Bruno Martins Indi ist ein Entertainer mit einer bewegten Kindheit. Bei der WM darf er sich erstmals auf der großen Fußballbühne beweisen, vermutlich als Stammspieler der „Elftal“.
Sogar in den Niederlanden äußerst streng geltende Trainer wie Ronald Koeman oder Co Adriaanse müssen lachen, wenn sie auf Bruno Martins Indi angesprochen werden. Adriaanse, Indis langjähriger Jugendtrainer bei Feyenoord Rotterdam, erinnert sich sofort an eine Anekdote: „Einmal lief dieser stämmige Verteidiger nach einem Tor wie ein junger Hund freudestrahlend über den Platz, direkt auf mich zu und brüllte: ›Onkel Corrie, Onkel Corrie, lass mich dich umarmen! Da habe ich schon Angst bekommen‹.
Von einem anderen Trainer wurde Martins Indi, der im Schatten des Estadio da Luz in Lissabon als Sohn einer portugiesischen Mutter und einem guineischen Vater zur Welt kam und in jungen Jahren nach Rotterdam zog, mit dem seltenen Zitat „Ich liebe Sie, Bruno“ bedacht. Selten ist dieser Ausspruch deshalb, weil er aus dem Mund von niemandem geringerem als dem aktuellen Bondscoach Louis van Gaal stammt. Der ehemalige Bayern-Coach steht eher nicht unter Verdacht, sich gerne derart offensiv über junge Spieler zu äußern.
„Ich denke, dass ich sehr gut mit van Gaal kann. Und das, ohne vor ihm zu Kreuze zu kriechen“, sagte Martins Indi kürzlich in einem Interview voller Respekt. Welche Wertschätzung er dem Bondscoach entgegenbringt, wollte der 22-Jährige ihm nach seinem wichtigen Tor in der WM-Qualifikation gegen die Türkei beweisen. Wie ein Verrückter lief er auf van Gaal zu, sprang ihm in die Arme und riss den Trainer mit zu Boden. Das sei „pure Spontanität“ gewesen, er habe einfach nicht darüber nachgedacht, dass der Coach gerade erst an der Hüfte operierte worden war, sagte Martins Indi später. Van Gaal konterte die unbedachte Aktion gewohnt lässig: „Ich denke, ich habe ihn ganz gut von mir gleiten lassen.“
„Vielleicht schreibe ich ein Buch darüber“
Martins Indi ist ein Entertainer. Einer, der für jeden Spaß zu haben ist. Als Mario Balotelli im EM-Halbfinale 2012 gegen Deutschland seine berühmte Oben-Ohne-Pose zeigte, imitierte ihn Martins Indi einen Tag später im Trainingsspiel bei Feyenoord. Und als das Nationalteam kürzlich ein Golfturnier besuchen musste und die meisten Spieler mit verschränkten Armen darauf hofften, möglichst bald abreisen zu können, forderte er die Kollegen vor versammelter Presse dazu auf, doch bitte in die Kameras zu lächeln. Seine simple Begründung: „Wir sind gesegnet, dass wir hier sein dürfen. Also zeigen wir das auch.“
Das Leben spielte dem Linksfuß aber nicht immer in die Karten. Lange Zeit hatte Martins, der am liebsten in der Innenverteidigung spielt, wenig zu lachen. Nachdem er aus Portugal in die Niederlande kam, war er auf sich alleine gestellt. Ohne seine Eltern versuchte er sich in Slinge durchzubeißen, dem Stadtteil Rotterdams mit der höchsten Verbrechensrate. Heute möchte er nicht mehr darüber sprechen, erklärt mit einem Grinsen auf dem Gesicht: „Ich muss den Fokus auf das Hier und Jetzt legen. Vielleicht schreibe ich später mal ein Buch darüber – es wäre aber kein besonders glückliches.”
Feyenoord Rotterdam half ihm aus der Patsche. Während seine Freunde auf den falschen Pfad gerieten, brachte der Klub Struktur ins Leben des jungen Bruno. Er bekam ein festes Dach über dem Kopf und einen holländischen Pass, damit er in den niederländischen Jugendmannschaften spielen konnte. Bei Feyenoord entwickelte sich Martins, der zuvor als Stürmer beim Amateurklub Spartaan 20 kickte, zum gefürchteten Verteidiger.
Wenn die Kollegen schon längst Zuhause waren, trainierte Bruno mit seinem akribischen Jugendtrainer Co Adriaanse noch ein bisschen länger. Das Leben außerhalb des Platzes versuchte er in den Griff zu bekommen, indem er seine Pläne in einem kleinen Notizbuch festhielt. Bis heute, das hat der Verteidiger kürzlich erzählt, schreibt er seine Gedanken regelmäßig auf und sammelt Sprichwörter. Sein Lieblingssatz: „Der Beste von heute kann morgen der Schlechteste sein.“ Das sagt viel über den Ehrgeiz von Bruno Martins Indi aus. Das Nachtleben und die Straßen Rotterdams hat er längst hinter sich gelassen, mit 19 wurde er Vater. Seinen Traum formuliert Martins bescheiden: „Irgendwann möchte ich mal eine gewöhnliche Person mit einer Dachterasse und einer Garage sein.“
Trotz Bank bei Feyenoord holte van Gaal ihn in die Elftal
Bondscoach van Gaal wurde erstmals vor zwei Jahren auf Martins Indi aufmerksam. Er hatte den Verteidiger nach zwei bärenstarken Auftritten 2012 in der Qualifikation zur Champions League für die „Elftal“ nominiert und seitdem nicht mehr außen vor gelassen. Martins Indi ist ein Gesicht des Umbruchs, den van Gaal eingeleitet hat. Meistens kommt der 22-Jährige in der Innenverteidigung zum Zuge, kann aber auch links hinten spielen. Anfang dieser Saison wurde er von der niederländischen Presse aber in Frage gestellt. Nach einigen schwächeren Spielen bei Feyenoord fand er sich im Verein auf der Bank wieder, obwohl der AC Mailand oder der FC Everton intensiv um ihn buhlten. Oranje-Coach Louis van Gaal ließ sich von den Meinungen der Experten nicht beeindrucken und sprach seinem Spieler das volle Vertrauen aus.
Das liegt auch daran, dass der Trainer die direkte Art seines jungen Abwehrspielers mag. In Team-Besprechungen zögert Martins Indi nicht, mit der holländischen Trainer-Legende zu sprechen. „Ich will unbedingt besser werden“, soll er einst in ernstem Ton zu van Gaal gesagt haben, um dann zu ergänzen: „Ich habe sehr viele Fragen an Sie.“ Der zuweilen mürrische Trainer antwortete: „Ich liebe Sie jetzt schon, Bruno.“ Eine Liebelei, die in Brasilien wohl ihre Fortsetzung finden wird. Wahrscheinlich schon im Auftaktmatch gegen Spanien.
Bart Vliestra ist Teil des „Guardian-Netzwerks“ und ein niederländischer Journalist, der u.a. für die Zeitung „De Telegraaf“ schreibt. Auf Twitter könnt ihr ihm hier folgen: https://twitter.com/BVlietstra