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Viel­leicht hat Ralf Rang­nick sich ges­tern das Fuß­ball­spiel seiner Mann­schaft von Schalke 04 im Fern­sehen ange­sehen. Viel­leicht auch nicht, was spielt das noch für eine Rolle? Ralf Rang­nick, 53 Jahre alt, einer der füh­renden Trainer des deut­schen Pro­fi­fuß­balls, leidet an einem Erschöp­fungs­syn­drom. Diese Dia­gnose über­brachte der Schalker Ver­eins­arzt Torsten Rar­reck der Öffent­lich­keit; mit dem Ein­ver­ständnis des Pati­enten. Der Körper ist aus­ge­laugt, kör­per­lich ist er am Ende. Die Spei­cher sind ein­fach leer“, sagte der Medi­ziner diese Woche.

Seitdem sind in den Zei­tungen viele Seiten gefüllt und im Fern­sehen viele Sen­de­mi­nuten aus­ge­strahlt worden. Darin war viel von Betrof­fen­heit die Rede, von Hoch­ach­tung für den Mut des öffent­li­chen Umgangs und natür­lich von der Hoff­nung auf rasche Gene­sung und eine Rück­kehr Rang­nicks auf die Bühne Pro­fi­fuß­ball. Dieser Fall hat erneut berührt und nach­denk­lich gemacht. Und er hin­ter­lässt Fragen.

Kann das auch mir pas­sieren?

Kann mir das auch pas­sieren? Fühle ich mich nicht auch oft aus­ge­brannt und leer? Ab wann spre­chen wir von einer Depres­sion? Und würde ich mir das ein­ge­stehen? Was dann? Depres­sion ist eine Volks­krank­heit. Jeder zehnte Deut­sche leidet im Laufe seines Lebens unter einer psy­chi­schen Krank­heit. Nach Schät­zungen der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­tion wird die Depres­sion im Jahr 2020 die zweit­häu­figste Erkran­kung welt­weit sein, über­troffen nur von Herz-Kreis­lauf-Stö­rungen. Warum macht diese tücki­sche Krank­heit eine solche Kar­riere? Warum werden immer mehr Men­schen depressiv? Und wie gehen wir damit um?

Depres­sion ist ein häss­li­ches Wort. Ich möchte die Krank­heit aber nicht mehr ver­bergen.“ Mit diesen Sätzen war Sebas­tian Deisler im Herbst 2003 an die Öffent­lich­keit gegangen. Er war der bis dato pro­mi­nen­teste Fall im deut­schen Fuß­ball. 2007 been­dete der damals 27 Jahre alte Bayern- und Natio­nal­spieler seine Kar­riere, die von Beginn an unter Genie­ver­dacht stand. Zwei Jahre später nahm sich der Tor­wart Robert Enke das Leben. Enke hatte seine Erkran­kung über Jahre hinweg ver­schwiegen. Mit der Selbst­tö­tung wurde sein Fall zwar öffent­lich, er aber brauchte damit nicht mehr zu leben. Das ist tra­gisch. Sein Tod erschüt­terte die Nation gewaltig.

Fuß­ball ist nicht alles“, sagte Theo Zwan­ziger auf der Trau­er­feier im vollen Fuß­ball­sta­dion von Han­nover und Mil­lionen Fern­seh­zu­schauern. Der Prä­si­dent des Deut­schen Fuß­ball-Bundes hatte zu mehr Mensch­lich­keit mit­ein­ander auf­ge­rufen. Trauer und Ein­kehr hielten ein paar Tage, viel­leicht Wochen an. Dann drehte sich der Fuß­ball wie eh und je.

Macht das Fuß­ball­ge­schäft krank?

Man darf die Fälle Deisler, Enke und Rang­nick nicht ver­mengen, dafür ist jeder Fall zu indi­vi­duell. Eine Depres­sion hat viele Gesichter. Und doch nimmt die Zahl derer zu, die sich dazu bekennen. Die Bezeich­nung Erschöp­fung oder Burnout hilft vielen Betrof­fenen, auch dazu zu stehen. Wie öffent­lich auch immer. Depres­sion kommt noch immer einer Stig­ma­ti­sie­rung gleich, es steht zu aller­erst für Schwäche. Das Wort Burnout ist längst nicht so negativ belegt. Steht es doch dafür, dass hier einer etwas geleistet hat, dass einer über alle Maßen geschuftet hat, ohne Rück­sicht auf die Grenzen des kör­per­lich und see­lisch Zuläs­sigen. Das hat was Tro­phä­en­haftes. Das macht es ins­be­son­dere ego­manen Per­sonen leichter, allen voran Män­nern. Bekannt­lich gelten leis­tungs­be­reite Men­schen, die zum Per­fek­tio­nismus neigen, als beson­ders gefährdet für psy­chi­sche Krank­heiten. Zudem wird das Thema Burnout im Gegen­satz zum Tabu­thema Depres­sion auch gern von den Medien aus­ge­griffen. Burnout bietet eine Art schnelle wie auch halb­wegs akzep­tierte Erklä­rung für das Schei­tern, etwas, mit dem man eigene Fehl­leis­tungen durch Umstände erklären kann, die man selbst nicht beein­flussen kann – und das wird von den Men­schen gerne auf­ge­nommen“, sagte unlängst der Medi­en­wis­sen­schaftler Wolf­gang Dons­bach.

So hat sich bei­spiels­weise der Spiegel“ in diesem Jahr schon zwei Mal umfas­send mit dem Thema Burnout beschäf­tigt: Aus­ge­brannt – Das über­for­derte Ich“ und Neu­start – Wege aus der Burnout-Falle“. Die Kon­kur­renz vom Focus“ titelte mit: Gene­ra­tion Burnout – Warum die Psy­cho­krise jeden treffen kann“. Das Thema ver­kauft sich gut. Auch weil es immer mehr Men­schen betrifft, direkt oder als Lebens­partner eines Betrof­fenen. Nun ist ein Outing nicht in jedem Fall ratsam. Nicht jeder Ange­stellte ist gut beraten, sich im Kol­le­gen­kreis zu dieser Krank­heit zu bekennen, weil es immer noch an Ver­ständnis und Akzep­tanz für see­li­sches Leiden man­gelt. Wich­tiger ist hier, sich selbst eine Erkran­kung ein­zu­ge­stehen und sein pri­vates Umfeld ein­zu­weihen, um die Unter­stüt­zung für die Behand­lung zu erhalten. Bei einer sol­chen sind die Gene­sungs­chancen gar nicht mal schlecht. Pro­mi­nente Fuß­ball­spieler und ‑trainer haben diese Wahl nicht. Sie bewegen sich unter dem Brenn­glas der Öffent­lich­keit. Sich für eine The­rapie aus dem Ver­kehr zu ziehen, würde auf­fallen. Der Fuß­ball hat spe­zi­elle Rah­men­be­din­gungen, die das Genesen nicht ein­fa­cher machen. Zudem hat ein in der Öffent­lich­keit ste­hender Profi sehr viel zu ver­lieren: Ansehen und Ver­eh­rung, Reichtum und Ruhm. Wie ist es mit seiner Eitel­keit bestellt? Das Kli­schee­denken vom glück­li­chen Fuß­ball­profi stimmt längst nicht mehr.

Gesell­schaft­liche Akzep­tanz muss erhöht werden

Leis­tungs­druck ist jedem Sport imma­nent. Es geht um Wett­streit, Wett­kampf. Jene, die Sport in der Spitze aus­üben, sind von Kin­des­beinen an mit diesem Druck und Stress groß geworden. Oft fängt der Ver­drän­gungs­wett­be­werb in der eigenen Kabine an. Wer darf spielen, wer ist nur Ersatz? Und das alles im Lichte der Öffent­lich­keit. Diesen Druck ver­trägt nicht jeder gleich gut. Und doch werden bei den aller­meisten Men­schen psy­chi­sche Erkran­kungen auch ohne Medi­en­jagd aus­ge­löst. Die drei pro­mi­nenten Fälle aus der Welt des Fuß­balls sind Bei­spiele für ein gesamt­ge­sell­schaft­li­ches Phä­nomen. Selbst­zweifel und Ver­sa­gens­ängste sind Krank­heits­sym­ptome, die alle treffen, vom Unter­neh­mens­lenker bis zum Hartz-IV-Emp­fänger. Letzt­lich kann es nur darum gehen, die Akzep­tanz und das Ver­ständnis in der Gesell­schaft für see­li­sche Ver­let­zungen und Krank­heiten zu erhöhen. Der Betrof­fene hat eben nichts zum Vor­zeigen, keine offene Wunde, keinen Bein­bruch, nichts.

Ideal wäre es, wenn eine psy­chi­sche Ver­let­zung so ange­nommen wird wie ein Kreuz­band­riss oder eine Knö­chel­fraktur. Sebas­tian Deisler hat damals unter den Sym­ptomen eines Burn­outs seinem Leben als öffent­liche Figur, als Medi­en­star ein Ende gesetzt. Vier Jahre zuvor hatte er gesagt: Ich kann nicht mehr, ich brauche Hilfe.“ Ein starker Satz. Ralf Rang­nick lässt ihn sagen. Auch für ihn gilt: Ein Mensch, der Schwäche zeigt, ist nicht gleich schwach, wenn er mal nicht stark ist. Im Gegen­teil. Wer in der Schwäche Stärke zeigt wie Deisler und Rang­nick, der hat Respekt und Aner­ken­nung ver­dient, weil er damit nicht nur sich selbst, son­dern auch anderen hilft.

Der Autor Michael Rosen­tritt hat das Buch Sebas­tian Deisler – Zurück ins Leben“ (Edel Verlag) geschrieben.