Matthias Herget, Michael Lameck, Michael Zorc, herzlich willkommen zum Reviergipfel in 11FREUNDE SPEZIAL. Was vermissen Sie im heutigen Fußball am meisten, wenn Sie an die Achtziger zurück denken?
Lameck: Wir waren viel näher dran am Publikum. Wenn heute die Mannschaftsbusse in die Stadien fahren, kommen die Fans an die Spieler doch gar nicht mehr ran.
Herget: Aber Ata, heutzutage kommen 4000 Zuschauer zum Training auf Schalke. Da braucht man Regeln.
Zorc: So extrem ist das alles gar nicht. In Dortmund haben wir ein nicht öffentliches Training pro Woche. Eins! Und nach dem Training werden die Tore zum Platz aufgemacht, so dass die Spieler an den Zuschauern vorbei gehen und Autogramme geben können.
Herget: Und überhaupt, Ata, wann haben wir früher Autogramme geben müssen?
Zorc: Genau, es war doch gar keiner da! Als Fußballer haben wir in den Achtzigern auf einem anderen Stern gelebt. (lacht)
Training unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Zorc: Auf jeden Fall. Am BVB-Trainingsplatz standen vielleicht zehn Rentner, zwei Jungs und drei Journalisten – zwei von der Lokalzeitung und einer von der „Bild“.
Herget: In Uerdingen gab es nur fünf Rentner. Sonst machte sich doch keiner die Mühe, zu uns raus zu kommen!
Gab es über das Training hinaus Kontakt zu Fans?
Lameck: In unserer Vereinsgaststätte beim VfL traf man sich nett beim Bierchen. Das war wie eine große Familie. Da freute sich die Wirtin, wenn wir kamen und manchmal lud sie uns hinten am Tresen auf einen Kleinen ein.
Herget: In Uerdingen war das auch so. Was sich heute in VIP-Räumen abspielt, passierte früher eben in Kneipen.
Wie groß war die Rivalität zwischen Ihren Klubs damals?
Herget: Bei den Fans gravierender als unter uns Spielern.
Lameck: Einige sind ja auch zwischen den Vereinen gewechselt.
Zorc: Als ich nach Dortmund kam, spielten da etwa Rüdiger Abramczik, Uli Bittcher und Rolli Rüssmann, die auf Schalke groß geworden waren oder Jupp Tenhagen, der von Bochum zu uns kam. Die waren aufgrund ihrer Spielweise auch beim BVB voll anerkannt.
War der gewöhnliche Fußballfan aggressiver als ein heutiger Besucher in den Multifunktionsarenen?
Zorc: Schwer zu sagen. Sicher gab es deutlich mehr Ausschreitungen als heute. Aber Fanbetreuung zahlt sich eben aus.
Bekamen Sie als Spieler etwas von der Gewalt mit?
Lameck: Im Stadion nicht, aber wir haben die Schlägereien natürlich gesehen, wenn wir zum Bus gingen. Damals waren die Behörden noch nicht so clever, bei Derbys die Fangruppen voneinander getrennt vom Stadion weg zu leiten.
Zorc: Zu meiner Zeit wurden A‑Jugendspiele oft dazu genutzt, um auf rivalisierende Fans zu treffen. Da gab es oft Verletzte, weil diese Spiele nicht so im Fokus standen und entsprechend weniger überwacht waren.
Welcher Erstligist aus dem Revier war der unangenehmste Gegner: Dortmund, Schalke, Bochum oder Uerdingen?
Zorc: Ich habe nie gerne in Bochum gespielt, weil die immer als Underdog galten. Die haben uns vom BVB das Leben ganz schön schwer gemacht. Oft haben wir da nicht gewonnen.
Wie sehen Sie das, Michael Lameck?
Lameck: Ich fand Schalke unschön, weil die so eine breite Laufbahn hatten. Ständig musste man den Ball holen, weil es damals noch nicht so viele Balljungen gab.
Matthias Herget, Sie haben auf Schalke, in Bochum und bei Bayer Uerdingen gekickt.
Herget: Ich muss sagen, dass vom Stadion auf Schalke immer eine unangenehme Atmosphäre ausging. Deswegen habe ich lieber in Dortmund oder in Bochum gespielt, weil dort alles kompakter war. Aber im „Parkstadion“ – das war ätzend.
Wegen der großen Distanz zum Spielfeld.
Herget: Eben. Mit acht- bis neuntausend Leuten in der Schalker Schüssel war das der reinste Totentanz.
Den jungen Spielern von heute sagt man gemeinhin nach, sie seien verwöhnt und es mangele ihnen an Respekt. Haben Sie als Jungtalent noch die Tasche der Routiniers getragen?
Zorc: Die Hierarchien waren zumindest deutlich ausgeprägter. Wenn Manni Burgsmüller bei unserem Masseur auf der Bank lag und ich wollte was von dem, habe ich brav so lang gewartet, bis die beiden fertig waren.
Lameck: Heute bestimmt mehr die Leistung die Hierarchie eines Teams.
Zorc: Sollte sie zumindest. Es gibt aber auch Jungspunde, bei denen ich denke: „Spiel du erst mal ordentlich Fußball, ehe du hier den Mund aufmachst!“
Herget: Die Hierarchien waren bei uns einfach klar abgesteckt, wenn man als Neuling zur Mannschaft stieß. Nicht aus Demut, sondern weil es so üblich war.
Welche Arbeiten haben Sie als Greenhorn erledigt?
Zorc: Bälle einsammeln. Unter Branko Zebec war es üblich, dass die jungen Spieler nach schwachen Trainingseinheiten alle Bälle von der Laufbahn und aus dem Wald holen und in den Mittelkreis bringen mussten. Während wir also einholten, hat Zebec immer wieder mit der Pieke einige der gesammelten Bälle weggekickt, so dass es sich ewig hinzog.
Und Sie haben es klaglos hingenommen.
Zorc: Da hat keiner was gesagt. Die Distanz zum Trainer und innerhalb des Kaders war viel größer. Es ging dabei gar nicht um Fragen wie „Wer trägt die Taschen?“ oder „Wer putzt die Schuhe?“ Es gab einfach Spieler, die den Weg vorgaben – auch taktisch. Und wenn die in der Halbzeit sagten „Wir spielen jetzt komplett anders“, wurde das gemacht.
Sie waren so ein Spieler, Matthias Herget. In der Halbzeit des legendären Viertelfinales des Pokalsiegercups 1986 zwischen Bayer Uerdingen gegen Dynamo Dresden sollen Sie beim Stande von 1:3 eine neue Marschroute ausgegeben und so die Weichen für das triumphale 7:3 gestellt haben.
Herget: Ach was, das ist maßlos übertrieben.
Dann klären Sie uns auf.
Herget: Es war so, dass unser Trainer Kalli Feldkamp zu dem Zeitpunkt nicht mehr wusste, was er machen sollte. Wir hatten das Hinspiel in Dresden mit 2:0 verloren, nun lagen wir zuhause mit 1:3 zurück. Er kam in die Kabine und ging gleich hinten wieder raus. Den haben wir in der Halbzeit überhaupt nicht gesehen. Also habe ich gesagt: „Lasst uns versuchen, uns so gut wie möglich zu verkaufen. Es gucken so viele Leute am Fernsehen zu, denen sind wir was schuldig.“ Aber dass das Spiel gedreht wurde, lag sicher nicht an dieser Aussage.
Udo Latteks Credo als Trainer lautete: Wenn es in einer Mannschaft nicht stimmte, drauf hauen oder mit den Jungs einen saufen gehen. Typisch für die Trainer der Achtziger?
Herget: Keine Ahnung. Ich hatte jedenfalls keinen Trainer, der mit der Mannschaft einen trinken gegangen ist.
Lameck: Du hattest aber einen, der gerne getrunken hat.
Herget: (lacht) Das stimmt, davon hatte ich sogar mehrere. Aber die haben das ganz gerne alleine gemacht.
Zorc: Solche rustikalen Rezepte entstanden auch aus der Distanz zwischen Trainer und Team. Heute ist die Kombination besser als damals: Die Trainer befassen sich viel intensiver mit den Spielern und ihren Eigenheiten – die müssen nicht mehr mit Saufgelagen den Mannschaftsgeist stärken.
Wie sah denn Ihr Training in den Achtzigern aus?
Lameck: Als ich zum VfL kam, hieß mein Trainer Heinz Höher. Vorm Warmlaufen sagte der: „Ich habe eine Runde Vorsprung und ihr müsst so lange laufen, bis ihr mich eingeholt habt.“ Das Problem: Höher war so ein guter Läufer, dass ihn höchstens drei Spieler einholten. Und auch das dauerte ewig.
Herget: So ein Lauf war der Einstellungstest für mich beim VfL Bochum. Ich hatte das Glück, dass ich von der Bundeswehr kam und gut trainiert war. Nach einer Woche sagte also Heinz Höher zu mir: „Hör mal, morgen machen wir im Ruhrstadion so einen kleinen Lauf. Normalerweise laufen wir zwölf Minuten, aber ich will mal die Zeit nehmen, wie lange du brauchst, um mich einzuholen.“ – Nach acht Minuten hatte er mich eingeholt.
Lameck: (lacht) Ach nee, der Mattes.
Wie lautete Höhers Kommentar?
Herget: Er sagte: „Viel drauf haste aber nicht?“ Darauf ich: „Nee, ich komm mehr vom Fußball als vom Laufen.“ (lacht)
„Der Michael Zorc zehn Mille, der Mattes Herget vier und ich drei Mille“ – Lameck, Zorc und Herget über die Gehälter der 80er. Weiterlesen im 11FREUNDE Spezial – jetzt am Kiosk!