Kameruns Samuel Eto’o ist die größte Skandalnudel aller diesjährigen WM-Teilnehmer. Eigentlich dürfte er gar nicht mehr mitspielen. Aber sein Land braucht ihn.
Wie gut muss ein Spieler sein, wenn er seinem Nationaltrainer ungestraft in die Aufstellungen reinquatscht und anschließend beleidigt seinen Rücktritt bekannt gibt, weil sich der Nationaltrainer nun mal nicht reinquatschen lassen möchte? Antwort: ziemlich gut. Samuel Eto’o ist unbestritten der größte Fußballer in der Geschichte Kameruns. Neben Nationalikone Roger Milla. Doch die beiden Männer können sich nicht mehr leiden.
„Nur Kamerun hat er niemals etwas gegeben“
„Er hat für seine Klubs schon viel geleistet“, hat Milla vor einigen Jahren über Eto’o gesagt, „nur Kamerun hat er niemals etwas gegeben.“ Dabei hat Samuel Eto’o in 115 Länderspielen immerhin 55 Tore geschossen, wurde 2000 Olympiasieger und gewann 2000 und 2002 den Afrika-Cup. Viermal wurde er „Afrikas Fußballer des Jahres“. Die WM in Brasilien wird seine vierte Endrundenteilnahme mit seinem Heimatland. Selbstverständlich war Eto’o zutiefst gekränkt.
Was Milla wohl meinte: Gibt Eto’o mehr, als er nimmt? Ist er all die Skandale und Probleme wirklich noch wert? Denn Samuel Eto’o, das muss man wissen, kann nun mal wahnsinnig anstrengend sein.
Das musste vor einigen Monaten auch Kameruns Auswahltrainer Volker Finke erfahren. Nach dem 1:0‑Sieg in der WM-Qualifikation gegen Libyen im September 2013 verkündete Eto’o völlig überraschend seinen sofortigen Rücktritt aus der Nationalmannschaft. „Er ist der Einzige, der erklären kann, warum er sich so entschieden hat“, gab der verblüffte Finke zu Protokoll. Tage später kam heraus, dass der Stürmer seinen Trainer aufgefordert haben soll, die Mannschaft gegen Libyen auf gleich fünf Positionen zu verändern. Was Finke verständlicherweise ablehnte. Eto’o reagierte bockig wie ein Kleinkind, das an der Kasse den Schokoriegel verwehrt bekommt. Nur einen Monat später gab der Stürmer den Rücktritt vom Rücktritt bekannt.
„Die Verbandsführung will mich töten!“
Es war nicht das erste Mal, dass Eto’o Kameruns Fußball-Verantwortliche verärgerte. 2006 sorgte er während des Afrika-Cups in Ägypten beinahe für eine Massenkeilerei, weil sich Funktionäre am eigentlich für die Spieler reservierten Hotelbuffet bedient hatten. Inzwischen ist er so zerstritten mit den Mächtigen, dass er sich bei Länderspielen weigert, im Mannschaftshotel zu nächtigen und stets eine Leibgarde um sich schart. Seine verstörende Erklärung: „Die Verbandsführung will mich töten! Ich tue das nicht, weil ich verrückt bin, sondern weil ich mich schützen muss!“
Doch nicht nur mit Trainern und Funktionären steht Eto’o auf Kriegsfuß, auch seine Mitspieler in Kameruns Auswahl scheinen die Launen der Diva sattzuhaben. Weil ihn Mittelfeldmann Alex Song 2011 nach einem verschossenen Elfmeter im Afrika-Cup-Qualifikationsspiel gegen Senegal kritisierte, suchte Eto’o zunächst eine handfeste Auseinandersetzung, schwänzte dann das nächste Training und maulte noch ein Jahr später: „Ich bin einer der besten Fußballer der Welt. Song ist nicht mal einer der Besten Kameruns.“ Alex Song war da gerade vom FC Arsenal zum FC Barcelona gewechselt. Und erst im September 2013 beklagte sich Eto’o bei Trainer und Journalisten, dass es „eine Absprache innerhalb der Mannschaft gibt, mir nicht mehr den Ball zuzuspielen“. Sein Trainer reagierte genervt und verortete Eto’os Gehabe auf „Kindergartenniveau“.
Warum ist Eto’o so, wie er ist? Aus ärmlichsten Verhältnissen hat sich der Fußballer zu einem der bestbezahlten Sportler des Planeten hochgekämpft. Wer so lange an der Spitze stand wie er, der braucht gar nicht erst abzuheben – er ist ja schon ganz oben. Eto’o Größenwahn vorzuwerfen, würde ihm allerdings auch nicht gerecht werden: Hat einer die Bodenhaftung verloren, wenn er seit Jahren einen nicht geringen Teil seiner Honorare in unzählige Hilfsprojekte in seiner Heimat steckt?
Viele tausend Demonstranten setzten sich für Eto’o ein
Beim Volk ist der Torjäger noch immer ein Held. Deutlich wurde das vor allem 2011, als er sich an die Spitze eines Mannschaftsstreiks gestellt hatte, um den Verband dazu zu zwingen, versprochene Prämien auszuzahlen. Die Funktionäre sperrten Eto’o für 15 Spiele, mussten die Strafe aber schließlich auf drei Partien senken, weil sich viele tausend Demonstranten auf den Straßen Kameruns für den eigensinnigen Star eingesetzt hatten.
Vor der WM fragten auch die Unterstützer von damals, ob man Samuel Eto’o mit zur WM nehmen sollte.
Die Antwort hätte eigentlich „Nein“ lauten müssen. Denn wie soll Volker Finke die häufig beschworene mannschaftliche Geschlossenheit initiieren, wenn mit Song und Eto’o zwei seiner besten Spieler verfeindet sind? Wie soll Kamerun die Höhen und Tiefen einer Weltmeisterschaft überstehen, wenn der Stürmer nach ausbleibenden Pässen in die Spitze die nächste Verschwörung gegen sich wittert? Andererseits bringt Eto’o nicht nur die Erfahrung von 20 Jahren Profifußball mit (er gab bereits als 13-Jähriger sein Debüt für einen kamerunischen Zweitligisten), sondern auch jene von drei Weltmeisterschaften, zwei gewonnenen Champions-League-Titeln und hunderten Spielen und Toren für die besten Mannschaften der Welt.
Eto’o ist noch immer der „König der Löwen“
Seinen sportlichen Zenit mag Eto’o überschritten haben – sichtbar wurde das jüngst, als er kurz nach seiner Einwechslung im Champions-League-Halbfinale plump Diego Costa von Atletico Madrid im Strafraum von den Beinen holte und so Chelseas Niederlage einleitete. Aber einen besseren Offensivspieler besitzt Kamerun derzeit nicht.
Lions Indomptables, „Die unzähmbaren Löwen“, werden die Spieler Kameruns seit jeher genannt. Auf Samuel Eto’o passt das wie die Faust aufs Auge. Er ist noch immer der „König der Löwen“, denn ein Thronfolger ist derzeit nicht in Sicht. Und zähmen, das dürfte inzwischen klar sein, wird ihn in diesem Fußballerleben sicher niemand mehr.