Der Österreicher Heribert Meisel moderierte die Premieren-Sendung des aktuellen Sportstudios im ZDF und zählte nach dem Zweiten Weltkrieg zu den besten und bekanntesten Fußball-Kommentatoren Europas. Heute wäre er 100 Jahre alt geworden. Wir erinnern an einen seiner größten Auftritte.
Deutschland, Anfang der fünfziger Jahre. Vom Krieg will kein Mensch mehr etwas wissen, doch im Radio machen die Sportkommentatoren einfach weiter. »Die deutschen Funkreporter«, schreibt der »Spiegel«, »gebärden sich wie Kriegsberichter in einer Kesselschlacht.« Dann spielt Deutschland am 23. September 1951 gegen Österreich und plötzlich ist alles anders.
Live aus dem Wiener Praterstadion sorgt ein Fußball-Enthusiast aus Österreich für Begeisterung in deutschen Wohnzimmern. Heribert Meisel, angestellt beim österreichischen Hörfunk (Sendergruppe »Rot-Weiß-Rot«), überträgt das Spiel auch für die deutschen Radioempfänger und pustet in 90 Minuten seinen neuen Zuhörern den Staub aus den Ohren. »Was noch kein deutscher Sportsprecher schaffte«, berichtet der »Spiegel«, »gelang ihm auf Anhieb. Meisels charmante Reportage ließ selbst Hörer gebannt weiterlauschen, die sonst bei Beginn von Sportfunk-Sendungen das Radio abschalten.«
Endlich mal was anderes als heisere Routine-Reportagen
Meisel, in Österreich seit seinem ersten Radioauftritt 1947 als Sportreporter mit Entertainerqualitäten bekannt, verzückt die Hörer des überraschenden 2:0‑Erfolgs der deutschen Nationalmannschaft – waschkorbweise werden anschließend Jubelschreiben in die Redaktion des NWDR geliefert. Was nicht alle glücklich macht. »Von Tausenden Zuschriften kann gar keine Rede sein«, mault Hamburgs NWDR-Sportfunkleiter Herbert Zimmermann. Zwar kann sich die Redaktion am Tag des Länderspiels vor Anrufen kaum retten, »Briefe sind jedoch nur etwa 50 eingegangen. Und davon sind auch nur etwa 40 überschwänglich zustimmend.«
NWDR-Intendant Ernst Schnabel lädt den Rundfunk-Star aus Österreich trotzdem als Gastsprecher ein, schließlich »wünscht man sich endlich etwas anderes zu hören, als die atemlos-heiseren Routine-Reportagen, deren Sprecher offensichtlich nur über einen Wortschatz von 25 Vokabeln verfügen.« (»Spiegel«) Auch Herbert Zimmermann scheint dem weanerischen Charme zu erliegen. Drei Jahre später wird er mit seiner Endspielreportage aus Bern zur nationalen Fußball-Stimme. Mit deutlich mehr als 25 Vokabeln – und einer ganzen Menge Meisel.
Und hiert nun Auszüge aus der berühmten Reportage Meisels beim Spiel Österreich gegen Deutschland am 23. September 1951 im Wiener Praterstadion:
»Ein gefährlicher Angriff der Deutschen. Nebus, der kleine blonde Kölner, treibt das Leder nach vorne und spielt ab zu Morlock. Ist des der Morlock? Neben mir bestreitet ein deutscher Sportfotograf, das des der Morlock ist. Aber ich seh doch ganz genau, der Mann mit der Nummer 9 auf dem Buckel und die Nummer 9 des ist der Morlock! Ja, wenn der Morlock auf dem Kopf stehen würde, dann wär der Neuner der Sechser und dann wär der Morlock der Schanko, aber der Morlock steht ja zumeist mit beiden Beinen, aber auf jeden Fall mit einem Bein im Feld.«
»Himmisakra, dreimal hat der Gerritzen jetzt schon eine Chance verhaut. Einmal hackt er ins Gras, dann hackt er sich in den Fuß, und dann hackt er in die Luft.«
(Als der Ball in seine Arme fliegt) »Jetzt hab i den Ball. Wenn i net will, geb i den Ball net her. Mann müssens aufhörn mit der Spülerei, dann ists aus mit dem Gspaß…«
»Morlock zu Preißler, sehr gefährlich! Der Preißler, der Preißelbär, der preißelt sich durch, aber der Musil, der österreichische Keeper, ist da und hat das Leder.«
»Und – Schuss! Jeijeijeijei! Mein Gott, das war gefährlich. Der Stojaspal schießt aus zehn Metern Entfernung nur in die Wolken. Haushoch über das Tor. Also, liebe Sportfreunde draußen in Deutschland, ich bin schon ganz bedient, sie können aufatmen, nichts passiert. Sie können die Skat-Karten ruhig wieder zur Hand nehmen. Sie können weiterhin in ihrem Kaffeeheberl umrühren. Mit nem Löffel, oder ohne Löffel. Alles ist in Butter, es bleibt vorläufig bei 0:0.«
»Toor, Toor, Toor, Toor! 1:0 für Deutschland! Morlock war es, der den Ball da mit der Brust ins Netz gedrückt hat. Es war a Brustschuss. Der Jubel auf dem Spielfeld bei den deutschen Spielern kennt natürlich keine Grenzen. Auf die heißen und erhitzten Fußballhäupter der Wiener natürlich – bittschön, ich kanns nicht ändern! – ist dieses Goal wie eine kalte Dusche herunter gerieselt.«
»Jetzt ist der Schanko am Ball, also der Mann, bittschön, in Wien würden wir sagen, der Mann mit der Gloatzn. Ich weiß nicht, wie sie in Deutschland diesen Haarschnitt nennen, aber warten sie, mir scheint…Platte! Ja, Platte! Ja, also sagen wir: der Schanko mit der hohen Stirne.«
»Jessesmaria, das österreichische Goal ist leer! Der Herrmann wieder hinüber nach links und Schuss – jei,jei,jei! – und Toor, Toor, Toor! Das ist das 2:0 für Deutschland und das dürfte der Sieg sein. Aber sie werdens mich erschlagn, jetzt weiß ich net, wers geschossen hat. Es ist ja auch schwer: Der Herrmann und der Haferkamp, beide ohne Nummer am Buckel… Aber jetzt weiß ich, ich habs: Der Haferkamp wars. Also der Haferkamp. 2:0 für Deutschland.«
»Es hat sich nichts mehr geändert, da ist der Schlusspfiff. 2:0 für Deutschland. Und abschließend hoffe ich, dass sie nicht böse darüber waren, verehrte Sportfreunde in Deutschland, dass ihnen ausgerechnet a Wiener, den verdienten deutschen Sieg im Wiener Praterstadion übertragen durfte. Auf Wiederhören, ich verabschiede mich als – also, bittschön, ich kann mir nicht helfen – doch irgendwie Verräter meines Stammes, denn letzten Endes bin ich ja doch a Wiener. Ihr, am Boden zerstörter, Heribert Meisel.«