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Es gibt diesen herr­lich-skur­rilen fran­zö­si­schen Film. Nichts zu ver­zollen“ heißt er und spielt im bel­gisch-fran­zö­si­schen Grenzort Cour­quain, wo sich die Grenz­be­amten der beiden Bruder-Nationen gegen­seitig die Arbeit und das Leben schwer machen. Das ganze ist natür­lich nur eine Komödie. Und doch sagt der Film viel aus über das kom­pli­zierte fran­zö­sisch-bel­gi­sche Ver­hältnis: Es ist nicht offen feind­selig wie jenes zwi­schen Russen und Ukrai­nern. Es ist auch nicht so Welt­kriegs-beladen wie das nie­der­län­disch-deut­sche. Aber es ist kom­pli­ziert, so wie die Bezie­hung zweier ver­freun­deter Brüder: Der eine ist groß, welt­män­nisch und erfolg­reich. Der andere kommt – zumin­dest in den Augen der Fran­zosen – eher mickrig, pro­vin­ziell und ein biss­chen schrullig daher. Ver­gleiche mit dem Ver­hältnis zwi­schen Deutsch­land und Öster­reich ver­bieten sich natür­lich an dieser Stelle.

Immer ein biss­chen besser

Bel­gien teilt das tra­gi­sche Los so vieler kleiner Brüder auf dieser Welt: Im Wett­ei­fern mit dem großen Frank­reich um Lob, Ach­tung und Aner­ken­nung ist es ein­fach schwierig zu bestehen. Gut, die Bel­gier haben Brüssel, das Ato­mium und das lie­bens­werte Man­neken Piss. Aber Frank­reich hat Paris. Den Eif­fel­turm. Und die wun­der­bare Mona Lisa. Bel­gien ist zwar die Heimat großer Söhne wie Eddie Merckx, Helmut Lotti, Jean-Claude van Damme oder Tim und Struppi. Doch Frank­reich kann Zine­dine Zidane, Charles Azna­vour, Gérard Depar­dieu oder Asterix und Obelix auf­bieten. Und wenn die Bel­gier mal etwas urei­genes, mega-geniales her­vor­bringen wie Pommes-Frites, dann kommen die Ame­ri­kaner und nennen die Dinger French Fries“. Das ist doch frus­trie­rend.

Nichts aber sym­bo­li­siert die bel­gi­sche Malaise so tref­fend wie der Fuß­ball: Wann immer die Roten Teufel“ etwas beson­ders gut machen, kommt die Equipe Tri­co­lore“ und macht es noch besser. So lief es schon in den Acht­zi­gern: Vier Jahre nachdem Ceu­lemans, Gerets & Co. sen­sa­tio­nell das EM-Finale 1980 gegen die DFB-Elf (1:2) erreicht hatten, gewann Frank­reich den Titel. Voilà. Nie­mand sprach mehr über die tap­feren Bel­gier. 1986 in Mexiko kam Bel­gien bis ins Semi­fi­nale der WM. Aber die Fran­zosen eben auch – und die putzten den kleinen Nach­barn im Spiel um Platz drei mit 4:2 nach Ver­län­ge­rung. 1994, bei der Welt­meis­ter­schaft in den USA, gelangten die Bel­gier immerhin ins Ach­tel­fi­nale gegen Deutsch­land (2:3), wäh­rend Frank­reich sich nicht einmal qua­li­fi­ziert hatte. Vier Jahre später aber wurden Zidane & Co. Welt­meister. Und bei der EM 2000? Da ging Bel­gien als ambi­tio­nierter Co-Gast­geber ins Rennen, flog jedoch in der Vor­runde raus – und musste am Ende mit­an­sehen, wie diese Fran­zosen den Pokal hoch­reckten.

Ein­zig­ar­tige Chance

Diesmal aber sei Bel­gien reif für etwas Großes, befindet Super­star Kevin De Bruyne vor dem Halb­fi­nale: So eine Chance erlebst du nur einmal, wenn über­haupt. Natür­lich wollen alle ins Finale, in das Spiel, auf das die ganze Welt schaut. Und wenn du dorthin willst, musst du eben auch die großen Gegner schlagen.“ Was De Bruyne nicht sagt: Für Bel­gien wäre ein Sieg über Frank­reich viel mehr als nur das End­spiel-Ticket – es wäre ein gewal­tiger Schritt heraus aus dem mäch­tigen Schatten des großen Bru­ders. Zudem könnte Bel­giens Erfolg zur Fes­ti­gung einer eigenen natio­nalen Iden­tität bei­tragen, denn De Bruynes Hei­mat­land ist inner­lich ziem­lich zer­rissen.

Bel­giens Norden ist das Zuhause von rund sechs Mil­lionen Flamen, die einen eigenen nie­der­län­di­schen Dia­lekt (Flä­misch) spre­chen. Im Süden leben etwa vier Mil­lionen fran­zö­sisch­spra­chige Wal­lonen. Die größte Kraft im bel­gi­schen Par­la­ment sind flä­mi­sche Sepa­ra­tisten, doch auch wal­lo­ni­sche Natio­na­listen spielen eine gewich­tige Rolle. In der Mitte, ein­ge­keilt zwi­schen Vlan­dern und der Wal­lonie, liegt Bel­giens Haupt­stadt Brüssel. Dort lebt gut eine Mil­lion Men­schen, die zu 85 Pro­zent fran­zö­sisch und nur zu 15 Pro­zent flä­misch spre­chen. Wobei: Über die Hälfte der Haupt­stadt-Bewohner sind eh Migranten, dar­unter leider auch eine kleine Kolonie von mili­tanten Isla­misten, die das bel­gisch-fran­zö­si­sche Ver­hältnis zuletzt arg belas­teten: Fast alle Draht­zieher der Anschläge von Paris im November 2015 stammten aus Brüssel – und konnten dort unge­stört vom schlaf­müt­zigen bel­gi­schen Geheim­dienst ihr Teu­fels­werk planen.

Wer kommt ins Finale

Und so ist es, wie es ist: Frank­reich, die Grande Nation, blickt halb gering­schätzig, halb mit­leidig auf dieses kleine, merk­wür­dige Bel­gien herab. Und reißt Witze über den nörd­li­chen Nach­barn: Wie begraben die Bel­gier ihre Toten? Mit dem Hin­tern nach oben – dann kann man sie wenigs­tens noch als Fahr­rad­ständer benutzen.“ Haha. Die fran­zö­si­schen Spieler ver­zichten vor dem Halb­final-Derby auf allzu pro­vo­kante Töne. Doch zwi­schen den Zeilen lässt sich eine gewisse Selbst­si­cher­heit her­aus­lesen, wenn etwa Stutt­garts Ben­jamin Pavard pos­tu­liert: Wir haben Ver­trauen in uns. Wir wissen um unsere Stärken.“ Kol­lege Paul Pogba ergänzt voll­mundig: Unser Ziel ist nicht das Halb­fi­nale, wir wollen es bis zum Schluss schaffen.“

Viel­leicht aber hat der kleine Bruder die großen Fran­zosen diesmal schlicht aus­ge­trickst. Denn im Vor­feld des Halb­fi­nales können die Roten Teufel“ auf das immense Insi­der­wissen eines gewissen Thierry Henry bauen. Frank­reichs Welt­meister von 1998 küm­mert sich als 2. Assis­tent von Bel­giens Natio­nal­trainer Roberto Mar­tinez beson­ders um die Stürmer – aber eben nicht nur: Er ist sehr wichtig für uns, beson­ders bei diesem Tur­nier“, verrät Ver­tei­diger Thomas Ver­maelen. Viele Spieler kommen zu ihm und holen sich Hin­weise. Ich denke, Thierry weiß einiges über das Team Frank­reichs. Er ist auf unserer Seite, und er wird nicht zögern, uns diese Infor­ma­tionen zu geben.“

Beson­dere Bedeu­tung

Henrys Boss Mar­tinez ist Spa­nier, doch der 44-Jäh­rige lebt seit zwei Jahren im Raum Brüssel und kennt die bel­gi­sche Volks­seele: Jeder im Land hat rea­li­siert, dass diese Gene­ra­tion etwas Beson­deres ist. Die Spieler haben Bel­gien stolz gemacht.“ Doch Mar­tinez weiß auch: Ein Sieg über Frank­reich hätte noch eine ganz andere Bedeu­tung.