Lothar Matthäus sitzt im Hotel Kempinski in Budapest, und im Minutentakt klingelt das Telefon. Oliver Kreuzer, der Manager von Red Bull Salzburg ist dran. Lothar vertröstet ihn auf den Nachmittag, weil er dann frei sprechen kann. „Sportbild“-Chefredakteur Pit Gottschalk ruft durch, kurz darauf auch der ehemalige Manager des „Stanglwirt“, Reinhard Stocker. Er will sich mit Matthäus mal in aller Ruhe treffen, mit Gottschalk trifft sich der Ex-Profi ohnehin am Montag auf der „Sportbild“-Party. Kommenden Samstag ist Matthäus als Experte für den Fernsehsender Premiere unterwegs, am letzten Sonntag saß er im DSF-„Doppelpass“.
Lothar Matthäus hat viel zu tun. Lothar Matthäus hat derzeit keinen Job.
Auch nach der Karriere hat der Rekordnationalspieler keinen Gang zurückgeschaltet. Sein Terminplan quillt über: Ein kleiner Deal auf dem Balkan, eine Spielbeobachtung in Israel, ein bisschen Socializen in der VIP-Etage eines Bundesligisten, ein informelles Telefonat mit einem Vertrauten beim FC Bayern. Matthäus ist immer auf Empfang. Er sagt: „Ich weiß genau, was bei Bayern läuft, wie’s dem Podolski geht, dem Schweini.“ Lothar Matthäus ist auch nach der Spielerkarriere das geblieben, was er auf dem Platz schon war: Ein unermüdlicher Hans Dampf in allen Gassen.
Im Juli ist der 46-Jährige mal wieder entlassen worden. Diesmal als Co-Trainer bei Red Bull Salzburg, dem Klub des Brausemillionärs Dietrich Mateschitz. „Unterschiedliche Auffassungen“ wurden als Grund für den Rausschmiss genannt, was noch eine höfliche Formulierung für die Differenzen zwischen Matthäus und Chef-Trainer Giovanni Trapattoni war, dessen Taktik er mehr als einmal öffentlich angeprangert hat. Am Ende hatten sie sich nicht mehr viel zu sagen, zu häufig hatte Matthäus – wie es nun einmal seine Art ist – mehr „Freigeist und Spektakel“ im Salzburger Spiel gefordert. Außerdem deutete er immer öfter an, über kurz oder lang doch lieber als Cheftrainer arbeiten zu wollen: „Es gibt Rollen, die mir besser liegen.“ Am Ende stand Matthäus fast häufiger in der Zeitung als Trapattoni, das konnte so nicht weitergehen. Machtmensch Mateschitz, ein Verehrer des italienischen Feingeistes, ließ schließlich den Weltmeister aus Herzogenaurach wie einen ungezogenen Schulbub in seinem Büro antanzen – und übergab Matthäus seine Papiere.
Der Job in Salzburg war bereits das sechste Engagement in fünf Jahren. Fünf vergebliche Jahre bei dem Versuch, nach einer erfolgreichen Profikarriere auch zu einem Trainer von Weltformat zu werden. Lange hat er es bislang nirgendwo ausgehalten. Zwei Jahre als Nationaltrainer blieb er in Ungarn, ansonsten demissionierte er stets nach spätestens einem Jahr, bei Rapid Wien und bei Partizan Belgrad, beim brasilianischen Klub Atlético Paranaense war schon nach einem Monat Schluss.
Dann kam der Job bei Red Bull Salzburg. Dort sollte Matthäus eigentlich Cheftrainer werden, Franz Beckenbauer hatte den Deal eingefädelt. Doch wenige Tage nach Unterzeichnung des Vertrages wurde plötzlich Trapattoni verpflichtet und Matthäus vor die Nase gesetzt. Beckenbauer rief etwas schlechtgewissig bei seinem Zögling an: „Das war so nicht geplant.“ Matthäus wurde beschwichtigt, Trapattoni werde nur eine Art Supervisor spielen. Stattdessen aber durfte der Deutsche nur hin und wieder eine Trainingseinheit leiten.
Ein Jahr nach Amtsantritt wirkt Matthäus beinahe ein wenig erleichtert, dass es vorbei ist. Sicher, niemand wird gerne entlassen. Aber nun kann er wieder als Cheftrainer arbeiten. Ein paar lose Anfragen hat es in den Wochen nach der Entlassung gegeben, ein Hauptgewinn war nicht dabei. „Ich traue mir zu, in der Bundesliga zu arbeiten“, sagt Matthäus. „Ich hätte sicher auch kein Problem damit, unter einem großen Trainer wie Ottmar Hitzfeld noch einmal als Co-Trainer zu arbeiten. Ich sehe mich aber prinzipiell als Cheftrainer.“
Er will in die Bundesliga, aber sie will ihn nicht
Er muss vorsichtig sein. Neulich hat er der Münchner „Abendzeitung“ in aller Unschuld gesagt: „Ottmar und ich, das wäre ideal.“ Da haben sie in München wieder den Kopf geschüttelt. Dabei hat er das so konkret gar nicht gemeint. Die Botschaft sollte nur lauten: Matthäus will zurück in die Bundesliga. Das große Problem: Er will in die Bundesliga, aber sie will ihn nicht.
Seit Matthäus nach der Europameisterschaft 2000 seine Fußballerkarriere beendet hat, wurden in der Bundesliga über 60 Trainerstühle neu besetzt. Einige Male war Matthäus in der engeren Auswahl, etwa als der 1. FC Nürnberg 2005 einen Nachfolger für Wolfgang Wolf suchte oder als bei Eintracht Frankfurt 2001 erst Felix Magath und dann Rolf Dohmen ihren Hut nehmen mussten. Man muss dazu sagen, dass sie ihm in Hessen immer noch nicht verziehen haben, dass er im März 1980 die Eintracht-Legende Jürgen Grabowski in die Invalidität grätschte. Aber auch das ist nur ein Grund von vielen, warum Lothar Matthäus in vielen Bundesliga-Städten anscheinend nicht willkommen ist. Jedenfalls zerschlugen sich am Ende alle Verhandlungen, hier wie dort gingen die Fans auf die Barrikaden oder meldeten Vereinsgremien schwere Bedenken an.
Auf den ersten Blick ein schwer zu begreifendes Phänomen. Kein Spieler war erfolgreicher als Lothar Matthäus. Er ist Weltmeister und Europameister, ist 150 Mal für Deutschland aufgelaufen, war sechsmal Deutscher Meister, zweimal DFB-Pokalsieger, er gewann mit Bayern München und Inter Mailand den UEFA-Cup, war Weltfußballer des Jahres und ist Ehrenspielführer der Nationalelf. Mehr geht nicht. Und auch als Trainer ist seine Bilanz nicht so desaströs, wie der häufige Arbeitsplatzwechsel vermuten lässt. Er kann einleuchtend begründen, warum es bei Rapid Wien nicht funktioniert hat, und warum er nach einem Monat bei Paranaense gekündigt hat. Außerdem: Partizan Belgrad hat er zum serbischen Meister gemacht und in die Champions League geführt, als ungarischer Nationaltrainer hat er Pionierarbeit geleistet, als Co-Trainer ist er in Salzburg Meister geworden.
Wer verstehen will, warum dennoch kein Bundesligaklub den größten deutschen Fußballer der letzten drei Jahrzehnte verpflichten möchte, muss weit zurückgehen, zu den Anfängen ins Jahr 1979 nach Mönchengladbach. Matthäus gerät dort in eine Mannschaft, die das Erbe einer großen Ära verwaltet. Die großen Kämpen der 70er, Simonsen, Netzer, Heynckes sind abgetreten, den Anschluss an den Rivalen aus München hat die einstige Fohlen Elf bereits verloren. Matthäus, obwohl erst 18 Jahre alt, wird in einer Mannschaft ohne wirkliche Hierarchie sofort zum Stammspieler und als dynamischer Antreiber eine zentrale Figur im Gladbacher Spiel. „Wenn Lothar den Ball übernahm, wusste jeder im Team: Jetzt passiert was“, erinnert sich Uli Sude, damaliger Keeper der Gladbacher.
Er lässt schnell vergessen, dass er sich nach dem Wechsel aus dem beschaulichen Herzogenaurach eine „Anlaufzeit von einem halben Jahr“ gegeben hat, um sich in Gladbach zu etablieren. Im ersten Radiointerview seiner Laufbahn kurz vor dem Wechsel offenbart er noch Zweifel an sich und den Umständen: „Es kann auch passieren, dass es zu Heimweh kommt.“ Doch Matthäus brennt wie eine Fackel von zwei Enden. „Wie ein brodelnder Vulkan“, beschreibt Uli Sude den Jungspund Matthäus, als dieser zum Probetraining die Umkleidekabine in Mönchengladbach-Holt betritt. Auf einen Ausbruch müssen die neuen Kollegen nicht lange warten. Beim Spiel „Fünf gegen Zwei“ nordet der alternde Terrier Berti Vogts den Neuling mit einer Grätsche rustikal für das Profidasein ein. Ein Ritual, das mehr oder weniger alle neuen Spieler in Gladbach zu dieser Zeit über sich ergehen lassen – und in der Regel widerspruchslos erdulden. Matthäus sieht das anders. Bei der nächsten Gelegenheit revanchiert er sich beim Denkmal Vogts mit einer derart kompromisslosen Beinschere, dass dieser minutenlang vom Mannschaftsarzt behandelt werden muss. Sude: „Man hätte eine Stecknadel fallen hören.“ Vogts aber ruft, noch am Boden liegend, mit schmerzverzerrter Stimme: „Schickt sofort einen zu Manager Grashoff, er soll den Vertrag für den Jungen machen. Ich sag euch: Das wird ein Großer.“
Schon am Anfang seiner Profilaufbahn offenbart sich, was Fluch und Segen zugleich in der Karriere des Lothar Matthäus sein wird. Seine urtümliche Kraft und Dynamik, die das Alpha-Tier auf dem Platz zum Superstar machen wird, sorgt abseits des Rasens für Irritation und hat mitunter verhängnisvolle Auswirkungen. Uli Sude bringt es auf den Punkt: „Lothar war auf dem Platz so stark, weil er völlig unbedacht an die Sache ranging. Aber so wie er gespielt hat, hat er auch geredet.“ Gladbachs Trainer Jupp Heynckes sorgt dafür, dass der ungeschliffene Franke, Sohn des Hauswarts in der Herzogenauracher Puma-Fabrik, mit Manieren ausgestattet wird. Als nach einem Sieg die Mannschaft von Fans umlagert wird, ruft Matthäus einem Autogrammjäger zu: „Was willste denn mit der Unterschrift von dem? Das ist doch bloß unser Busfahrer.“ Mit hochrotem Kopf gibt Heynckes seinem versnobten Jungstar für diesen Lapsus ein Spiel Denkpause.
Die Fragen aller Fragen: Wer hat die Macht?
Nur ein Jahr später fährt Matthäus – gerade 19 – zur EM nach Italien und lernt mit großen Augen von den Routiniers, von Hansi Müller, Kaltz, Hrubesch, was man tun muss, um ganz nach oben zu kommen. Er begreift, dass sich in einer Profimannschaft alle Fragen rasch zu einer einzigen verdichten: Wer hat die Macht? Deshalb behaken sich Spieler im Training und treten sich gegenseitig um, darum bilden sie Cliquen und suchen die Gunst des Trainers. Denn nur Führungsspieler haben alle Freiheiten, auf dem Platz und auch außerhalb.
In jeder Mannschaft, in der er von nun an spielt, strebt Lothar Matthäus energisch an die Spitze der Hierarchie. Als er 1984 mit 23 Jahren nach langem Tauziehen zum FC Bayern wechselt, ist er bei der Borussia bereits der unumstrittene Führungsspieler. Doch im letzten offiziellen Match für die Elf vom Niederrhein, erlebt die Bundesliga eine andere Seite des Machtfußballers. Die Zuschauer sehen einen zaghaften, einen sensiblen, ja zweifelnden Matthäus. Das Pokalfinale gegen den FC Bayern geht ins Elfmeterschießen. Heynckes bestimmt seinen Leitwolf als ersten Schützen, der aber ist sich unsicher und lehnt ab. Der autoritäre Trainer ruft seinen Eleven zur Verantwortung, der opferbereite Matthäus gehorcht – und schießt den Ball in die Wolken.
Mit seiner soldatischen Auslegung von Befehl und Gehorsam wird er sich noch öfter in seiner Karriere im Weg stehen. Am Ende ramponiert er damit sogar fast seinen lückenlosen Erfolgsweg als Spieler: Als Erich Ribbeck den treuen Lothar als 39-Jährigen mit zur EM 2000 nimmt, wird er zum Symbol des Scheiterns auf unterstem Niveau. Weder 2000 noch 1984 ist Matthäus der wahre Verursacher der Katastrophe, doch als Sündenbock eignet sich keiner besser als der polarisierende Leitwolf. Nach dem Fehlschuss 1984 hält Uli Sude den Strafstoß von Klaus Augenthaler und merzt damit Matthäus’ Fehler aus. Fast unterwürfig bedankt dieser sich beim Keeper, aber letztlich verliert Gladbach das Endspiel wegen des verschossenen Elfers von Norbert Ringels. Doch die Gladbach-Fans verabschieden Matthäus mit „Judas“-Schlachtrufen. „Die schwärzeste Stunde meiner Karriere“, beschreibt er die Umstände des
Pokalendspiels 1984 noch heute.
Bei den Bayern füllt er in gewohnter Entschlossenheit das Vakuum, das Karl-Heinz Rummenigge und Paul Breitner hinterlassen haben. Sein Ehrgeiz ist kaum zu bremsen, immer voller Einsatz im Training und im Spiel. Uli Sude resümiert: „So kraftvoll wie Lothar gespielt hat, hätte er eigentlich mit 30 Invalide sein müssen.“ Selbst im Trainingsspiel kann er so schlecht verlieren, dass er nach unglücklichen Niederlagen mit Tränen in den Augen in die Kabine stürmt. Wenn er beim Spiel „Fünf gegen zwei“ in die Mitte muss, dauert es selten länger als zwei, drei Direktpässe, und Matthäus hat den Ball zurück. Dauert es länger, kommt es mitunter zu Handgemengen, weil er auch im Training einsteigt wie im WM-Finale.
Sein Eifer lässt auch nicht nach, wenn die Truppe nach Feierabend nach Schwabing aufbricht. Seine Physis lässt den virilen Mittelfeldmotor nie im Stich. Matthäus steht auch nach durchfeierten Nächten pünktlich und topfit auf dem Trainingsplatz. Sein Energiepotential scheint unerschöpflich.
Matthäus weiß immer Rat
Außerdem zeichnet ihn ein feines Gespür dafür aus, wenn andere Spieler Probleme haben. Neulinge grätscht er nicht wie Wadenbeißer Vogts plump weg, sondern lädt sie nach dem Training auf ein Weißbier ein. Wenn einer Probleme mit der Inneneinrichtung hat oder Designerschuhe aus Italien braucht, hängt sich der Spielmacher ans Telefon und organisiert etwas Passendes. Matthäus weiß immer Rat, er kennt die Befindlichkeiten in der Mannschaft, er weiß wer welche Probleme hat und spricht kräftig bei der Teampolitik mit. Udo Lattek, sein erster Coach beim FC Bayern: „Lothar ist ein unglaublich liebenswürdiger, ehrlicher Mensch. Wenn jemand im Team nicht zurecht kam, war er sofort da.“ Für Lattek wird Matthäus zum ersten Ansprechpartner in der Mannschaft.
Es sind diese Jahre, in denen sich das Fußballverständnis des Lothar Matthäus herausbildet. Aus dem schüchternen Jungen, der in ersten Interviews kaum weiß, wohin mit all der Verlegenheit, wird ein selbstbewusster Führungsspieler. Als ihn 1988 Inter Mailand verpflichtet, kündigt Klub-Präsident Ernesto Pellegrini an, was er sich von dem Transfer erhofft: „Nächstes Jahr zwei Punkte hinter dem AC, übernächstes gleichauf, in drei Jahren muss Inter Meister sein.“ Sein neuer Leitwolf aber verkürzt dem ungeduldigen Präses die Wartezeit. Inter wird schon 1989 Meister. Die Modestadt liegt Matthäus zu Füßen.
Wie sein Vorbild Franz Beckenbauer während seines Auslandsgastspiels bei New York Cosmos, lernt der Franke nun in Italien das süße Leben kennen. Aus Loddar, dem Raumausstatter wird Lothar, der Mann von Welt. Seine Jugendliebe Sylvia wird bald durch die mondäne Schweizer Moderatorin Lolita Moreno ersetzt.
Vielleicht mehr noch als die Karriere im Verein zeigen die WM Turniere den Wandel von Matthäus. 1982 in Spanien ist er nur ein Mitläufer, er steht außen vor, zwei Kurzeinsätze, mehr ist nicht drin. Von den nächtlichen Exzessen, von den Saufereien und Pokerabenden im Trainingslager am Schluchsee, bekommt Matthäus nichts mit. „Ich habe mich am nächsten Morgen bloß gewundert, dass nur so wenige Spieler zum Waldlauf erschienen. Wir standen da mit den Förster-Brüdern und Hans-Peter Briegel.“
Vier Jahre später in Mexiko ist Matthäus in der Hierarchie bereits aufgestiegen, aber noch regieren die alternden Platzhirsche Harald Schumacher und Karl-Heinz Rummenigge. Im Achtelfinale gegen Marokko wird dann die Wachablösung live übertragen. Die deutsche Elf quält sich über die Zeit, als ihr in der 88. Minute ein Freistoß zugesprochen wird. Rummenigge, etatmäßiger Freistoßschütze, kommt nicht mehr dazu, sich den Ball zurecht zu legen, Matthäus hat ihn bereits zum entscheidenden 1:0 ins Netz gehämmert. Ein Akt der Impertinenz, für den sich Matthäus erst nach sechs Jahren im Nationalteam und 45 Länderspielen stark genug fühlt.
Sein drittes Turnier, die WM 1990, zeigt Matthäus auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Nie war er besser, athletischer, kraftvoller als in Italien. In den Teilstaaten von Ex-Jugoslawien verehren sie ihn bis heute wie einen Heiligen, weil er beim 4:1 in der Vorrunde Jugoslawien fast im Alleingang überrennt. Mit zwei Toren zeigt er vielleicht das beste Spiel seiner Karriere.
Das eigentlich Besondere: Das Tor zum 3:1 schießt er mit links. Ein Quantensprung in der Geschichte des Sportlers Matthäus. Denn bis zu seinem Wechsel nach Mailand gilt er als reiner Rechtsfuß. Dann bringt ihm sein neuer Trainer Trapattoni bei, dass es auch anders geht. Die Übung, die ihm der Trainer verordnet: Matthäus läuft in rund 20 Metern Torentfernung parallel zur Strafraumlinie und dribbelt einige Hütchen aus. Dann schießt er mit links möglichst direkt neben einen der beiden Pfosten. Und genauso macht er es im Spiel gegen Jugoslawien. Sein schier limitloser Ehrgeiz zahlt sich mal wieder aus.
„Da wusste ich, Lothar kann bei diesem Turnier alles erreichen“
Als er den Treffer erzielt, sitzt sein Berater Norbert Pflippen auf der Tribüne und verdrückt eine Träne: „Da wusste ich, Lothar kann bei diesem Turnier alles erreichen.“ In den Tagen zwischen den Spielen spielt Matthäus den Touristenführer für seine Teamkollegen, braust mit ihnen im Motorboot über den Comer See und verleiht sein neues Peugeot Cabrio für Spritztouren. Als er am 8. Juli 1990 den WM-Pokal in den Nachthimmel von Rom reckt, ist Matthäus am Gipfel seiner Schaffenskraft angekommen. Dann beginnt der Abstieg.
Davon bekommt er allerdings zunächst noch nichts mit. Er schwimmt auf einer Woge des Erfolges. Mit Inter Mailand wird er UEFA-Pokal-Sieger, zweimal wählt man ihn zum Weltfußballer. Und dann fotografiert ihn auch noch die amerikanische Starfotografin Annie Leibovitz für eine weltweite Kampagne von „American Express“. Beinahe kommt der Deal gar nicht zustande, weil Matthäus, der zu diesem Zeitpunkt Millionengagen für Werbeaufträge kassiert, nicht versteht, dass der Deal vor allem einen Image-Schub für ihn bedeutet. Die 100 000 Dollar Aufwandsentschädigung, die „American Express“ den Testimonials aus der Unterhaltungsbranche zahlt, sind ihm schlicht zu wenig. Berater Pflippen setzt sich durch, weil er ahnt, dass Matthäus diese Kampagne zur weltweiten Ikone machen wird. Als Leibovitz über den Berater ausrichten lässt, sie wolle ihn zu einer Vorabbesprechung treffen, bellt der begehrte Star: „Wenn sie was von mir will, soll sie mich gefälligst anrufen.“
Leibovitz fotografiert den schlaftrunkenen Kicker schließlich um halb sechs Uhr morgens auf einem Landgut in Erding im weißen Unterhemd auf Treppenstufen, ein italienischer Macho nach getaner Arbeit, in sich ruhend. Ein Fußballer als Pin-up.
Der weltweite Ruhm hinterlässt Spuren. Sein Selbstbewusstsein überlappt für viele Außenstehende nun mitunter auch ins Arrogante. Der öffentliche Matthäus bedient die Medien, wie er es aus Italien gewohnt ist, posiert für Homestories und bunte Geschichten mit seiner Lolita. In die Ski-Urlaube in den Schweizer Schickeria-Orten reist er per Helikopter. Geburtstag feiert er in Crans Montana, seine Freunde lässt er per Privatjet einfliegen. Der Rummel gefällt ihm. Lolita heiratet er bei einer pompösen Zeremonie, die das Paar als Hoteleröffnung kaschiert. Matthäus spricht in Interviews von sich nur noch in der dritten Person: „Ein Loddarmaddäus macht dies und macht jenes …“
Der Privatmann Matthäus ist ganz anders. Trotz des Rund-um-die-Uhr-Programms als Fußball-Superstar hat er immer ein offenes Ohr für alte Freunde: Als Uli Sude als Trainer des VfL Osnabrück in Italien im Trainingslager ist, fragt er den alten Kumpel nach Karten für ein Inter-Spiel. Matthäus macht VIP-Tickets für den ganzen Kader klar und lässt das Team mit dem Bus abholen.
„Der größte Fehler seiner Karriere“
Als Matthäus im April 1992 beim Spiel gegen den AC Parma so schwer verletzt wird, dass viele fürchten, er müsse seine Karriere beenden, zeigt sich, wie brüchig in Wahrheit das Selbstbewusstsein des Franken ist. In panischer Angst vor Spritzen bittet er Norbert Pflippen, ihm während der Untersuchung bei einem Spezialisten in Colorado, die Hand zu halten.
Seine Kreuzbandverletzung aber ist so langwierig, dass Matthäus glaubt, nicht mehr stark genug für die erste Garnitur bei Inter zu sein. Als Uli Hoeneß dem angeschlagenen 31-Jährigen ein neues Angebot unterbreitet, greift er sofort zu. Pflippen sagt bis heute: „Der größte Fehler seiner Karriere. Lothar hätte bei Inter immer gespielt.“
Matthäus kehrt nach München zurück, als Weltmeister, als Weltstar – und gerät unvermittelt in einen Epochenbruch. Die Bundesliga entdeckt gerade den Fußballer als Showstar. Statt der behäbigen „Sportschau“ moderiert seit neuestem Reinhold Beckmann in roter Jeansjacke den bunten Sat.1‑Abend „ran“, erstmals zeigen Kameras auch die Spielerfrauen auf der Tribüne, es ist die Zeit der hochtrabenden kommerziellen Pläne, der überhitzten Erwartungen. Lothar Matthäus ist mittendrin. Und er spielt das Spiel mit und wird zum ersten gläsernen Fußballstar der Bundesliga-Geschichte.
Welches der öffentliche Matthäus ist und welches der private, weiß er zeitweise selbst nicht mehr. Rückblickend sagt Matthäus: „Was über mich in den Zeitungen steht ist nicht entscheidend.“ Er muss wissen, dass ein solcher Satz aus seinem Mund unfreiwillig komisch klingt. „Nein“, sagt Matthäus noch einmal, er findet immer noch: „Wenn die ›Süddeutsche Zeitung‹ damals vier Mal in der Woche angerufen hätte, hätte ich mich auch vier Mal mit der ›Süddeutschen‹ unterhalten.“
Stattdessen klingelt Anfang der 90er immer häufiger der „Bild“-Mann Wolfgang Ruiner durch. 1990 wechselt der ehrgeizige Boulevard-Reporter Ruiner vom Wiener „Kurier“ nach Deutschland zu „Bild“. Nun beliefert er von München aus das Sport-Ressort mit Geschichten über den FC Bayern und vor allem über Lothar Matthäus. Man ist sich sympathisch, es entwickelt sich eine freundschaftliche Beziehung, abends geht man gemeinsam essen, im Blatt finden sich Geschichten über Lothar und Lolita. Und damit nicht genug, nebenher wird Politik gemacht. Ruiner erinnert sich später im NDR-Fernsehen: „Wir haben irrsinnig viel Show gemacht, wie zum Beispiel: Er hat angerufen und gesagt: ›Du, pass auf, wir müssen morgen dem Mehmet Scholl einen Dreier geben. Der hat gut gespielt.‹ Und der hat am nächsten Tag wirklich einen Dreier gehabt, und die haben das in der Kabine mitbekommen. Wir haben es übertrieben.“
Lothar hat’s verraten
In dieser Periode seiner Karriere entsteht der Mythos, Matthäus sei chronisch indiskret. Wenn irgendwo Interna aus dem Team an die Öffentlichkeit kommen, gilt Matthäus als derjenige, der sie verbreitet hat. „Da haben ihn seine Mannschaftskameraden missbraucht. Hinter vorgehaltener Hand haben mir ganz andere die geheimsten Dinge erzählt, aber wenn ich dann etwas davon geschrieben habe, hieß es immer: Lothar hat’s verraten“, erklärt Wolfgang Ruiner heute. Der Journalist will aber nicht verhehlen, dass für ihn in den 90ern das übersteigerte Sendungsbewusstsein des Lothar Matthäus auch ein gut gehendes Geschäft bedeutet. Kurz: Lothar kann man zu allem befragen.
Als Ruiner einmal ein Aufmacher fehlt, ist gerade Tagesgespräch, ob es Männer erlaubt sein sollte, nachträglich den Namen der Ehefrau annehmen zu dürfen. Ein Anruf beim Bayern-Star bringt die Lösung. Tags drauf titelt „Bild“: „Lothar: Ich würde Lolitas Namen annehmen.“ Die Quittung folgt am Wochenende, als beim Punkspiel der Bayern in Gladbach der ganze Bökelberg höhnt: „Looooothar Moreno“.
„Fußballer wie ihn gibt es nicht mehr. An Lothar ist ein Boulevard-Reporter verloren gegangen. Keiner erkannte so gut, was eine Geschichte ist und was nicht“, so Wolfgang Ruiner heute. Schon an der Körperhaltung, die Uli Hoeneß in einem Gespräch einnahm, erkannte der Kicker, ob Ärger ins Haus steht. Solche Beobachtungen teilte er – bis zu einem bestimmten Grad – abends beim Weißbier auch seinem Reporter-Kumpel mit.
Was in den ersten Jahren noch spielerischen Charakter hat, gerät in der Saison 1995/96 zur bitterbösen Posse. Es ist die Spielzeit, in der Otto Rehhagel kläglich in München scheitert, in der sich die Mannschaft heillos zerstreitet, in der Matthäus in einem Testspiel bei Arminia Bielefeld die Achillessehne reißt. Er fällt Monate lang aus und muss hilflos mit ansehen, wie er in der Hierarchie nach unten rutscht – bei den Bayern und in der Nationalelf. Zwar wird er zur EM 1996 in England wieder fit, Bundestrainer Vogts nominiert ihn aber nicht, auf Betreiben von Jürgen Klinsmann und Thomas Helmer, wie Matthäus noch immer vermutet: „Ich habe Zeugen dafür, dass sie mich 1995 in einer geheimen Unterredung in Südafrika aus dem Kader der Nationalelf gedrängt haben“, sagt er.
Matthäus schlägt zurück, er liefert sich mit Vogts via „Bild“ ein Schlagzeilenduell, an dessen Ende der Nationaltrainer leichtfertig verkündet, Matthäus werde nie mehr mit dem Adler auf der Brust auflaufen. Zu allem Überfluss erscheint im Sommer 1996 „Mein Tagebuch“, eine nur mühsam verhüllte Abrechnung mit Jürgen Klinsmann in Buchform. Eine Woche lang haben sich Wolfgang Ruiner und sein „Bild“-Kollege Ulrich Kühne-Hellmessen mit Matthäus hingesetzt und ihn die Schlagzeilen des letzten Jahres kommentieren lassen.
Matthäus versteht den Rummel, den das Buch auslöst, bis heute nicht: „Als es angekündigt wurde, kam Uli Hoeneß zu mir und war stinksauer. Ich habe immer nur gesagt: „Uli, lies das Buch doch erstmal. Das ist total harmlos.“ Auch Ruiner beschwichtigt: „Ein großes Missverständnis. Da stand nichts drin, was nicht vorher schon einmal irgendwo gestanden hatte.“ Die Wirkung in der Öffentlichkeit jedoch ist verheerend. Müßig zu spekulieren, welche Rolle Matthäus im deutschen Fußball heute spielen würde, wenn es diesen Monate langen öffentlichen Streit mit Vogts und Klinsmann nie gegeben hätte.
Am Ende des Disputs steht er da als ewiger Egozentriker, der Machtkämpfe auf dem Rücken der Mannschaft austrägt. Aus dem Weltfußballer wird „Loddarmaddäus“, der Dampfplauderer ohne Taktgefühl. Hier der Schweiger Klinsmann, dort das Plappermaul Matthäus. Die öffentliche Wahrnehmung ist bis heute so geblieben.
„Schon in Mailand war klar, dass wir keine Freunde werden. Aber ich hatte nie ein Problem mit ihm. Erst 1995 ist das Verhältnis zwischen uns zerbrochen. Und das wird immer so bleiben, auch was das Verhältnis zum Trainer Berti Vogts anbetrifft.“
„Er ist beratungsresistent und kann nicht diplomatisch sein“
Dabei verrät der Konflikt mit Vogts und Klinsmann nicht einmal besonderen Egoismus. Er zeigt vielmehr, dass Matthäus die ganze Karriere hindurch Konflikte stets als Machtkämpfe begriffen hat. Und so bewertet er auch die entscheidenden Personen seiner Karriere immer nur in einer Kategorie: Wie gehen sie mit der Macht um? Das gilt für Franz Beckenbauer, für Uli Hoeneß, für Berti Vogts und für Jürgen Klinsmann. Sie alle besitzen Fähigkeiten, die Matthäus abgehen: Der „Kaiser“, diese natürliche Autorität und Leichtigkeit, mit der er Machtkämpfe für sich entscheidet. Die Kompromisslosigkeit von Hoeneß in Konflikten. An Vogts wiederum irritieren ihn dessen Skrupel. Matthäus hat nicht vergessen, wie Vogts bei der WM 1994 die Zügel aus der Hand glitten, weil er den Spielern Freiheiten ließ, die diese ausnutzten, indem die Herren Effenberg, Illgner und Häßler nur noch mit ihren Frauen auf den Fluren herumturnten und Andreas Brehme und Thomas Berthold schon morgens um acht auf den Golfplatz marschierten.
Allein, so genau er Schwächen und Stärken der anderen einzuschätzen weiß, so wenig gelingt es ihm, sich selbst zu korrigieren. Auch in Budapest sagt er: „Ich bin vielleicht zu gutmütig.“ Wolfgang Ruiner, dessen Freundschaft zu Matthäus aufgrund einer internen Meinungsverschiedenheit seit einigen Jahren ruht, bringt es auf den Punkt: „Er ist beratungsresistent und kann einfach nicht diplomatisch sein. Auch bei seinem Engagement in Salzburg hat er sich mit seinen öffentlichen Äußerungen zu Trapattoni wieder selbst aus dem Sattel gehoben. Und immer noch sucht er die Schuld bei anderen.“
Was bleibt Matthäus also?
Er müsste sich ändern. Er müsste weniger Interviews geben. Er dürfte sich nicht bei jedem freien Trainerstuhl ins Gespräch bringen. Er dürfte keine Kolumne mehr in der „Sportbild“ schreiben. Vor allem aber: Er müsste sich von Franz Beckenbauer emanzipieren. Matthäus ist 46 Jahre alt, er hat alles erreicht als Sportler. Und doch pflegt er mit dem „Kaiser“ eine komplexe Vater-Sohn-Beziehung, mit allen Schwierigkeiten, die so eine familiäre Bindung mit sich bringt. Immer noch sucht er den Ziehvater in Krisensituationen in Kitzbühl auf, um ihn zur Problemlösung zu befragen. Sein inniges Verhältnis zur Springer-Presse ist ein Ergebnis der engen Freundschaft zu Beckenbauer, der seit Jahrzehnten „Bild“-Kolumnist ist. Aber Matthäus ist kein „Kaiser“. Die Eleganz, mit der Beckenbauer Unverschämtheiten absondert und sie tags drauf lächelnd widerruft, geht Matthäus in Gänze ab. Wenn er spricht, klingt es wie in Stein gemeißelt und die naive Ernsthaftigkeit, mit der er seine Meinung vorträgt, lassen den Kumpeltyp und Sportsmann Matthäus, der ob seiner Verdienste für den Fußball eigentlich nur geliebt werden will, wie einen meckernden Stammtischbruder erscheinen. Norbert Pflippen sagt: „Kein Werbevertrag, den ich für ihn je abgeschlossen habe, passte besser zu Lothar als der für Lautsprecher.“
Eigentlich hätte Beckenbauer ihn gerne beim FC Bayern untergebracht. Manager Hoeneß und Vorstandschef Rummenigge sollen aber erbitterte Gegner dieser Personalie sein. Das Verhältnis gilt trotz gegenteiliger Bekundungen als gestört, seit Matthäus angeblich ausstehende Zahlungen aus seinem Abschiedsspiel gerichtlich einklagen wollte. Eine Aktion, die der Privatier inzwischen zwiespältig sieht: „Aus heutiger Sicht war der Gang vor Gericht sicher falsch, aber damals erschien es mir die einzige Möglichkeit, wieder meine innere Ruhe zu finden!“ Hoeneß bellt anschließend, Matthäus werde nicht einmal mehr „Greenkeeper beim FC Bayern“. Matthäus hält diesen Streit für ausgeräumt. Dass gerade seine enge Verbindung zu Beckenbauer seine Aussichten beim FC Bayern gemindert haben, wird er zumindest ahnen.
Etwas mehr Distanz zwischen sich und den „Kaiser“ zu bringen, würde aber auch bedeuten, den Förderer Beckenbauer zu verlieren. Zweimal schon hat der Matthäus’ Karriere angeschoben. Bei Red Bull Salzburg und vorher bei Rapid Wien. Das Engagement beim österreichischen Rekordmeister 2001 ist Matthäus’ Trainerdebüt und gleichzeitig der größte anzunehmende Unfall. Mag Matthäus auch in Belgrad, Ungarn, Salzburg erfolgreich gearbeitet haben, in Erinnerung bleibt Rapid. Den Kontakt hat Albrecht Schmidt, Chef der Münchner HypoVereinsbank und „Kaiser“-Spezi, hergestellt, der Deal läuft über den Rapid-Sponsor „Bank Austria“, beide Institute haben vorher fusioniert. Matthäus wird Trainer in Wien, das Gehalt zahlt die Bank.
„Ein unfertiger Mensch“
Doch alles geht schief. „Die Spieler dürfen mich duzen, wenn wir die Champions League gewinnen“, tönt Matthäus auf der ersten Pressekonferenz, doch die markigen Sprüche geraten schnell zur Karikatur. Es beginnt eine sportliche Talfahrt, die angestrebte Verjüngung kommt nur schleppend voran, die Fans fremdeln bei dem selbstbewussten „Piefke“, zu allem Überfluss verkracht sich Matthäus auch noch mit der „Kronenzeitung“, dem österreichischen Pendant zur „Bild“. Dessen Rapid-Berichterstatter hat keine Lust, jeden Tag hinaus aufs Trainingsgelände zu fahren, er will lieber nachmittags anrufen, wie er es bei Vorgänger-Trainern auch gemacht hat. Das lehnt Matthäus ab und fordert den Reporter stattdessen auf, raus nach Hütteldorf zu kommen. Das Zerwürfnis ist perfekt.
Fortan schießt die „Krone“ gegen ihn, der sportliche Misserfolg tut sein übriges, nach nur 245 Tagen ist Schluss in Wien. Dem Rausschmiss voraus geht eine hässliche Schlammschlacht, Matthäus nennt Rapid öffentlich eine „Schlangengrube“, Präsident Rudolf Edlinger keilt zurück, Matthäus sei „ein unfertiger Mensch“.
Als Nachfolger wird Josef Hickersberger verpflichtet, der es kommen gesehen hat: „Rapid ist vielleicht nicht der Verein, bei dem man seine Trainer-Karriere beginnen sollte.“ Torhüter Ladislav Meier drückt es drastischer aus: Jeder im Verein, bei der Putzfrau angefangen, habe aufgeatmet, als Matthäus gegangen sei. Lothar Matthäus in Budapest winkt ab: „Der ist sauer, weil er nicht gespielt hat. Ich habe in Wien professionell gearbeitet, vielleicht war der Klub noch nicht bereit.“
All das ist in Erinnerung geblieben. Die Unruhe, die Indiskretionen, die Schlammschlacht hinterher. Und es scheint, als fürchte jeder Bundesligaklub, der einen Trainerstuhl neu zu besetzen hat, es könne ihm genauso gehen, wenn er Matthäus als Coach verpflichtet.
Dabei hat sich der Kandidat im Wartestand geändert. Er formuliert bedächtiger als früher, meidet allzu provokante Töne, sogar seine „Sportbild“- Kolumne, früher die Flugabwehrkanone des Blattes, kommt in den letzten Monaten erstaunlich handzahm daher. Das wird ihm kurzfristig jedoch nichts nutzen, zu bestimmend ist immer noch das Image des ewigen Dampfplauderers. Auch wenn ihm das vielleicht nicht mehr gerecht wird.
Unlängst hat Udo Lattek am Sonntagmorgen in der DSF-Talkshow „Doppelpass“ ein flammendes Plädoyer für Matthäus gehalten. „Es muss sich doch jetzt endlich ein deutscher Vereinspräsident finden, der den Mut hat, Lothar Matthäus als Trainer zu verpflichten.“ Matthäus, der mit ihm in der Runde saß, hat dazu bescheiden, fast dankbar gelächelt. Was soll er sonst machen?
Drei Tage später in Budapest sagt er nochmal: „Ich traue mir zu, einen Bundesliga- Verein zu trainieren. Es wäre schön, dahin zurückzukehren, wo 17 Jahre meine fußballerische Heimat war. Aber ich dränge mich nicht auf.“ Dann klingelt wieder sein Handy. Matthäus verabschiedet sich freundlich und geht. Es gibt viel zu tun.