Am Dienstagabend hat Sergio Ramos sein 100. Tor für Real Madrid geschossen. Er ist einer, der Gegner im Alleingang brechen kann. Würdigung eines Unsympathen.
Der gebürtige Andalusier beweist aber auch, dass er mehr als nur ein um sich schlagendes und tretendes Raubein ist. Spätestens seit einem Schicksalsschlag im Jahr 2007. An diesem verhängnisvollen 28. August starb mit Antonio Puerta einer seiner engsten Freunde beim FC Sevilla nachdem er er drei Tage zuvor auf dem Spielfeld zusammengebrochen war. Die Titel mit der Nationalmannschaft feierte Ramos in Gedenken an Puerto mit einer Flagge der Region Andalusien und einem T‑Shirt mit der Aufschrift „Siempre con nosotros“. Zu deutsch: „Immer bei uns“.
Dass er auch in schweren Momenten nie aufgeben dürfe, das hat Ramos von seiner Familie gelernt. „Mein Großvater und mein Vater haben mir immer gesagt, dass es Hoffnung gibt – selbst, wenn nur noch eine Sekunde zu spielen ist“, sagte er einst. Und Ramos ist jemand, der seinen Teamkollegen mit seiner Ausstrahlung Hoffnung bis zur letzten Sekunde verleihen kann. Erst kürzlich lobte Real-Trainer Zidane seinen Leitwolf: „Ramos ist unser Anführer und Kapitän. Er zeigt uns den Weg auf dem Feld.“
2014, beim ersten von vier Titeln binnen fünf Jahren der Königlichen in der Königsklasse, war Ramos maßgeblich am Erfolg beteiligt. Im Stadtduell gegen Atletico Madrid fiel Real wenig ein, eine knappe Stunde lang rannte es einem 0:1‑Rückstand hinterher. Die Offensivstars Cristiano Ronaldo und Gareth Bale vergaben hochkarätige Chancen. In der dritten Minute der Nachspielzeit köpfte Ramos nach einer Ecke von Luca Modric zum Ausgleich ein. Auch dieser Treffer steht für das Spiel des Verteidigers, der gleichzeitig auch ein Stürmer sein kann. Seine Wucht und sein unbedingter Wille sind in der Defensive wie in der Offensive gefürchtet. An diesem Abend köpfte Ramos den Grundstein für den Champions-League-Titel.
Schon als kleiner Junge war Ramos ein großer Fan des Stierkampfs. Mittlerweile in weiten Teilen Spaniens verboten und dennoch für viele Bewunderer ein Zeichen von Stärke. Dass er kein vom Publikum verehrter Matador wurde, verdankt er seiner Mutter, die ihn überzeugte, nicht gegen gehörnte Stiere sondern stattdessen gegen elf Gegner auf dem Fußballplatz anzutreten. Heute ist Sergio Ramos ein Spieler, der alleine eine komplette gegnerische Mannschaften brechen kann. Mit wichtigen Abwehraktionen, entscheidenden Toren oder eben mit harten Zweikämpfen.
Was für den neutralen Beobachter und an besagtem Champions-League-Abend auch für die UEFA die Grenze zum Regelbruch überschritt, ist für Ramos oft nur eine nüchterne Abwägung von Argumenten. Das zeigt seine Reaktion nach dem Hinspiel gegen Ajax. Im Interview mit der spanischen Sendung El Chiringuito TV sagte der Innenverteidiger nach dem Spiel: „Wenn man das Ergebnis betrachtet, würde ich lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte es nicht provoziert. Es ist nicht so, dass wir den Gegner unterschätzen oder glauben, das Duell ist entschieden, aber manchmal muss man im Fußball solche Entscheidungen treffen.“ Eine Entscheidung, die in diesem Fall nicht von Erfolg gekrönt war. Ausnahmsweise.
223 Gelbe Karten und 26 Platzverweise hat Sergio Ramos bislang gesammelt. Dem gegenüber steht seine beeindruckende Titelsammlung. Weltmeister, zweimal Europameister, viermal Champions-League-Sieger und viermal spanischer Meister nennt sich der Abwehrspieler – und damit gleichzeitig immer auch seine Teamkollegen. Sergio Ramos mag ein unangenehmer Gegenspieler, ein zweifelhafter Sportkamerad, ja sogar ein Unsympath sein. Aber wer Ramos im Team hat, schreibt Geschichte.