Die FIFA testet eine halb-automatische Abseitserkennung. Ist die Probe erfolgreich, soll bei der WM in Katar digital über Abseits entschieden werden. Wie soll das funktionieren?
Abseits. Ein leidiges Thema. In der Bundesliga bedeutet eine knifflige Situation vor einem Tor oft Unsicherheit, bange Blicke zur Seitenlinie, ein Griff ans Ohr vom Schiedsrichter und dann: warten. Meist dauert es eine gefühlte Ewigkeit, bis der berüchtigte „Kölner Keller“ seine kalibrierten Linien gezogen hat und alle Zweifel beseitigt sind.
Wobei – auch dann ist die verwendete Kameratechnik eigentlich zu ungenau, der Körperteil, an dem die Linie gezogen wurde teils undefinierbar und der Zeitpunkt der Ballabgabe nie zu 100 Prozent stimmig. Das Gefühl von Gerechtigkeit? Wie bei so einigen VAR-Entscheidungen eher diffus.
Nun soll die halb-automatische Abseitserkennung Abhilfe schaffen, und – ähnlich wie die Torlinientechnologie – endlich dafür sorgen, schnelle und genau Entscheidungen auf dem Platz treffen zu können. Hinter beiden Technologien steht mit Hawk-Eye dasselbe Unternehmen. Doch das System dahinter ist weitaus komplizierter.
Johannes Holzmüller, Direktor für Fußball Technologie und Innovation bei der FIFA erklärte das Prinzip in einer Präsentation des Weltverbandes so: „Es ist ein kamerabasiertes System. Wir installieren dafür zehn bis zwölf Kameras unterhalb des Stadiondaches. Diese Kameras folgen den Bewegungen der Spieler und überwachen 29 Punkte am Skelett eines jeden Spielers, 50 mal pro Sekunde.“ Eine künstliche Intelligenz wertet diese Daten aus. Nahezu in Echtzeit soll dem Video-Assistenten mitgeteilt werden, sobald ein Spieler im Abseits steht.
In der Vorstellung des Projekts nannte Pierluigi Collina, Chef der FIFA-Schiedsrichterkommission, auch die Gründe für die Entwicklung des Systems: „Wir wissen, dass es beim Videobeweis noch zu lange dauert, um mögliche Abseitsstellungen zu bewerten. Gerade wenn die Situation sehr eng ist. Uns ist auch bewusst, dass die Genauigkeit beim Anlegen der Linien nicht immer korrekt ist. Deswegen wollten wir eine Technologie entwickeln, die schnellere und präzisere Antworten liefern kann.“
Und warum ist dieses roboterhafte System nun „halb-automatisch“? Genau genommen zeigt die Technik nur eine grundsätzliche Abseitsstellung an. Die endgültige Entscheidung, ob ein strafbares Abseits vorliegt, soll am Ende weiterhin der Schiedsrichter auf dem Platz entscheiden. Die Abseitserkennung wäre dann keine eigenständige Technologie per se, sondern eine zusätzliche Erweiterung des Videobeweises.
Denn die vom System verarbeiteten Daten werden anders als bei der Torlinientechnologie nicht direkt an den Schiedsrichter gesendet, sondern zunächst dem Video Assistant Referee in den Katakomben zugespielt. Der VAR kann diese Informationen dann wie gewohnt dem Unparteiischen mittels Signal weitergeben.
Ob in bestimmten Situationen eine passive Abseitsstellung vorliegt oder nicht, kann auch die künstliche Intelligenz nicht abschließend beurteilen. Situationen, in denen der Schiedsrichter rätselnd vor dem Bildschirm steht, scheinen vorprogrammiert.
Neue Technologien wurden bisher gerne beim Confederations Cup getestet. So wie die Torlinientechnologie 2013 in Brasilien und der Videobeweis 2017 in Russland. Der ohnehin fragwürdige Wettbewerb wurde jedoch als üblicher Testlauf abgeschafft – anstelle dessen feierte dieses Jahr der erste rein arabische Wettbewerb seine Prämiere: der FIFA Arab Cup. Bei diesem Vorbereitungsturnier soll die halb-automatische Abseitserkennung zum ersten Mal eingesetzt werden.
Der FIFA zufolge wurde bereits während der Klub-WM in Katar sowie in anderen europäischen Städten, unter anderem auch in Düsseldorf, an dem System gearbeitet. Der Arab Cup sei aber, so Collina, der wichtigste Test bisher. Die Times berichtete, dass einem Einsatz bei der WM in Katar nichts im Weg stünde. Auf Anfrage des Spiegel antwortete die FIFA, dass ein Einsatz davon abhinge, wie die Tests verlaufen würden.
Dabei wirft die neue Technologe die Frage auf, ob die ursprüngliche Aufgabe eines Linienrichters nicht bald ad absurdum geführt wird. Durch den eingeführten Videobeweis ließen Linienrichter auch bei teilweise ganz eindeutigen Abseitssituationen ihre Fahne unten, um Situationen nicht frühzeitig zu beenden und eine potentielle Chance zu verwehren. Schon länger teilt sich seitdem der Linienrichter mit dem Videoschiedsrichter den selben Aufgabenbereich aus einer unterschiedlichen Perspektive.