Müssen sich Fußballer fitspritzen lassen? Warum darf ein tätowierter Profi suspendiert werden? Und wann werden Überstunden endlich ausgeglichen? Arbeitsrechtler und Fußballfachmann Dr. Christopher Wiencke hat die Antworten.
Herr Dr. Wiencke, zu Beginn zwei Fragen, die sich die Ottonormalmalocher von 11Freunde stellen. Wieso dürfen Fußballprofis nicht dann Urlaub machen, wann sie es wollen?
Als Arbeitgeber kann ich einem Urlaubsantrag dringende betriebliche Gründe entgegenhalten. Und das wäre im Sport natürlich der Spieltag. Und zugegeben: ihre Arbeitsleistung ist ja immer nur punktuell gefordert, also müssen sie ihren Urlaub auf die freien Tage bzw. die spielfreie Zeit legen.
Was ist mit dem Überstundenausgleich? Bei Auswärtsfahrten ist ja jeder Profi für den Arbeitgeber unterwegs.
Dazu gibt es tatsächlich eine eigene Dissertation. Nach meiner Ansicht kann es keinen Überstundenausgleich nach dem Arbeitszeitgesetz geben, weil Spieler nur selten nine-to-five auf dem Klubgelände stehen und oft auch trainingsfreie Tage genießen. Und eine Vergütung der Überstunden ist aufgrund der hohen Einkommen nicht möglich. Aber tatsächlich hat Karl-Heinz Pflipsen einst ein Urlaubsentgelt eingeklagt.
Nun aber ernsthaft, Guillermo Varela wurde vor dem DFB-Pokalfinale von Eintracht Frankfurt suspendiert – weil er sich tätowieren ließ. Ist das arbeitsrechtlich überhaupt möglich?
Profifußballer sind Arbeitnehmer und haben die gleichen Rechten und Pflichten. Allein, der Beschäftigungsanspruch ist anders: Fußballer haben kein Anrecht auf einen Spieleinsatz. Nur der Trainingsbetrieb muss sichergestellt werden. Deshalb kann jeder Verein jeden Spieler nicht aufstellen. Interessanter ist es, dass Varela sagte, dass sich auch seine Kollegen tätowieren ließen. Sollte das so sein, dann wäre er möglicherweise nicht gleichberechtigt behandelt worden.
Hätte der Verein nicht einfach behaupten können, dass sich Varela ein besonders hässliches Tatttoo hat stechen lassen. Um ihn dafür zu suspendieren?
(lacht) Das wäre wohl nur rechtlich relevant, wenn ein Hakenkreuz oder ein anderes verfassungsfeindliches Symbol oder das Tattoo als Beleidigung zu sehen gewesen wäre. Alles andere ist eine reine Geschmacksfrage.
Frankfurts Trainer Nico Kovac hatte in der vergangenen Saison behauptet, dass der Einsatz von Schmerzmitteln zum Usus eines Fußballprofis gehöre. Darf ein Profi die Einnahme von Schmerzmitteln eigentlich verweigern, wenn er daraufhin ausfallen würde?
Herr Kovac meinte meines Wissens nach zwar nur die prophylaktischen Ibuprofentropfen oder ‑tabletten vor dem Training, aber zumindest sprachlich würde ich das als „Fitspritzen“ sehen. Für diese Medikamente sind das Anti-Doping-Gesetz oder Regularien der Verbände nicht anwendbar. Es stellt sich also die Frage: Handelt der Spieler nach Anordnung des Vereins, nimmt der Spieler die Tabletten mit Wissen oder sogar ohne Wissen des Vereins?
Was sind die Folgen?
Die Einnahme von Medikamenten ist immer ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Deshalb darf kein Arbeitgeber, auch kein Fußballverein, die Einnahme verbindlich anordnen, um anschließend die Sportleistung abzurufen. Und wenn ein Spieler die Einnahme verweigert, darf er ihn nicht sanktionieren.
Ist das realistisch?
Naja, faktisch will jeder Fußballprofi seinen Stammplatz behalten. Bastian Schweinsteiger hat sich während der Weltmeisterschaft so lange das Knie fitspritzen lassen, dass er danach drei Monate ausgefallen ist. Das sind aber meines Wissens keine Weisungen des Vereins oder, wie hier, des DFB gewesen.
Hat der Verein nicht trotzdem eine Fürsorgepflicht?
Genau das ist meine Meinung! Jeder Arbeitgeber hat eine Fürsorgepflicht – und die ist im Sport sogar besonders stark. Ich finde, dass jeder Verein aktiv darauf hinwirken muss, dass die Spieler sich nicht fitspritzen lassen. Wenn sich der Spieler aufgrund des anhaltenden, vom Verein gebilligten, Fitspritzens dauerhaft verletzt oder sogar zum Sportinvaliden wird, dann hat der Verein ein Haftungsrisiko.
Die Vereine würden also zur Kasse gebeten.
Leider ist dieser Themenkomplex juristisch bisher kaum angesprochen und untersucht worden. Obwohl der Verein, wenn sein Spieler zum Beispiel aufgrund der Verletzung keinen neuen Verein finden würde, eigentlich für den Schaden haften müsste.
Ist das schon einmal passiert?
In dieser Form nicht. Bei Ivan Klasnic, der so etwas in ähnlicher Weise durchlebt hat, sollen nach dem erstinstanzlichen Urteil des Landgerichts Bremen zumindest die Ärzte für einen Behandlungsfehler haften.
Was aber geschieht mit Spielern, die sich partout nicht fitspritzen lassen wollen?
Das Problem ist, dass ein Verein den einzelnen Profi eben nicht einsetzen muss. Ein Spieler kann sich immer nur die Teilnahme am Training erstreiten.
Ist dieses Dilemma irgendwie lösbar?
Unter welchen Kriterien sollten denn Einsätze garantiert werden? Felix Magath hätte jedenfalls große Probleme bekommen, wenn er jedem Spieler seiner 30er-Kader auch immer Spielminuten hätte zusichern müssen. Das sind eben die Besonderheiten des Sports.
Trotzdem: müssten die Klubs nicht viel mehr für ihre Profis sorgen?
Definitiv. So richtig hochgekocht ist die Thematik mit dem Suizid von Robert Enke. Aber gerade heute sind die Fußballer einem größer werdenden Druck ausgesetzt. Zum Beispiel in der Digitalisierung: eine falsche Bewegung, ein lustiges Foto und etwas Photoshop und der Spieler geht viral. Meines Erachtens müssten die Vereine dafür psychologische Betreuungen vorhalten, gerade auch für minderjährige, besonders schutzbedürftige Spieler.
Ohne Zweifel, aber um zur letzten Frage der 11Freunde-Belegschaft zu kommen: wie sieht es eigentlich mit dem Vaterschaftsurlaub in der Bundesliga aus?
(lacht) Diese Frage habe ich mir tatsächlich noch nie gestellt. Unter Berücksichtigung der gesetzlich vorgesehenen Ankündigungsfristen könnte grundsätzlich auch ein Bundesligaprofi Elternzeit nehmen. In der Konsequenz muss er aber damit einverstanden sein, monatelang nicht zu spielen – und weitestgehend auf seine Einkünfte zu verzichten, da das Elterngeld bei € 1.800 gedeckelt ist.