Heute vor einem Jahr wurde Jürgen Klinsmann als neuer Hertha-Trainer vorgestellt. 76 Tage später war er wieder weg. In der kurzen Zeit hat er, nun ja, eine Epoche geprägt. Eine Rückschau mit Wow-Effekt.
1. November 2019: Noch ist Jürgen Klinsmann nur Teil des Aufsichtsrats von Hertha BSC und ist live dabei, wie ein größenwahnsinniger Investor den Hauptstadtklub zerstört. Leipzig gewinnt mit 4:2.
27. November 2019: Und plötzlich sitzt er selbst auf der großen Bühne. Beziehungsweise besser: Er strahlt. Bei der Antritts-PK versuchen Manager Michael Preetz und der neue Coach noch die Aufregung einzudämmen…
… doch das Medieninteresse ist riesig. So riesig, dass sogar ein 11FREUNDE-Redakteur anwesend ist. Der später unter anderem schreiben wird: „Verrückt.”
Auf dem Trainingsplatz stehen am Nachmittag dann neben Klinsmann auch Co-Trainer Markus Feldhoff, Co-Trainer Alexander Nouri und Athletik-Trainer Henrik Kuchno. Vom DFB leiht sich Klinsmann auch noch Torwarttrainer Andreas Köpke bis zur Winterpause aus.
Weil, klar: Die Zukunft gehört Berlin. Vielleicht.
Zeit für ein erstes Kennenlernen ist beim 1. Training selbstverständlich auch. Hier stellt sich Davie Selke (Werder Bremen) vor.
30. November: Trotz der Nicht-Beachtung bei der Besetzung des neuen Performance Managers: Herthinho freut sich demonstrativ über den neuen Trainer.
Doch der erste Spieltag unter Klinsmann beginnt mit einem Aufreger! Beim Nike-Klub aus Berlin fotografiert der Cheftrainer die Ostkurve mit seinem Handy. Die drei Streifen auf seiner Handyhülle werden als Coup des persönlichen Ausrüsters gefeiert.
Ansonsten gibt es wenig zu feiern. Denn trotz Überzahl und Anschlusstreffer…
… verliert Hertha gegen Borussia Dortmund mit 1:2. Der Berliner Tagesspiegel titelt am nächsten Tag: „Auf Jürgen Klinsmann wartet verdammt viel Arbeit.”
1. Dezember: Noch origineller als „We try, we fail, we win”-Gags: YouTuber, die sich heimlich auf den Trainingsplatz schleichen und – wer hätte es geahnt? – nach fünf Minuten des Geländes verwiesen werden. Beim Auslaufen nach dem Dortmund-Spiel wurde dieser Marvin erwischt und vom Feld geschickt. Wenige Tage später aber holte ihn Jürgen Klinsmann zu sich und überreichte ihm sogar ein Trikot. Ondrej Duda, Salomon Kalou und Davie Selke warten auf diese Geste bis heute.
Klinsi und Arne Friedrich planen derweil das Trainingslager in den USA. Performance Manager Friedrich organisiert dazu ein Meeting mit einem Elite-Soldaten, „weil der eine super Transition hinbekommen hat von seiner aktiven Karriere als Soldier hin zu einem neuen Business”. Ansonsten werde es um Benchmarking, Leistungspotenziale und eine Underwater Torpedo League gehen. Eh klar.
Wird das was mit der Hertha?
6. Dezember: Das wird was! Vor der Winterpause sammelt Klinsmann wichtige Punkte. Einen 2:0‑Vorsprung gegen Frankfurt kann Hertha zwar nicht gänzlich ins Ziel retten, holt aber ein 2:2‑Unentschieden.
14. Dezember: Gegen Freiburg setzt es dann aber den ersten Sieg. 1:0 – durch ein Tor von Vladimir Darida (nicht im Bild).
18. Dezember: Leverkusen wird auswärts ebenfalls mit 1:0 bezwungen.
21. Dezember: Und gegen Borussia Mönchengladbach, die Überraschungsmannschaft der Saison, gibt es noch ein 0:0 kurz vor Weinachten. Acht Punkte aus den letzten vier Spielen, der 12. Tabellenplatz und nur neun Punkte zu den internationalen Plätzen. Dream Big!
Januar 2020: Zunächst einmal werden die Namen größer – Granit Xhaka, Mario Götze und Julian Draxler werden als potenzielle Neuzugänge gehandelt. In der Presse melden sich hingegen Spieler wie Arne Maier oder Niklas Stark, die sich ausgebootet fühlen.
Am Ende investiert Hertha im Winter so viel wie kein anderer Klub. Es kommen Lucas Tousart (im Bild und erst im Sommer), Matheus Cunha (reist an) Santiago Ascacibar und Krzysztof Piątek.
19. Januar: Die Aufregung vor dem Rückrundenstart ist so groß, dass Klinsmann in lächerliche Photoshop-Montagen mit Hansi Flick eingebaut wird.
19. Januar: Weshalb es kommt, wie es kommen musste: Hertha bekommt zum Auftakt den Allerwertesten versohlt und verliert 0:4 gegen den FC Bayern.
25. Januar: Nur eine Woche später sieht’s ganz anders aus! In letzter Sekunde gewinnt Hertha gegen Wolfsburg mit 2:1. Als Klinsmann zum letzten Mal in diesem Stadion als Trainer arbeitete, hatte Grafite das Tor des Jahres erzielt. Und Felix Magath konnte es sich erlauben, Andre Lenz in der 89. Minute einzuwechseln.
26. Januar: Klinsmann geht weiter voran.
29. Januar: Alexander Nouri und Klinsi besprechen vor dem Doppelspieltag gegen Schalke (Liga und Pokal) mit der Mannschaft die taktischen Überlegungen. Nach Ansicht der Spiele muss festgehalten werden: Um Fußball kann es dabei nicht gegangen sein.
31. Januar: Denn in der Liga gibt es ein 0:0 und das vielleicht fußballärmste Fußballspiel seit der Erfindung des Fußballs zu sehen.
4. Februar: Im Pokal wird es spielerisch ansehnlicher. Neben dem Platz kommt es hingegen zum Skandal. Herthas Jordan Torunarigha wird von den Zuschauerrängen rassistisch angefeindet, der Verteidiger sieht daraufhin für das Wegwerfen einer Getränkekiste die Gelb-Rote Karte.
8. Februar: Hertha zeigt die richtige Reaktion, solidarisiert sich mit Torunarigha. Nur erneut: Das Fußballspielen wird eingestellt. Mainz 05, mittlerweile direkter Abstiegskonkurrent, gewinnt hochverdient mit 3:1.
11. Februar: Jürgen Klinsmann gibt nach zwölf Wochen sein Amt via Facebook ab. Für viele völlig überraschend, aber ja: Facebook existiert noch. Das Vertrauen zwischen Führungspersonen und Klinsmann, wie Klinsmann schreibt, jedoch nicht. Oder um es mit den Worten eines Kollegen zu sagen: „Verrückt.”