Was bleibt, wenn die Birne schon ein bissel einrostet? Dass der Hamburger SV den Klassenerhalt schafft. Daran erinnert sich unser Autor gern jedes Jahr aufs Neue.
Ein schöner Klumpen Erinnerungspampe. Massiv, klebrig, undefinierbar und ohne erkennbare Struktur. Wenn ich am Ende des Fußballjahrs 2017 zurück schaue, was mich derart bewegt hat, dass ich auch in Zukunft am Fußball hängenbleibe wie ein verregneter Bahnhofsstricher an der Heroinnadel, sehe ich das vor meinem geistigen Auge. Ein richtig schönen Klumpen Erinnerungspampe.
Ein sich in Lichtgeschwindigkeit um die eigene Achse drehendes Gedankenknäuel aus dem ab und an ein Fuß, ein Ball, ein triumphierender Spielerkopf herausragt. Confed Cup. Boing. Das verrückte Revierderby. Boingboing. Lewandowski mit seinem grauen Fix-und-Foxi-Fiffi. Mööp. Der cholerische Tuchel. Baaam. Feldherr Heynckes, alterslos, akkurat. Boingboingboing. Einschusslöcher im Reisebus. Uff. Löwen zurück im Grünwalder. Lichtblitze in meiner Birne, die schneller verschwinden, als sie aufgetaucht sind. Nichts bleibt. Nichts hat Bestand. Das Fußballgeschäft dreht sich schneller als die Schraube der Kommerzialisierung es antreibt.
Verzieht sich dann der altersbedingte Rauch in meinen morschen Gehirnwindungen, gerinnt doch ein Moment zum Standbild. Und ich denke, Moment, das hatten wir doch schon mal. Oder? Der Telefonmann, der nur einmal ranging, und damit der Tradition genüge tat. Die sich selbst erfüllende Prophezeiung. Ich denke, ich kann doch nicht jedes Jahr denselben Senf fabrizieren. Tomorrow, my friend, tomorrow. Aber es ist eben doch der Moment, der alles überstrahlt.
Wie heißt der? Waldschmidt. Egal!
Der HSV steigt wieder mal nicht ab. Besiegt den VfL Wolfsburg am letzten Spieltag in der 88. Minute mit 2:1. Ich lümmle in der Ledergarnitur, breitgesessen von der Bräsig- und Gelassenheit des Middle-Agers. Sky kabelt den Grottenkick gegen die Autostädter mit der gepitchten Routine einer professionellen Emotionsmaschine in die Bude. Kühne hat geschimpft, dass diese Typen alles Luschen seien. Lasogga, der den Klub mit seinen seltenen Sternstunden schon mehrfach vor dem Absturz bewahrt, sei ein Versager.
Und jetzt gelingt es dieser vermeintlichen Trümmertruppe und ihrem Trainer, der bei den Pressekonferenzen immer schon so entrückt wirkt, als sei er gedanklich längst seines Amtes enthoben, dafür zu sorgen, dass ich vor dem TV hocke und die Knie der blauen Nietenhose strapaziere. Beckerfaust im Anschlag. Jaaah. Frau, schneid die Torte an.
Wie heißt der? Luca Waldschmidt. Egal. Ring-ring-ring. Der Telefonmann, ich gehe ran und Zehntausende im Volkspark mit mir.
Was haben sie gespottet – und tun es in der Hinrunde 2017/18 jetzt schon wieder. „Der HSV – wieder mal auf dem gewohnten Relegationsplatz“. Arschlecken zweitausend. Da spielt im Sommer 2017 aber der VfL Wolfsburg. Heribert Bruchhagen dankt im Augenblick des Abpfiffs den Fans und Didi Beiersdorfer. Der Studienrat wirkt zittrig wie selten. Egal. Der HSV, da weiß man, was man hat. Das Urgestein. Der Dino. Unabsteigbar.
Selbst Uwe Seeler macht sich schon keine Sorgen mehr (zumindest öffentlich), weil er ja sonst nie aufhören würde damit. Und den Gefallen abzusteigen, damit seine Sorgen wenigstens mal begründet wären, tun sie dem Alten auch nicht.
This is Hamburg-Stellingen
Der HSV und sein Leben im Unsteten. Der Triumph der Erfolglosigkeit. Ein Klub, so entsetzlich grau, dass es schon wieder blendet. Waldschmidt wird danach nie wieder treffen. Er erlebt gegen Wolfsburg seine hundertstel Sekunde Ruhm. Wenig für einen jungen, hoffnungsvollen Kicker wie ihn. Aber mehr als genug, damit die Droge bei mir wieder volle Wirkung entfaltet. Es heißt, der Junkie schliddert vor allem deshalb so tief in die Sucht, weil er sein ganzes Leben darauf hofft, den wohligen Schauer des allerersten Schusses zu wiederholen.
Mir reichen ein paar Sekunden kurz vor Abpfiff des letzten Saisonspiels, damit die morschen Synapsen die Beine in die Höhe schmeißen: Is alles so schön bunt. Fußball ist unser Leben. Wer wird Deutscher Meister…Hahahahahahahah. Ich bin der lachende Vagabund. Pah. Abstiegskampf. Tomorrow, my friend, tomorrow. Heute ist König Fußball. Der Hamburger SV. Was für ein geiler Verein. Das Billboard in meinem Kopf auf Festtagsbeleuchtung. Von wegen Pampe. Las Vegas. Reno. Atlantic City. Ladies & Gentlemen: This is Hamburg-Stellingen.