Beim Pokalsieg des FC Zürich ist Christoph Biermann Zeuge der bizarrsten Pokalfeier überhaupt.
Der vierte Sonntag im Mai war in Zürich kein schöner Tag. Es regnete mit so großer Entschlossenheit vom Himmel, dass jeder nass wurde, der vor die Tür ging. Und zweifellos passte das Wetter zur Stimmung der Anhänger des FC Zürich, als sie auf das Stadion Letzigrund zuströmten. Ihre Mannschaft hatte sich fürs Schweizer Pokalfinale qualifiziert, das sogar ein „Final dihei“ war, weil es zum ersten Mal seit 80 Jahren wieder in Zürich ausgetragen wurde. Aber genau diese Mannschaft war in genau diesem Stadion vier Tage zuvor in die zweite Liga abgestiegen – zum ersten Mal nach fast drei Jahrzehnten.
Nachdem der Abstieg feststand, hatten die Ultras aus der Südkurve versucht, die Katakomben des Stadions zu stürmen. Letztlich war außer viel Geschrei aber nicht viel passiert. Doch nun standen sie am Tag des Finales wieder an ihrem Platz im Stadion und waren ein paar hundert Menschen starkes Mahnmal des Zorns. Entlang ihrer Kurve teilte ein mannshohes Banner der Mannschaft auf Schwyzerdütsch mit: „Gewinnt das Finale, geht nach Hause und schämt Euch weiter.“ Ansonsten schwiegen sie.
Wie ein schlechter Geruch, der sich nicht verziehen will
Sie schwiegen, als zunächst der Gast aus Lugano gut spielte und schwiegen weiter, als ihre Mannschaft besser in die Partie kam. Sie jubelten nach einer halben Stunde nicht, als der Torhüter des FC Zürich eines Elfmeter hielt, den er selbst verursacht hatte. Und sie feierten auch nicht, als ihre Mannschaft kurz vor der Pause in Führung ging. Ich war froh, dass ich ein paar Blöcke weiter meinen Platz hatte, wo jene Zürcher standen, die angesichts der gruseligen Saison zumindest ein wenig Happy End haben wollten. Aber schwer war´s mit der Happiness, denn das aggressive Schweigen der jungen Männer in den schwarzen Klamotten lag über dem Stadion wie ein schlechter Geruch, der sich nicht verziehen wollte.
Sie wollten sich in ihrem Groll auch nicht davon besänftigen lassen, dass der FCZ den Cup wirklich gewann. Was doch immerhin bedeutete, dass sie als Zweitligist im Europapokal spielen dürften. Um alle Zweifel an ihrem Missfallen zu beseitigen, zogen sie kurz vor Abpfiff ihre Imkerhauben über, damit sie niemand mehr identifizieren konnte. Das sah bedrohlich aus, weil sie nun nicht nur junge Männer in Schwarz waren, sondern auch Menschen ohne Gesichter. Dann warfen sie Kanonenschläge auf die Laufbahn und hörten ewig nicht damit auf, damit bloß keiner eine Annäherung versuchte. Mit den Fans in der Nachbarschaft, die ihr Team bejubeln wollten, gab es sogar eine kurze Schlägerei. Die Mannschaft feierte also mit dem Reststadion und machte dabei einen großen Bogen um jene, die man gerne die treuesten der Treuen nennt, die an jenem Tag aber die unversöhnlichsten der Unversöhnlichen sein wollten.
Doch dann, bestimmt schon eine halbe Stunde nach Abpfiff, kamen fast schon vom Eingang zu den Kabinen noch einmal zwei Spieler herüber. Einerseits war das Gilles Yapi, der verletzt ausgewechselte Mittelfeldmann von der Elfenbeinküste, der humpelnd und mit tamponierter Nase etwas von einem Kriegsversehrten hatte. Er trug den Pokal an einem Henkel und der altgediente Verteidiger Alain Nef am anderen. Gemeinsam strebten sie der Südkurve zu und wuchteten sich über den Werbereiter hinter dem Tor. Wenige Schritte dahinter, ungefähr dort, wo bei Leichtathletikwettkämpfen die Matte der Stabhochspringer liegt, stellten sie den Pokal auf dem Boden ab.
Verliebt in ihren Zorn
Dann drehten sie sich um, kletterten wieder über die Bande zurück und schleppten sich dem Ausgang entgegen. Die bizarrste Feier eines Pokalsiegs, die ich je erlebt hatte, hatte eine letzte absurde Wendung bekommen. Der Pokal, geschmückt mit blau-weißen Bändern, den Farben des FC Zürich, blieb zurück wie eine Opfergabe. Doch die in Schwarz waren noch zu verliebt in ihren Zorn, weil er sie so groß und so gerecht machte, dass sie das Opfer nicht annehmen wollten. Sie wollten lieber noch böse sein, riefen den Spielern Flüche hinterher und verließen das Stadion.
PS: Irgendwer musste den Pokal dann doch wieder mitgenommen haben. Als ich am nächsten Tag zu Gast bei einer Veranstaltung im Museum des FC Zürich war, stand er dort. Ich durfte ihn sogar in die Hand nehmen. Etwas später am Abend kam der Trainer des FCZ und nahm den Cup mit. Er wollte ihn noch seiner Mutter zeigen.