Nationalspieler Robin Koch wechselt zum englischen Aufsteiger Leeds United. Der Schritt ist ungewöhnlich – so wie Kochs Karriere und sein neuer Trainer.
Flehende Kommentare unter Internetpostings von Fußballern haben Hochkonjunktur: Anhänger schreiben zusammenhangslos unter Urlaubsbildern solch feine Sätze wie „Please come to Fenerbahce“, „come to Milan“ oder eben „come to Leeds“. Die neuartige Fanpost scheint einen größeren Einfluss zu haben als bisher angenommen. Der Verteidiger Robin Koch hat am Wochenende erklärt, dass ihm die täglich 20 neuen Internet-Lockrufe aus Leeds außerordentlich imponiert hätten.
Für 13 Millionen Euro wechselt Koch nun vom SC Freiburg zum englischen Aufsteiger Leeds United. Er entschied sich damit gegen namhafte Nebenbuhler wie Leipzig, Milan oder Lazio Rom und für einen englischen Aufsteiger, der zuvor mehr als ein Jahrzehnt in der zweiten Spielklasse herumgedümpelt war. Koch ist wieder für die deutsche Nationalmannschaft nominiert, seine Chancen sind durchaus reell, auch bei der EM in der deutschen Abwehr zu stehen. Warum dann also Leeds United? Die Verdienstmöglichkeiten auf der Insel und das Prestige der Liga mögen gewichtige Argumente gewesen sein, wohl aber auch die Tatsache, dass Leeds kein gewöhnlicher Aufsteiger ist. Das ist allein schon daran zu erkennen, wie der Klub selbst Koch signalisierte: Come to Leeds!
Der Direktor Fußball, Victor Orta, ist bekannt für sein akribisches Scouting. Schon im Winter zeigte er Lokaljournalisten stolz ein Dossier von diesem ambitionierten Verteidiger aus Freiburg. Jene Offenherzigkeit ist ungewöhnlich in der Branche, Orta muss sich da schon seiner Sache sicher gewesen sein. Mehrmals hatte er sich bereits im vergangenen Jahr mit Koch ausgetauscht. Der einzige Haken schien noch, so schreiben es englische Medien, ob der Klub wirklich den Aufstieg schaffen würde.
Das Gesicht des neuen Leeds United aber ist unbestritten der Trainer Marcelo Bielsa, genannt El loco, der Verrückte. Bielsa verzichtete gar auf ein persönliches Treffen mit Koch, schickte ihm allerdings Videoschnipsel von dessen Auftritten bei Freiburg und dem Defensivspiel von Leeds United. Koch sprach bei seiner Vorstellung von „Präsentationen“ in seinem Postfach – und wer Bielsas ausufernde Taktikreferate einmal verfolgt hat, mag einen guten Eindruck von diesen besonderen Nachrichten bekommen haben.
Bielsa ist ein Vertrauter von Pep Guardiola und wird unter Trainern als Taktik-Genie verehrt. Er liebt das Spiel mit dem Ball; die Angriffsstafetten beginnen ganz hinten. „Ich habe immer wieder Videos bekommen und gesehen, welch intensiven Fußball der Trainer spielen lässt“, sagte Koch am Samstag. Über seinen ehemaligen Lauterer Mannschaftskollegen Mateusz Klich konnte er überdies in Erfahrung bringen: „Das Training ist verdammt brutal.“ Das immerhin kenne er schon von seinem Coach Christian Streich aus Freiburg.
Für den typischen Bielsa-Fußball scheint der 24-Jährige nicht nur physisch die besten Voraussetzungen mitzubringen. Er ist passsicher und verfügt über eine gute Spieleröffnung, beim SC wurde er oftmals auch im defensiven Mittelfeld eingesetzt. „Der Fußball von Leeds verlangt sehr ballsichere Innenverteidiger“, sagt Alex Chaffer, Mitarbeiter des englischen Bundesliga-Kanals und langjähriger Fan von Leeds United.
Kochs Verteidiger-Vorgänger Ben White avancierte mit genau diesem Attribut zum „besten Jungstar der Liga“ und absoluten Publikumsliebling. Whites Stammverein Brighton & Hove Albion soll für eine feste Verpflichtung an die 40 Millionen Euro verlangt haben. Leeds-Fan Chaffer hält Koch in diesem Fall für die bessere Wahl: „Er kostet nur ein Drittel vom aufgerufenen Preis und ist sogar erfahrener als White. Ein unglaublicher Deal für Leeds.“
Koch lief bereits 82 Mal in der Bundesliga und zwei Mal für die Nationalmannschaft auf. Dabei unterscheidet sich sein Werdegang deutlich von dem seiner Profi-Kollegen. Koch besuchte kein Fußball-Internat eines Bundesligisten, sondern spielte in seiner Jugend für Eintracht Trier. Mit 15 Jahren absolvierte er eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Erst drei Jahre später wechselte er zum 1. FC Kaiserslautern, wo schon sein Vater Harry in den Neunzigerjahren für seine wilde Lockenmähne, unbarmherzige Grätschen und eiskalte Elfmeter bekannt geworden war.
„Wir sprechen über private Dinge, in den seltensten Fällen über Fußball“, sagte Koch dem sportbuzzer über das Verhältnis der beiden. „Und vom Style her verzichte ich lieber auf seinen Rat.“ Mit 21 Jahren wechselte er zum SC Freiburg in die Bundesliga. Im Breisgau hatten sich die Verantwortlichen schon ab dem vergangenen Winter mit Kochs Abgang abgefunden, als Leipzig intensiv um den Verteidiger warb. Kochs Vertrag beim SC wäre im kommenden Jahr ausgelaufen.
Für Leeds bedeutet der Transfer auch eine neue Wegmarke, die die ohnehin begeisterungsfähigen Anhänger in schiere Euphorie versetzte. „Wer unseren Weg der vergangenen 16 Jahre verfolgt hat, kann ermessen, wie surreal diese Tage für uns sind“, sagt Fan Alex Chaffer. Er könne immer noch nicht glauben, dass sein Verein am gleichen Tag die Verpflichtung eines deutschen und eines spanischen Nationalspielers bekannt gegeben habe.
Leeds holte neben Koch auch Mittelstürmer Rodrigo aus Valencia – für die Rekordsumme von 33,5 Millionen Euro. Chaffer sagt: „Wir geben das Geld nicht sinnlos aus, sondern holen Spieler, die ins System passen.“ In der kommenden Woche könnten mit Koch und Rodrigo beim Länderspiel zwischen Deutschland und Spanien zwei Leeds-Spieler direkt aufeinander treffen.
Der Klub wird Experten zufolge auch in der höchsten Spielklasse seinen Stil beibehalten und die Partien aktiv gestalten wollen. Auch dieser mutige Ansatz, eine Herausforderung für die Innenverteidiger, dürfte Koch bei seiner Entscheidung beeinflusst haben. Wie standfest das Gerüst ist, wird bereits die erste Bewährungsprobe für Koch und Leeds zeigen. Am ersten Spieltag der neuen Saison wartet gleich mal Liverpool.