damals waren Sie bereits 32, spielten aber noch drei Jahre in Dortmund. Hatten Sie noch die Reserven, weil Sie erst mit 25 Profi wurden?
Ja, vielleicht. Im ersten Jahr wurde meine Batterie schon allein durch die Atmosphäre aufgeladen. Ich musste mich eigentlich gar nicht warm machen, weil ich so viel Adrenalin im Körper hatte. Im zweiten Jahr wären wir fast abgestiegen, da lag ein unglaublicher mentaler Druck auf der Mannschaft. Das hat unheimlich viel Energie gekostet und war das totale Gegenteil zu meiner ersten Saison. Und im dritten Jahr habe ich auch aufgrund von Rückenproblemen gemerkt, dass mir die absolute Power gefehlt hat. Ich war steif und die Gegner hatten mich als Schwachstelle ausgemacht. Da wurde mir klar, dass dieses Level zu hoch für meinen Körper war.
Stand für Sie danach fest, die Karriere zu beenden?
Ich hatte schon einen guten Vertrag beim Karlsruher SC unterschrieben, der gerade von der dritten in die zweite Liga aufgestiegen war. Aber als ich aus meinem Urlaub zurückkam, spürte ich, dass ich es nicht mehr kann. Ich hatte Zweifel an meiner Fitness und wusste, dass die Erwartungen sehr hoch waren. Ich wollte nicht auf der Tribüne sitzen und mir die Taschen voll machen. Also habe ich meinen Vertrag zwei Wochen vor dem Vorbereitungsbeginn wieder aufgelöst.
Wie haben die Karlsruher reagiert?
Sie waren angefressen, aber eigentlich habe ich ihnen einen Gefallen getan. Statt mir haben sie dann Torsten Kracht verpflichtet. Der war etwas jünger als ich und hat noch gut gespielt. Und am Ende haben sie mich geärgert.
Inwiefern?
Etwas später habe ich Angebote aus Holland bekommen, vom FC Den Bosch und De Graafschap. Das hätte ich mir noch zugetraut. Aber Karlsruhe hat mir nicht die Freigabe erteilt. Das war schon bitter, schließlich habe ich den Verein kein Geld gekostet. So war meine Karriere vorbei.
Sie haben Ihre gesamte Karriere im Ausland verbracht. Bedauern Sie es, nie in den Niederlanden Profi gewesen zu sein?
Nein, überhaupt nicht. Ich fühle mich pudelwohl in Deutschland und hatte nach dem Karriereende nicht das Bedürfnis, nach Holland zurückzukehren. Aber meine Kinder und meine damalige Frau wollten es gerne. Im Nachhinein bedauere ich es ein bisschen, dass ich wieder nach Enschede gezogen bin. Schließlich hatte ich mir in Deutschland ein Leben aufgebaut.
Wie wurden Sie nach Ihrer Karriere zum Pionier?
In Japan hatte ich die Kinesio-Tapes kennengelernt und stand voll hinter der Idee. Gemeinsam mit meinem Schwager habe ich sie dann nach Europa gebracht. Wir haben es in Reha-Zentren vorgestellt und in ganz Deutschland und Holland Gas gegeben. Das hat anfangs sehr viel Spaß gemacht, aber nach zwei, drei Jahren kamen die Wölfe.
Was meinen Sie?
Wenn man etwas Neues hat und erfolgreich ist, kommen andere und bieten es auch an. Von manchen Leuten sind wir richtig verarscht worden. Das fand ich so schmutzig, dass ich nach vier Jahren ausgestiegen bin.
Wie ging es danach weiter?
Ich habe 2005 meinen A‑Schein gemacht und wollte im Fußball Fuß fassen, am liebsten in Deutschland. In dieser Zeit hatte ich aber private Probleme, weil meine Scheidung im Gange war. Meine Kinder waren neun und zwölf Jahre alt und ich wollte für sie da sein. Wenn ich im Fußball weitergemacht hätte, wäre ich immer unterwegs gewesen. Ich wollte erst das Private auf die Reihe bekommen.
Inzwischen trainieren Sie den Westfalenligisten SuS Stadtlohn und arbeiten als Scout für Ajax Amsterdam.
Das macht mir unheimlich viel Spaß, weil Fußball mein Leben ist. Ich scoute erst seit einem halben Jahr für Ajax in Deutschland. In der Bundesliga zu schauen hat überhaupt keinen Zweck, die zweite Liga ist auch schwer. Aber es gibt auch darunter gute Spieler.
Welche Rolle spielt Ihr eigener Karriereverlauf bei Ihrem Job als Scout?
Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass Spieler viel zu früh abgeschrieben werden. In Deutschland ist der Druck unheimlich groß, da haben es gut ausgebildete Jugendspieler bei manchen Vereinen ganz schwer. Ajax ist immer ein Ausbildungsklub gewesen, bei dem sich die Talente andienen können. Deutschland ist deshalb sehr interessant, weil dort unheimlich viele Talente rumlaufen. Die können nicht alle in der Bundesliga spielen. Das war bei mir ja jahrelang auch so.
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Alfred Nijhuis (* 23. März 1966 in Utrecht) absolvierte zwischen 1991 und 2001 182 Bundesligaspiele (17 Tore) und 59 Zweitligapartien (5 Tore) für den MSV Duisburg und Borussia Dortmund sowie eine Saison bei den Urawa Red Diamonds in Japan. Heute trainiert er den Westfalenligisten SuS Stadtlohn und ist zudem als Deutschland-Scout für Ajax Amsterdam tätig.