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Lothar Mat­thäus sitzt im Hotel Kem­pinski in Buda­pest, und im Minu­ten­takt klin­gelt das Telefon. Oliver Kreuzer, der Manager von Red Bull Salz­burg ist dran. Lothar ver­tröstet ihn auf den Nach­mittag, weil er dann frei spre­chen kann. Sportbild“-Chefredakteur Pit Gott­schalk ruft durch, kurz darauf auch der ehe­ma­lige Manager des Stangl­wirt“, Rein­hard Sto­cker. Er will sich mit Mat­thäus mal in aller Ruhe treffen, mit Gott­schalk trifft sich der Ex-Profi ohnehin am Montag auf der Sportbild“-Party. Kom­menden Samstag ist Mat­thäus als Experte für den Fern­seh­sender Pre­miere unter­wegs, am letzten Sonntag saß er im DSF-„Doppelpass“.

Lothar Mat­thäus hat viel zu tun. Lothar Mat­thäus hat der­zeit keinen Job.



Auch nach der Kar­riere hat der Rekord­na­tio­nal­spieler keinen Gang zurück­ge­schaltet. Sein Ter­min­plan quillt über: Ein kleiner Deal auf dem Balkan, eine Spiel­be­ob­ach­tung in Israel, ein biss­chen Socia­lizen in der VIP-Etage eines Bun­des­li­gisten, ein infor­melles Tele­fonat mit einem Ver­trauten beim FC Bayern. Mat­thäus ist immer auf Emp­fang. Er sagt: Ich weiß genau, was bei Bayern läuft, wie’s dem Podolski geht, dem Schweini.“ Lothar Mat­thäus ist auch nach der Spie­ler­kar­riere das geblieben, was er auf dem Platz schon war: Ein uner­müd­li­cher Hans Dampf in allen Gassen.

Im Juli ist der 46-Jäh­rige mal wieder ent­lassen worden. Diesmal als Co-Trainer bei Red Bull Salz­burg, dem Klub des Brau­se­mil­lio­närs Diet­rich Mate­schitz. Unter­schied­liche Auf­fas­sungen“ wurden als Grund für den Raus­schmiss genannt, was noch eine höf­liche For­mu­lie­rung für die Dif­fe­renzen zwi­schen Mat­thäus und Chef-Trainer Gio­vanni Tra­pat­toni war, dessen Taktik er mehr als einmal öffent­lich ange­pran­gert hat. Am Ende hatten sie sich nicht mehr viel zu sagen, zu häufig hatte Mat­thäus – wie es nun einmal seine Art ist – mehr Frei­geist und Spek­takel“ im Salz­burger Spiel gefor­dert. Außerdem deu­tete er immer öfter an, über kurz oder lang doch lieber als Chef­trainer arbeiten zu wollen: Es gibt Rollen, die mir besser liegen.“ Am Ende stand Mat­thäus fast häu­figer in der Zei­tung als Tra­pat­toni, das konnte so nicht wei­ter­gehen. Macht­mensch Mate­schitz, ein Ver­ehrer des ita­lie­ni­schen Fein­geistes, ließ schließ­lich den Welt­meister aus Her­zo­gen­au­rach wie einen unge­zo­genen Schulbub in seinem Büro antanzen – und übergab Mat­thäus seine Papiere.

Der Job in Salz­burg war bereits das sechste Enga­ge­ment in fünf Jahren. Fünf ver­geb­liche Jahre bei dem Ver­such, nach einer erfolg­rei­chen Pro­fi­kar­riere auch zu einem Trainer von Welt­format zu werden. Lange hat er es bis­lang nir­gendwo aus­ge­halten. Zwei Jahre als Natio­nal­trainer blieb er in Ungarn, ansonsten demis­sio­nierte er stets nach spä­tes­tens einem Jahr, bei Rapid Wien und bei Par­tizan Bel­grad, beim bra­si­lia­ni­schen Klub Atlé­tico Par­an­aense war schon nach einem Monat Schluss.

Dann kam der Job bei Red Bull Salz­burg. Dort sollte Mat­thäus eigent­lich Chef­trainer werden, Franz Becken­bauer hatte den Deal ein­ge­fä­delt. Doch wenige Tage nach Unter­zeich­nung des Ver­trages wurde plötz­lich Tra­pat­toni ver­pflichtet und Mat­thäus vor die Nase gesetzt. Becken­bauer rief etwas schlecht­ge­wissig bei seinem Zög­ling an: Das war so nicht geplant.“ Mat­thäus wurde beschwich­tigt, Tra­pat­toni werde nur eine Art Super­visor spielen. Statt­dessen aber durfte der Deut­sche nur hin und wieder eine Trai­nings­ein­heit leiten.

Ein Jahr nach Amts­an­tritt wirkt Mat­thäus bei­nahe ein wenig erleich­tert, dass es vorbei ist. Sicher, nie­mand wird gerne ent­lassen. Aber nun kann er wieder als Chef­trainer arbeiten. Ein paar lose Anfragen hat es in den Wochen nach der Ent­las­sung gegeben, ein Haupt­ge­winn war nicht dabei. Ich traue mir zu, in der Bun­des­liga zu arbeiten“, sagt Mat­thäus. Ich hätte sicher auch kein Pro­blem damit, unter einem großen Trainer wie Ottmar Hitz­feld noch einmal als Co-Trainer zu arbeiten. Ich sehe mich aber prin­zi­piell als Chef­trainer.“

Er will in die Bun­des­liga, aber sie will ihn nicht


Er muss vor­sichtig sein. Neu­lich hat er der Münchner Abend­zei­tung“ in aller Unschuld gesagt: Ottmar und ich, das wäre ideal.“ Da haben sie in Mün­chen wieder den Kopf geschüt­telt. Dabei hat er das so kon­kret gar nicht gemeint. Die Bot­schaft sollte nur lauten: Mat­thäus will zurück in die Bun­des­liga. Das große Pro­blem: Er will in die Bun­des­liga, aber sie will ihn nicht.

Seit Mat­thäus nach der Euro­pa­meis­ter­schaft 2000 seine Fuß­bal­ler­kar­riere beendet hat, wurden in der Bun­des­liga über 60 Trai­ner­stühle neu besetzt. Einige Male war Mat­thäus in der engeren Aus­wahl, etwa als der 1. FC Nürn­berg 2005 einen Nach­folger für Wolf­gang Wolf suchte oder als bei Ein­tracht Frank­furt 2001 erst Felix Magath und dann Rolf Dohmen ihren Hut nehmen mussten. Man muss dazu sagen, dass sie ihm in Hessen immer noch nicht ver­ziehen haben, dass er im März 1980 die Ein­tracht-Legende Jürgen Gra­bowski in die Inva­li­dität grätschte. Aber auch das ist nur ein Grund von vielen, warum Lothar Mat­thäus in vielen Bun­des­liga-Städten anschei­nend nicht will­kommen ist. Jeden­falls zer­schlugen sich am Ende alle Ver­hand­lungen, hier wie dort gingen die Fans auf die Bar­ri­kaden oder mel­deten Ver­eins­gre­mien schwere Bedenken an.

Auf den ersten Blick ein schwer zu begrei­fendes Phä­nomen. Kein Spieler war erfolg­rei­cher als Lothar Mat­thäus. Er ist Welt­meister und Euro­pa­meister, ist 150 Mal für Deutsch­land auf­ge­laufen, war sechsmal Deut­scher Meister, zweimal DFB-Pokal­sieger, er gewann mit Bayern Mün­chen und Inter Mai­land den UEFA-Cup, war Welt­fuß­baller des Jahres und ist Ehren­spiel­führer der Natio­nalelf. Mehr geht nicht. Und auch als Trainer ist seine Bilanz nicht so desas­trös, wie der häu­fige Arbeits­platz­wechsel ver­muten lässt. Er kann ein­leuch­tend begründen, warum es bei Rapid Wien nicht funk­tio­niert hat, und warum er nach einem Monat bei Par­an­aense gekün­digt hat. Außerdem: Par­tizan Bel­grad hat er zum ser­bi­schen Meister gemacht und in die Cham­pions League geführt, als unga­ri­scher Natio­nal­trainer hat er Pio­nier­ar­beit geleistet, als Co-Trainer ist er in Salz­burg Meister geworden.

Wer ver­stehen will, warum den­noch kein Bun­des­li­ga­klub den größten deut­schen Fuß­baller der letzten drei Jahr­zehnte ver­pflichten möchte, muss weit zurück­gehen, zu den Anfängen ins Jahr 1979 nach Mön­chen­glad­bach. Mat­thäus gerät dort in eine Mann­schaft, die das Erbe einer großen Ära ver­waltet. Die großen Kämpen der 70er, Simonsen, Netzer, Heyn­ckes sind abge­treten, den Anschluss an den Rivalen aus Mün­chen hat die eins­tige Fohlen Elf bereits ver­loren. Mat­thäus, obwohl erst 18 Jahre alt, wird in einer Mann­schaft ohne wirk­liche Hier­ar­chie sofort zum Stamm­spieler und als dyna­mi­scher Antreiber eine zen­trale Figur im Glad­ba­cher Spiel. Wenn Lothar den Ball über­nahm, wusste jeder im Team: Jetzt pas­siert was“, erin­nert sich Uli Sude, dama­liger Keeper der Glad­ba­cher.

Er lässt schnell ver­gessen, dass er sich nach dem Wechsel aus dem beschau­li­chen Her­zo­gen­au­rach eine Anlauf­zeit von einem halben Jahr“ gegeben hat, um sich in Glad­bach zu eta­blieren. Im ersten Radio­in­ter­view seiner Lauf­bahn kurz vor dem Wechsel offen­bart er noch Zweifel an sich und den Umständen: Es kann auch pas­sieren, dass es zu Heimweh kommt.“ Doch Mat­thäus brennt wie eine Fackel von zwei Enden. Wie ein bro­delnder Vulkan“, beschreibt Uli Sude den Jung­spund Mat­thäus, als dieser zum Pro­be­trai­ning die Umklei­de­ka­bine in Mön­chen­glad­bach-Holt betritt. Auf einen Aus­bruch müssen die neuen Kol­legen nicht lange warten. Beim Spiel Fünf gegen Zwei“ nordet der alternde Ter­rier Berti Vogts den Neu­ling mit einer Grät­sche rus­tikal für das Pro­fi­da­sein ein. Ein Ritual, das mehr oder weniger alle neuen Spieler in Glad­bach zu dieser Zeit über sich ergehen lassen – und in der Regel wider­spruchslos erdulden. Mat­thäus sieht das anders. Bei der nächsten Gele­gen­heit revan­chiert er sich beim Denkmal Vogts mit einer derart kom­pro­miss­losen Bein­schere, dass dieser minu­ten­lang vom Mann­schafts­arzt behan­delt werden muss. Sude: Man hätte eine Steck­nadel fallen hören.“ Vogts aber ruft, noch am Boden lie­gend, mit schmerz­ver­zerrter Stimme: Schickt sofort einen zu Manager Gras­hoff, er soll den Ver­trag für den Jungen machen. Ich sag euch: Das wird ein Großer.“

Schon am Anfang seiner Pro­fi­lauf­bahn offen­bart sich, was Fluch und Segen zugleich in der Kar­riere des Lothar Mat­thäus sein wird. Seine urtüm­liche Kraft und Dynamik, die das Alpha-Tier auf dem Platz zum Super­star machen wird, sorgt abseits des Rasens für Irri­ta­tion und hat mit­unter ver­häng­nis­volle Aus­wir­kungen. Uli Sude bringt es auf den Punkt: Lothar war auf dem Platz so stark, weil er völlig unbe­dacht an die Sache ran­ging. Aber so wie er gespielt hat, hat er auch geredet.“ Glad­bachs Trainer Jupp Heyn­ckes sorgt dafür, dass der unge­schlif­fene Franke, Sohn des Haus­warts in der Her­zo­gen­au­ra­cher Puma-Fabrik, mit Manieren aus­ge­stattet wird. Als nach einem Sieg die Mann­schaft von Fans umla­gert wird, ruft Mat­thäus einem Auto­gramm­jäger zu: Was willste denn mit der Unter­schrift von dem? Das ist doch bloß unser Bus­fahrer.“ Mit hoch­rotem Kopf gibt Heyn­ckes seinem ver­snobten Jung­star für diesen Lapsus ein Spiel Denk­pause.

Die Fragen aller Fragen: Wer hat die Macht?

Nur ein Jahr später fährt Mat­thäus – gerade 19 – zur EM nach Ita­lien und lernt mit großen Augen von den Rou­ti­niers, von Hansi Müller, Kaltz, Hru­besch, was man tun muss, um ganz nach oben zu kommen. Er begreift, dass sich in einer Pro­fi­mann­schaft alle Fragen rasch zu einer ein­zigen ver­dichten: Wer hat die Macht? Des­halb behaken sich Spieler im Trai­ning und treten sich gegen­seitig um, darum bilden sie Cli­quen und suchen die Gunst des Trai­ners. Denn nur Füh­rungs­spieler haben alle Frei­heiten, auf dem Platz und auch außer­halb.

In jeder Mann­schaft, in der er von nun an spielt, strebt Lothar Mat­thäus ener­gisch an die Spitze der Hier­ar­chie. Als er 1984 mit 23 Jahren nach langem Tau­ziehen zum FC Bayern wech­selt, ist er bei der Borussia bereits der unum­strit­tene Füh­rungs­spieler. Doch im letzten offi­zi­ellen Match für die Elf vom Nie­der­rhein, erlebt die Bun­des­liga eine andere Seite des Macht­fuß­bal­lers. Die Zuschauer sehen einen zag­haften, einen sen­si­blen, ja zwei­felnden Mat­thäus. Das Pokal­fi­nale gegen den FC Bayern geht ins Elf­me­ter­schießen. Heyn­ckes bestimmt seinen Leit­wolf als ersten Schützen, der aber ist sich unsi­cher und lehnt ab. Der auto­ri­täre Trainer ruft seinen Eleven zur Ver­ant­wor­tung, der opfer­be­reite Mat­thäus gehorcht – und schießt den Ball in die Wolken.

Mit seiner sol­da­ti­schen Aus­le­gung von Befehl und Gehorsam wird er sich noch öfter in seiner Kar­riere im Weg stehen. Am Ende ram­po­niert er damit sogar fast seinen lücken­losen Erfolgsweg als Spieler: Als Erich Rib­beck den treuen Lothar als 39-Jäh­rigen mit zur EM 2000 nimmt, wird er zum Symbol des Schei­terns auf unterstem Niveau. Weder 2000 noch 1984 ist Mat­thäus der wahre Ver­ur­sa­cher der Kata­strophe, doch als Sün­den­bock eignet sich keiner besser als der pola­ri­sie­rende Leit­wolf. Nach dem Fehl­schuss 1984 hält Uli Sude den Straf­stoß von Klaus Augen­thaler und merzt damit Mat­thäus’ Fehler aus. Fast unter­würfig bedankt dieser sich beim Keeper, aber letzt­lich ver­liert Glad­bach das End­spiel wegen des ver­schos­senen Elfers von Nor­bert Rin­gels. Doch die Glad­bach-Fans ver­ab­schieden Mat­thäus mit Judas“-Schlachtrufen. Die schwär­zeste Stunde meiner Kar­riere“, beschreibt er die Umstände des
Pokal­end­spiels 1984 noch heute.

Bei den Bayern füllt er in gewohnter Ent­schlos­sen­heit das Vakuum, das Karl-Heinz Rum­me­nigge und Paul Breitner hin­ter­lassen haben. Sein Ehr­geiz ist kaum zu bremsen, immer voller Ein­satz im Trai­ning und im Spiel. Uli Sude resü­miert: So kraft­voll wie Lothar gespielt hat, hätte er eigent­lich mit 30 Inva­lide sein müssen.“ Selbst im Trai­nings­spiel kann er so schlecht ver­lieren, dass er nach unglück­li­chen Nie­der­lagen mit Tränen in den Augen in die Kabine stürmt. Wenn er beim Spiel Fünf gegen zwei“ in die Mitte muss, dauert es selten länger als zwei, drei Direkt­pässe, und Mat­thäus hat den Ball zurück. Dauert es länger, kommt es mit­unter zu Hand­ge­mengen, weil er auch im Trai­ning ein­steigt wie im WM-Finale.

Sein Eifer lässt auch nicht nach, wenn die Truppe nach Fei­er­abend nach Schwa­bing auf­bricht. Seine Physis lässt den virilen Mit­tel­feld­motor nie im Stich. Mat­thäus steht auch nach durch­fei­erten Nächten pünkt­lich und topfit auf dem Trai­nings­platz. Sein Ener­gie­po­ten­tial scheint uner­schöpf­lich.

Mat­thäus weiß immer Rat

Außerdem zeichnet ihn ein feines Gespür dafür aus, wenn andere Spieler Pro­bleme haben. Neu­linge grätscht er nicht wie Waden­beißer Vogts plump weg, son­dern lädt sie nach dem Trai­ning auf ein Weiß­bier ein. Wenn einer Pro­bleme mit der Innen­ein­rich­tung hat oder Desi­gner­schuhe aus Ita­lien braucht, hängt sich der Spiel­ma­cher ans Telefon und orga­ni­siert etwas Pas­sendes. Mat­thäus weiß immer Rat, er kennt die Befind­lich­keiten in der Mann­schaft, er weiß wer welche Pro­bleme hat und spricht kräftig bei der Team­po­litik mit. Udo Lattek, sein erster Coach beim FC Bayern: Lothar ist ein unglaub­lich lie­bens­wür­diger, ehr­li­cher Mensch. Wenn jemand im Team nicht zurecht kam, war er sofort da.“ Für Lattek wird Mat­thäus zum ersten Ansprech­partner in der Mann­schaft.

Es sind diese Jahre, in denen sich das Fuß­ball­ver­ständnis des Lothar Mat­thäus her­aus­bildet. Aus dem schüch­ternen Jungen, der in ersten Inter­views kaum weiß, wohin mit all der Ver­le­gen­heit, wird ein selbst­be­wusster Füh­rungs­spieler. Als ihn 1988 Inter Mai­land ver­pflichtet, kün­digt Klub-Prä­si­dent Ernesto Pel­le­g­rini an, was er sich von dem Transfer erhofft: Nächstes Jahr zwei Punkte hinter dem AC, über­nächstes gleichauf, in drei Jahren muss Inter Meister sein.“ Sein neuer Leit­wolf aber ver­kürzt dem unge­dul­digen Präses die War­te­zeit. Inter wird schon 1989 Meister. Die Mode­stadt liegt Mat­thäus zu Füßen.

Wie sein Vor­bild Franz Becken­bauer wäh­rend seines Aus­lands­gast­spiels bei New York Cosmos, lernt der Franke nun in Ita­lien das süße Leben kennen. Aus Loddar, dem Raum­aus­statter wird Lothar, der Mann von Welt. Seine Jugend­liebe Sylvia wird bald durch die mon­däne Schweizer Mode­ra­torin Lolita Moreno ersetzt.

Viel­leicht mehr noch als die Kar­riere im Verein zeigen die WM Tur­niere den Wandel von Mat­thäus. 1982 in Spa­nien ist er nur ein Mit­läufer, er steht außen vor, zwei Kurz­ein­sätze, mehr ist nicht drin. Von den nächt­li­chen Exzessen, von den Sau­fe­reien und Pokerabenden im Trai­nings­lager am Schluchsee, bekommt Mat­thäus nichts mit. Ich habe mich am nächsten Morgen bloß gewun­dert, dass nur so wenige Spieler zum Wald­lauf erschienen. Wir standen da mit den Förster-Brü­dern und Hans-Peter Briegel.“

Vier Jahre später in Mexiko ist Mat­thäus in der Hier­ar­chie bereits auf­ge­stiegen, aber noch regieren die alternden Platz­hir­sche Harald Schu­ma­cher und Karl-Heinz Rum­me­nigge. Im Ach­tel­fi­nale gegen Marokko wird dann die Wach­ab­lö­sung live über­tragen. Die deut­sche Elf quält sich über die Zeit, als ihr in der 88. Minute ein Frei­stoß zuge­spro­chen wird. Rum­me­nigge, etat­mä­ßiger Frei­stoß­schütze, kommt nicht mehr dazu, sich den Ball zurecht zu legen, Mat­thäus hat ihn bereits zum ent­schei­denden 1:0 ins Netz gehäm­mert. Ein Akt der Imper­ti­nenz, für den sich Mat­thäus erst nach sechs Jahren im Natio­nal­team und 45 Län­der­spielen stark genug fühlt.

Sein drittes Tur­nier, die WM 1990, zeigt Mat­thäus auf dem Höhe­punkt seiner Kar­riere. Nie war er besser, ath­le­ti­scher, kraft­voller als in Ita­lien. In den Teil­staaten von Ex-Jugo­sla­wien ver­ehren sie ihn bis heute wie einen Hei­ligen, weil er beim 4:1 in der Vor­runde Jugo­sla­wien fast im Allein­gang über­rennt. Mit zwei Toren zeigt er viel­leicht das beste Spiel seiner Kar­riere.

Das eigent­lich Beson­dere: Das Tor zum 3:1 schießt er mit links. Ein Quan­ten­sprung in der Geschichte des Sport­lers Mat­thäus. Denn bis zu seinem Wechsel nach Mai­land gilt er als reiner Rechtsfuß. Dann bringt ihm sein neuer Trainer Tra­pat­toni bei, dass es auch anders geht. Die Übung, die ihm der Trainer ver­ordnet: Mat­thäus läuft in rund 20 Metern Tor­ent­fer­nung par­allel zur Straf­raum­linie und drib­belt einige Hüt­chen aus. Dann schießt er mit links mög­lichst direkt neben einen der beiden Pfosten. Und genauso macht er es im Spiel gegen Jugo­sla­wien. Sein schier limit­loser Ehr­geiz zahlt sich mal wieder aus.

Da wusste ich, Lothar kann bei diesem Tur­nier alles errei­chen“

Als er den Treffer erzielt, sitzt sein Berater Nor­bert Pflippen auf der Tri­büne und ver­drückt eine Träne: Da wusste ich, Lothar kann bei diesem Tur­nier alles errei­chen.“ In den Tagen zwi­schen den Spielen spielt Mat­thäus den Tou­ris­ten­führer für seine Team­kol­legen, braust mit ihnen im Motor­boot über den Comer See und ver­leiht sein neues Peu­geot Cabrio für Spritz­touren. Als er am 8. Juli 1990 den WM-Pokal in den Nacht­himmel von Rom reckt, ist Mat­thäus am Gipfel seiner Schaf­fens­kraft ange­kommen. Dann beginnt der Abstieg.

Davon bekommt er aller­dings zunächst noch nichts mit. Er schwimmt auf einer Woge des Erfolges. Mit Inter Mai­land wird er UEFA-Pokal-Sieger, zweimal wählt man ihn zum Welt­fuß­baller. Und dann foto­gra­fiert ihn auch noch die ame­ri­ka­ni­sche Star­fo­to­grafin Annie Lei­bo­vitz für eine welt­weite Kam­pagne von Ame­rican Express“. Bei­nahe kommt der Deal gar nicht zustande, weil Mat­thäus, der zu diesem Zeit­punkt Mil­lio­nen­gagen für Wer­be­auf­träge kas­siert, nicht ver­steht, dass der Deal vor allem einen Image-Schub für ihn bedeutet. Die 100 000 Dollar Auf­wands­ent­schä­di­gung, die Ame­rican Express“ den Tes­ti­mo­nials aus der Unter­hal­tungs­branche zahlt, sind ihm schlicht zu wenig. Berater Pflippen setzt sich durch, weil er ahnt, dass Mat­thäus diese Kam­pagne zur welt­weiten Ikone machen wird. Als Lei­bo­vitz über den Berater aus­richten lässt, sie wolle ihn zu einer Vor­ab­be­spre­chung treffen, bellt der begehrte Star: Wenn sie was von mir will, soll sie mich gefäl­ligst anrufen.“

Lei­bo­vitz foto­gra­fiert den schlaf­trun­kenen Kicker schließ­lich um halb sechs Uhr mor­gens auf einem Landgut in Erding im weißen Unter­hemd auf Trep­pen­stufen, ein ita­lie­ni­scher Macho nach getaner Arbeit, in sich ruhend. Ein Fuß­baller als Pin-up.

Der welt­weite Ruhm hin­ter­lässt Spuren. Sein Selbst­be­wusst­sein über­lappt für viele Außen­ste­hende nun mit­unter auch ins Arro­gante. Der öffent­liche Mat­thäus bedient die Medien, wie er es aus Ita­lien gewohnt ist, posiert für Homes­to­ries und bunte Geschichten mit seiner Lolita. In die Ski-Urlaube in den Schweizer Schi­ckeria-Orten reist er per Heli­ko­pter. Geburtstag feiert er in Crans Mon­tana, seine Freunde lässt er per Pri­vatjet ein­fliegen. Der Rummel gefällt ihm. Lolita hei­ratet er bei einer pom­pösen Zere­monie, die das Paar als Hotel­er­öff­nung kaschiert. Mat­thäus spricht in Inter­views von sich nur noch in der dritten Person: Ein Lod­darm­ad­däus macht dies und macht jenes …“

Der Pri­vat­mann Mat­thäus ist ganz anders. Trotz des Rund-um-die-Uhr-Pro­gramms als Fuß­ball-Super­star hat er immer ein offenes Ohr für alte Freunde: Als Uli Sude als Trainer des VfL Osna­brück in Ita­lien im Trai­nings­lager ist, fragt er den alten Kumpel nach Karten für ein Inter-Spiel. Mat­thäus macht VIP-Tickets für den ganzen Kader klar und lässt das Team mit dem Bus abholen.

Der größte Fehler seiner Kar­riere“

Als Mat­thäus im April 1992 beim Spiel gegen den AC Parma so schwer ver­letzt wird, dass viele fürchten, er müsse seine Kar­riere beenden, zeigt sich, wie brü­chig in Wahr­heit das Selbst­be­wusst­sein des Franken ist. In pani­scher Angst vor Spritzen bittet er Nor­bert Pflippen, ihm wäh­rend der Unter­su­chung bei einem Spe­zia­listen in Colo­rado, die Hand zu halten.

Seine Kreuz­band­ver­let­zung aber ist so lang­wierig, dass Mat­thäus glaubt, nicht mehr stark genug für die erste Gar­nitur bei Inter zu sein. Als Uli Hoeneß dem ange­schla­genen 31-Jäh­rigen ein neues Angebot unter­breitet, greift er sofort zu. Pflippen sagt bis heute: Der größte Fehler seiner Kar­riere. Lothar hätte bei Inter immer gespielt.“

Mat­thäus kehrt nach Mün­chen zurück, als Welt­meister, als Welt­star – und gerät unver­mit­telt in einen Epo­chen­bruch. Die Bun­des­liga ent­deckt gerade den Fuß­baller als Show­star. Statt der behä­bigen Sport­schau“ mode­riert seit neu­estem Rein­hold Beck­mann in roter Jeans­jacke den bunten Sat.1‑Abend ran“, erst­mals zeigen Kameras auch die Spie­ler­frauen auf der Tri­büne, es ist die Zeit der hoch­tra­benden kom­mer­zi­ellen Pläne, der über­hitzten Erwar­tungen. Lothar Mat­thäus ist mit­ten­drin. Und er spielt das Spiel mit und wird zum ersten glä­sernen Fuß­ball­star der Bun­des­liga-Geschichte.

Wel­ches der öffent­liche Mat­thäus ist und wel­ches der pri­vate, weiß er zeit­weise selbst nicht mehr. Rück­bli­ckend sagt Mat­thäus: Was über mich in den Zei­tungen steht ist nicht ent­schei­dend.“ Er muss wissen, dass ein sol­cher Satz aus seinem Mund unfrei­willig komisch klingt. Nein“, sagt Mat­thäus noch einmal, er findet immer noch: Wenn die ›Süd­deut­sche Zei­tung‹ damals vier Mal in der Woche ange­rufen hätte, hätte ich mich auch vier Mal mit der ›Süd­deut­schen‹ unter­halten.“

Statt­dessen klin­gelt Anfang der 90er immer häu­figer der Bild“-Mann Wolf­gang Ruiner durch. 1990 wech­selt der ehr­gei­zige Bou­le­vard-Reporter Ruiner vom Wiener Kurier“ nach Deutsch­land zu Bild“. Nun belie­fert er von Mün­chen aus das Sport-Res­sort mit Geschichten über den FC Bayern und vor allem über Lothar Mat­thäus. Man ist sich sym­pa­thisch, es ent­wi­ckelt sich eine freund­schaft­liche Bezie­hung, abends geht man gemeinsam essen, im Blatt finden sich Geschichten über Lothar und Lolita. Und damit nicht genug, nebenher wird Politik gemacht. Ruiner erin­nert sich später im NDR-Fern­sehen: Wir haben irr­sinnig viel Show gemacht, wie zum Bei­spiel: Er hat ange­rufen und gesagt: ›Du, pass auf, wir müssen morgen dem Mehmet Scholl einen Dreier geben. Der hat gut gespielt.‹ Und der hat am nächsten Tag wirk­lich einen Dreier gehabt, und die haben das in der Kabine mit­be­kommen. Wir haben es über­trieben.“

Lothar hat’s ver­raten

In dieser Periode seiner Kar­riere ent­steht der Mythos, Mat­thäus sei chro­nisch indis­kret. Wenn irgendwo Interna aus dem Team an die Öffent­lich­keit kommen, gilt Mat­thäus als der­je­nige, der sie ver­breitet hat. Da haben ihn seine Mann­schafts­ka­me­raden miss­braucht. Hinter vor­ge­hal­tener Hand haben mir ganz andere die geheimsten Dinge erzählt, aber wenn ich dann etwas davon geschrieben habe, hieß es immer: Lothar hat’s ver­raten“, erklärt Wolf­gang Ruiner heute. Der Jour­na­list will aber nicht ver­hehlen, dass für ihn in den 90ern das über­stei­gerte Sen­dungs­be­wusst­sein des Lothar Mat­thäus auch ein gut gehendes Geschäft bedeutet. Kurz: Lothar kann man zu allem befragen.

Als Ruiner einmal ein Auf­ma­cher fehlt, ist gerade Tages­ge­spräch, ob es Männer erlaubt sein sollte, nach­träg­lich den Namen der Ehe­frau annehmen zu dürfen. Ein Anruf beim Bayern-Star bringt die Lösung. Tags drauf titelt Bild“: Lothar: Ich würde Lolitas Namen annehmen.“ Die Quit­tung folgt am Wochen­ende, als beim Punk­spiel der Bayern in Glad­bach der ganze Bökel­berg höhnt: Looooothar Moreno“.

Fuß­baller wie ihn gibt es nicht mehr. An Lothar ist ein Bou­le­vard-Reporter ver­loren gegangen. Keiner erkannte so gut, was eine Geschichte ist und was nicht“, so Wolf­gang Ruiner heute. Schon an der Kör­per­hal­tung, die Uli Hoeneß in einem Gespräch ein­nahm, erkannte der Kicker, ob Ärger ins Haus steht. Solche Beob­ach­tungen teilte er – bis zu einem bestimmten Grad – abends beim Weiß­bier auch seinem Reporter-Kumpel mit.

Was in den ersten Jahren noch spie­le­ri­schen Cha­rakter hat, gerät in der Saison 1995/96 zur bit­ter­bösen Posse. Es ist die Spiel­zeit, in der Otto Reh­hagel kläg­lich in Mün­chen schei­tert, in der sich die Mann­schaft heillos zer­streitet, in der Mat­thäus in einem Test­spiel bei Arminia Bie­le­feld die Achil­les­sehne reißt. Er fällt Monate lang aus und muss hilflos mit ansehen, wie er in der Hier­ar­chie nach unten rutscht – bei den Bayern und in der Natio­nalelf. Zwar wird er zur EM 1996 in Eng­land wieder fit, Bun­des­trainer Vogts nomi­niert ihn aber nicht, auf Betreiben von Jürgen Klins­mann und Thomas Helmer, wie Mat­thäus noch immer ver­mutet: Ich habe Zeugen dafür, dass sie mich 1995 in einer geheimen Unter­re­dung in Süd­afrika aus dem Kader der Natio­nalelf gedrängt haben“, sagt er.

Mat­thäus schlägt zurück, er lie­fert sich mit Vogts via Bild“ ein Schlag­zei­len­duell, an dessen Ende der Natio­nal­trainer leicht­fertig ver­kündet, Mat­thäus werde nie mehr mit dem Adler auf der Brust auf­laufen. Zu allem Über­fluss erscheint im Sommer 1996 Mein Tage­buch“, eine nur mühsam ver­hüllte Abrech­nung mit Jürgen Klins­mann in Buch­form. Eine Woche lang haben sich Wolf­gang Ruiner und sein Bild“-Kollege Ulrich Kühne-Hell­messen mit Mat­thäus hin­ge­setzt und ihn die Schlag­zeilen des letzten Jahres kom­men­tieren lassen.

Mat­thäus ver­steht den Rummel, den das Buch aus­löst, bis heute nicht: Als es ange­kün­digt wurde, kam Uli Hoeneß zu mir und war stink­sauer. Ich habe immer nur gesagt: Uli, lies das Buch doch erstmal. Das ist total harmlos.“ Auch Ruiner beschwich­tigt: Ein großes Miss­ver­ständnis. Da stand nichts drin, was nicht vorher schon einmal irgendwo gestanden hatte.“ Die Wir­kung in der Öffent­lich­keit jedoch ist ver­hee­rend. Müßig zu spe­ku­lieren, welche Rolle Mat­thäus im deut­schen Fuß­ball heute spielen würde, wenn es diesen Monate langen öffent­li­chen Streit mit Vogts und Klins­mann nie gegeben hätte.

Am Ende des Dis­puts steht er da als ewiger Ego­zen­triker, der Macht­kämpfe auf dem Rücken der Mann­schaft aus­trägt. Aus dem Welt­fuß­baller wird Lod­darm­ad­däus“, der Dampf­plau­derer ohne Takt­ge­fühl. Hier der Schweiger Klins­mann, dort das Plap­per­maul Mat­thäus. Die öffent­liche Wahr­neh­mung ist bis heute so geblieben.

Schon in Mai­land war klar, dass wir keine Freunde werden. Aber ich hatte nie ein Pro­blem mit ihm. Erst 1995 ist das Ver­hältnis zwi­schen uns zer­bro­chen. Und das wird immer so bleiben, auch was das Ver­hältnis zum Trainer Berti Vogts anbe­trifft.“

Er ist bera­tungs­re­sis­tent und kann nicht diplo­ma­tisch sein“

Dabei verrät der Kon­flikt mit Vogts und Klins­mann nicht einmal beson­deren Ego­ismus. Er zeigt viel­mehr, dass Mat­thäus die ganze Kar­riere hin­durch Kon­flikte stets als Macht­kämpfe begriffen hat. Und so bewertet er auch die ent­schei­denden Per­sonen seiner Kar­riere immer nur in einer Kate­gorie: Wie gehen sie mit der Macht um? Das gilt für Franz Becken­bauer, für Uli Hoeneß, für Berti Vogts und für Jürgen Klins­mann. Sie alle besitzen Fähig­keiten, die Mat­thäus abgehen: Der Kaiser“, diese natür­liche Auto­rität und Leich­tig­keit, mit der er Macht­kämpfe für sich ent­scheidet. Die Kom­pro­miss­lo­sig­keit von Hoeneß in Kon­flikten. An Vogts wie­derum irri­tieren ihn dessen Skrupel. Mat­thäus hat nicht ver­gessen, wie Vogts bei der WM 1994 die Zügel aus der Hand glitten, weil er den Spie­lern Frei­heiten ließ, die diese aus­nutzten, indem die Herren Effen­berg, Ill­gner und Häßler nur noch mit ihren Frauen auf den Fluren her­um­turnten und Andreas Brehme und Thomas Bert­hold schon mor­gens um acht auf den Golf­platz mar­schierten.

Allein, so genau er Schwä­chen und Stärken der anderen ein­zu­schätzen weiß, so wenig gelingt es ihm, sich selbst zu kor­ri­gieren. Auch in Buda­pest sagt er: Ich bin viel­leicht zu gut­mütig.“ Wolf­gang Ruiner, dessen Freund­schaft zu Mat­thäus auf­grund einer internen Mei­nungs­ver­schie­den­heit seit einigen Jahren ruht, bringt es auf den Punkt: Er ist bera­tungs­re­sis­tent und kann ein­fach nicht diplo­ma­tisch sein. Auch bei seinem Enga­ge­ment in Salz­burg hat er sich mit seinen öffent­li­chen Äuße­rungen zu Tra­pat­toni wieder selbst aus dem Sattel gehoben. Und immer noch sucht er die Schuld bei anderen.“

Was bleibt Mat­thäus also?

Er müsste sich ändern. Er müsste weniger Inter­views geben. Er dürfte sich nicht bei jedem freien Trai­ner­stuhl ins Gespräch bringen. Er dürfte keine Kolumne mehr in der Sport­bild“ schreiben. Vor allem aber: Er müsste sich von Franz Becken­bauer eman­zi­pieren. Mat­thäus ist 46 Jahre alt, er hat alles erreicht als Sportler. Und doch pflegt er mit dem Kaiser“ eine kom­plexe Vater-Sohn-Bezie­hung, mit allen Schwie­rig­keiten, die so eine fami­liäre Bin­dung mit sich bringt. Immer noch sucht er den Zieh­vater in Kri­sen­si­tua­tionen in Kitz­bühl auf, um ihn zur Pro­blem­lö­sung zu befragen. Sein inniges Ver­hältnis zur Springer-Presse ist ein Ergebnis der engen Freund­schaft zu Becken­bauer, der seit Jahr­zehnten Bild“-Kolumnist ist. Aber Mat­thäus ist kein Kaiser“. Die Ele­ganz, mit der Becken­bauer Unver­schämt­heiten abson­dert und sie tags drauf lächelnd wider­ruft, geht Mat­thäus in Gänze ab. Wenn er spricht, klingt es wie in Stein gemei­ßelt und die naive Ernst­haf­tig­keit, mit der er seine Mei­nung vor­trägt, lassen den Kum­peltyp und Sports­mann Mat­thäus, der ob seiner Ver­dienste für den Fuß­ball eigent­lich nur geliebt werden will, wie einen meckernden Stamm­tisch­bruder erscheinen. Nor­bert Pflippen sagt: Kein Wer­be­ver­trag, den ich für ihn je abge­schlossen habe, passte besser zu Lothar als der für Laut­spre­cher.“

Eigent­lich hätte Becken­bauer ihn gerne beim FC Bayern unter­ge­bracht. Manager Hoeneß und Vor­stands­chef Rum­me­nigge sollen aber erbit­terte Gegner dieser Per­so­nalie sein. Das Ver­hältnis gilt trotz gegen­tei­liger Bekun­dungen als gestört, seit Mat­thäus angeb­lich aus­ste­hende Zah­lungen aus seinem Abschieds­spiel gericht­lich ein­klagen wollte. Eine Aktion, die der Pri­va­tier inzwi­schen zwie­spältig sieht: Aus heu­tiger Sicht war der Gang vor Gericht sicher falsch, aber damals erschien es mir die ein­zige Mög­lich­keit, wieder meine innere Ruhe zu finden!“ Hoeneß bellt anschlie­ßend, Mat­thäus werde nicht einmal mehr Green­keeper beim FC Bayern“. Mat­thäus hält diesen Streit für aus­ge­räumt. Dass gerade seine enge Ver­bin­dung zu Becken­bauer seine Aus­sichten beim FC Bayern gemin­dert haben, wird er zumin­dest ahnen.

Etwas mehr Distanz zwi­schen sich und den Kaiser“ zu bringen, würde aber auch bedeuten, den För­derer Becken­bauer zu ver­lieren. Zweimal schon hat der Mat­thäus’ Kar­riere ange­schoben. Bei Red Bull Salz­burg und vorher bei Rapid Wien. Das Enga­ge­ment beim öster­rei­chi­schen Rekord­meister 2001 ist Mat­thäus’ Trai­ner­debüt und gleich­zeitig der größte anzu­neh­mende Unfall. Mag Mat­thäus auch in Bel­grad, Ungarn, Salz­burg erfolg­reich gear­beitet haben, in Erin­ne­rung bleibt Rapid. Den Kon­takt hat Albrecht Schmidt, Chef der Münchner Hypo­Ver­eins­bank und Kaiser“-Spezi, her­ge­stellt, der Deal läuft über den Rapid-Sponsor Bank Aus­tria“, beide Insti­tute haben vorher fusio­niert. Mat­thäus wird Trainer in Wien, das Gehalt zahlt die Bank.

Ein unfer­tiger Mensch“


Doch alles geht schief. Die Spieler dürfen mich duzen, wenn wir die Cham­pions League gewinnen“, tönt Mat­thäus auf der ersten Pres­se­kon­fe­renz, doch die mar­kigen Sprüche geraten schnell zur Kari­katur. Es beginnt eine sport­liche Tal­fahrt, die ange­strebte Ver­jün­gung kommt nur schlep­pend voran, die Fans frem­deln bei dem selbst­be­wussten Piefke“, zu allem Über­fluss ver­kracht sich Mat­thäus auch noch mit der Kro­nen­zei­tung“, dem öster­rei­chi­schen Pen­dant zur Bild“. Dessen Rapid-Bericht­erstatter hat keine Lust, jeden Tag hinaus aufs Trai­nings­ge­lände zu fahren, er will lieber nach­mit­tags anrufen, wie er es bei Vor­gänger-Trai­nern auch gemacht hat. Das lehnt Mat­thäus ab und for­dert den Reporter statt­dessen auf, raus nach Hüt­tel­dorf zu kommen. Das Zer­würfnis ist per­fekt.

Fortan schießt die Krone“ gegen ihn, der sport­liche Miss­erfolg tut sein übriges, nach nur 245 Tagen ist Schluss in Wien. Dem Raus­schmiss voraus geht eine häss­liche Schlamm­schlacht, Mat­thäus nennt Rapid öffent­lich eine Schlan­gen­grube“, Prä­si­dent Rudolf Edlinger keilt zurück, Mat­thäus sei ein unfer­tiger Mensch“.

Als Nach­folger wird Josef Hickers­berger ver­pflichtet, der es kommen gesehen hat: Rapid ist viel­leicht nicht der Verein, bei dem man seine Trainer-Kar­riere beginnen sollte.“ Tor­hüter Ladislav Meier drückt es dras­ti­scher aus: Jeder im Verein, bei der Putz­frau ange­fangen, habe auf­ge­atmet, als Mat­thäus gegangen sei. Lothar Mat­thäus in Buda­pest winkt ab: Der ist sauer, weil er nicht gespielt hat. Ich habe in Wien pro­fes­sio­nell gear­beitet, viel­leicht war der Klub noch nicht bereit.“

All das ist in Erin­ne­rung geblieben. Die Unruhe, die Indis­kre­tionen, die Schlamm­schlacht hin­terher. Und es scheint, als fürchte jeder Bun­des­li­ga­klub, der einen Trai­ner­stuhl neu zu besetzen hat, es könne ihm genauso gehen, wenn er Mat­thäus als Coach ver­pflichtet.

Dabei hat sich der Kan­didat im War­te­stand geän­dert. Er for­mu­liert bedäch­tiger als früher, meidet allzu pro­vo­kante Töne, sogar seine Sport­bild“- Kolumne, früher die Flug­ab­wehr­ka­none des Blattes, kommt in den letzten Monaten erstaun­lich hand­zahm daher. Das wird ihm kurz­fristig jedoch nichts nutzen, zu bestim­mend ist immer noch das Image des ewigen Dampf­plau­de­rers. Auch wenn ihm das viel­leicht nicht mehr gerecht wird.

Unlängst hat Udo Lattek am Sonn­tag­morgen in der DSF-Talk­show Dop­pel­pass“ ein flam­mendes Plä­doyer für Mat­thäus gehalten. Es muss sich doch jetzt end­lich ein deut­scher Ver­eins­prä­si­dent finden, der den Mut hat, Lothar Mat­thäus als Trainer zu ver­pflichten.“ Mat­thäus, der mit ihm in der Runde saß, hat dazu bescheiden, fast dankbar gelä­chelt. Was soll er sonst machen?

Drei Tage später in Buda­pest sagt er nochmal: Ich traue mir zu, einen Bun­des­liga- Verein zu trai­nieren. Es wäre schön, dahin zurück­zu­kehren, wo 17 Jahre meine fuß­bal­le­ri­sche Heimat war. Aber ich dränge mich nicht auf.“ Dann klin­gelt wieder sein Handy. Mat­thäus ver­ab­schiedet sich freund­lich und geht. Es gibt viel zu tun.