Carlo Ancelotti schreibt Geschichte, er gehört zu den erfolgreichsten Trainern der Welt. Doch noch mehr als seine Titel und Trophäen zeichnen ihn seine Menschlichkeit und Wärme aus.
„Nicht mehr zeitgemäß“; „Mehr Notnagel als Wunschlösung“ – als Real Madrid Carlo Ancelotti als neuen, alten Trainer vorstellte, waren Presse und die, die es mit Real Madrid halten, skeptisch. Der 62-Jährige schien bereits auf dem Abstellgleis, die fetten Jahre vorbei. Eine große Trainerkarriere neigte sich langsam dem Ende entgegen. Die Kritik, die Real-Präsident Florentino Perez nach der Verkündung einstecken musste, kam nicht von ungefähr, schließlich lief es bei Ancelottis letzten Trainerstationen eher mittelmäßig: Ein unrühmlicher Abschied beim FC Bayern, eine Vizemeisterschaft plus einen Rauswurf beim SSC Neapel und Durchschnitt beim FC Everton gaben wenig Anlass zur Hoffnung.
Aber Don Carlo kam um zu siegen. Heute, rund zwölf Monate nach Einstellung, ist er paneuropäische Rekordtrainer, hat geschafft was vor ihm keiner geschafft hat: Er konnte die Meisterschaft in allen fünf Topligen feiern und als erster Trainer die Champions League gleich viermal gewinnen. Das alles nimmt „Carletto“ mit einer Seelenruhe und ohne sichtbare Regung hin, einzig am Zucken seiner linken Augenbraue kann man erahnen, was er gerade fühlt.
Ein ähnliches Auf und Ab, ist die lange Trainerkarriere von Carlo Ancelotti, in der er großartige Erfolge feiern konnte, aber auch Niederlagen einstecken musste. Eine davon war sicherlich das Ende seiner ersten Amtszeit bei Real Madrid. Nicht nur am Spielstil gab es Kritik, auch die vermeintlich laschen Trainingsmethoden passten den Bossen der Königlichen nicht mehr, der Italiener musste seine Sachen packen. Laut Medienberichten zum Unmut seiner Spieler, das Team rund um Cristiano Ronaldo soll hinter seinem Trainer gestanden und sich für einen Verbleib eingesetzt haben.
Ein Phänomen, das sich durch Ancelottis Karriere zieht, auch wenn sein Spielstil vielleicht unaufgeregt und einfach ist, seine Methoden pragmatisch – seine Menschenkenntnis ist außergewöhnlich. Ihm gelingt es wie kaum einem anderen, das vorhandene Personal an sein Optimum zu bringen. Er ist nicht nur Trainer, sondern auch Freund, fast schon ein Vater, für die jüngere Generation ein Großvater.
Darauf legt der 62-Jährige wert. Als nach dem Gewinn der Meisterschaft Fotos von Spielern und ihm mit Zigarre im Mund auftauchten, sagte er: „Es ist ein Foto mit meinen Freunden. Die Spieler sind meine Freunde.“
Unter Ancelotti kommt es nicht vor, dass nach einer Taktik-Ansprache die Köpfe rauchen und gestandene Profis nicht mehr wissen, wann sie als abkippender Sechser zum herauskippenden Sechser werden müssen, er lässt die Spieler machen. „Manchmal sind Freiheiten auf dem Platz noch wichtiger, als alles im kleinsten taktischen Detail zu planen“, unterstreicht Toni Kroos.
Wo auch immer man einen „Königlichen“ vor einem Mikrofon sieht, es ergießen sich Lobeshymnen über Don Carlo. Auch Torwart Thibault Courtois stimmt mit ein: „Er ist wie ein Vater, der auch streng sein kann, aber herzlich, scherzend, freundlich ist“. Und Papa Carlo? Nach dem Sieg im Champions-League-Finale tanzte er mit seinen 62 Jahren über den Rasen des Stade de France, Seite an Seiten mit seinen Schützlingen.
Aber nicht nur die hat er überzeugt. Carlo Ancelotti hat Alphabosse auf seine Seite gezogen wie kein Zweiter. Die obersten Vorgesetzten seiner fünf Meistertitel: Silvio Berlusconi, Roman Abramowitsch, Tamim bin Hamad Al Thani (Staatsoberhaupt des Emirats Katar), Uli Hoeneß und Florentino Pérez. Und in einem Geschäft, das sich selber oft ein bisschen zu ernst nimmt, tritt der „Maestro“ mit einer Gelassenheit auf, die sich nicht nur im Sieg sondern vor allem in Niederlagen zeigt. Das bestätigt Karl-Heinz Rummenigge in einem Interview: Als dieser Ancelotti davon unterrichtete, dass seine Zeit beim FC Bayern zu Ende gehen würde, habe Ancelotti den Bayern-Boss mit den folgenden Worten in den Arm genommen: „Du bist nicht mehr mein Chef, aber du bleibst mein Freund“. Da flossen sogar beim erfahrenen Rummenigge die Tränen.
Carlo Ancelotti ist eine große Persönlichkeit, vielleicht die größte Persönlichkeit im aktuellen Weltfußball. Das zeigt sich auch in seinem letzten Triumph, als er für einen Moment der einsamste Mann im Stade de France war. Als er als erster die Medaille überreicht bekam und sich auf dem blauen Siegerpodest niederließ. Bis sich ausgerechnet Dan Ceballos zu ihm gesellte. Ancelotti und Ceballos – das passt nicht so richtig, dachte man, vor allem nach dem Auftritt in der Copa del Rey, als Ceballos Einwechselung sich verzögert und dieser genervt in Richtung Ancelotti abgewunken hatte. Mit solchen Nichtigkeiten hält sich Ancelotti jedoch nicht auf, zu wichtig sind ihm Menschlichkeit und Nähe. Und so saß er da, ganz offensichtlich zufrieden, zufrieden mit sich, zufrieden mit der Welt, zufrieden mit der Mannschaft, aus der er eine Einheit gemacht hatte.
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