Joti Stamatopoulos hat viele der griechischen WM-Teilnehmer trainiert, seit kurzem ist er Assistenz-Coach in Düsseldorf. Ein Gespräch über die Nationalmannschaft des Europameisters von 2004, den Fußball als Hoffnung in Zeiten der Krise und Disziplin, die Otto Rehhagel gelehrt hat.
Joti Stamatopoulos (41) hat einst als „Hausmeister Joti“ in der DSF-Serie „Fujuma“ jungen Spielern Fußballtricks erklärt. 2006 hat er als Ewald Lienens Assistent bei Panionios Athen angefangen, dort wurde er später auch Cheftrainer. In der zurückliegenden Saison war er Co-Trainer bei PAOK Saloniki – vor Kurzem hat er als Assistent von Oliver Reck bei Fortuna Düsseldorf unterschrieben.
Joti Stamatopoulos, Sie sind erst seit zwei Wochen Co-Trainer von Oliver Reck bei Fortuna Düsseldorf – mussten Sie sich am Mittwoch trotzdem erstmals freinehmen?
Wegen des Griechenland-Spiels am Dienstagabend, meinen Sie? (lacht)
Genau. In Athen und Saloniki haben Zehntausende den Sieg gegen die Elfenbeinküste und den Achtelfinal-Einzug bis in die Nacht gefeiert.
Gearbeitet habe ich natürlich, aber keine Frage: Ich habe mich unglaublich über den Sieg gefreut. Es war ein toller und verdienter Erfolg. Die griechische Mannschaft hat sich nach dem 0:3 gegen Kolumbien sehr gesteigert. Im zweiten Spiel hat man beim 0:0 gegen Japan trotz einstündiger Unterzahl gesehen, dass die Stabilität im Defensivbereich zurück ist und das dann, wenn es darauf ankommt, diese Mannschaft zusammenhält und jeder für jeden kämpft. Ich habe telefonisch mit einigen Spielern Kontakt, die in Brasilien dabei sind – sie alle haben gesagt: Dieses Unentschieden war wichtig für die Moral.
Nach den Spielen gegen Kolumbien und Japan wurde das Team in Deutschland noch als die „Null-Tore-Griechen“ verspottet – tut das weh?
So sind die Menschen im Fußball eben. Sie sind schnell enttäuscht, spöttisch und hämisch, da unterscheiden sich die Völker kaum. Man sieht doch, dass hier mit der eigenen Nationalelf auch sehr kritisch umgegangen wird. Die Menschen vergessen schnell, was die Spieler geleistet haben – man muss doch nur darauf achten, wie zuletzt öffentlich mit Lahm und Khedira umgegangen wurde. Wenn das Volk schon bei der eigenen Mannschaft so kritisch und teilweise hämisch ist, dann bei anderen Teams noch viel mehr, zumal bei Außenseitern wie Griechenland.
Gegen die Elfenbeinküste hat es auf einmal funktioniert mit dem Spiel nach vorn. Ist der griechische Fußball gar nicht so unzeitgemäß, wie wir alle immer dachten?
Wenn das so wäre, wären die griechischen Spieler nicht bei ausländischen Clubs so beliebt. Viele aus dem aktuellen Kader wie Karagounis, Karnezis, Kone, Fetfatzidis, Torosidis und Mitroglou spielen in Spanien, Italien oder England. Dazu Dortmunds Sokratis, Schalkes Papadopoulos und Samaras, der bei Celtic Glasgow ein Führungsspieler ist – um nur einige zu nennen. Bis auf Karagounis sind das Spieler, die noch viele Jahre vor sich haben. Es klingt wegen Karagounis und Katsouranis immer nach einer alten Mannschaft – aber das sind eben auch die einzigen Europameister von 2004, die noch dabei sind. Es besteht kein Grund zur Sorge um den Nachwuchs, da müssen sich die Griechen nicht verstecken.
In der griechischen Liga gibt es aber kaum noch Geld. Leidet darunter nicht auch die Nachwuchsförderung?
Nicht unbedingt. Unabhängig von der wirtschaftlichen Lage ist es für viele junge Griechen ein Ansporn, den aktuellen Nationalspielern nachzueifern und es schnell ins Ausland zu schaffen. Was die Ausbildung angeht, ist der griechische Fußball auf einem guten Weg. Große Vereinen wie PAOK, Panathinaikos und Olympiakos bilden auf einem Top-Niveau aus. Was natürlich auch daran liegt, dass viele der 2004er-Europameister im Ausland gespielt haben und jetzt als Funktionäre bei den Vereinen aktiv sind. Die haben viel Erfahrung mitgebracht. Ich kenne viele Spieler Anfang 20, die eine große Zukunft vor sich haben.
Sie haben einige der aktuellen WM-Teilnehmer wie Salpingidis, Maniatis und Katsouranis trainiert, kennen die Nationalmannschaft bestens. Auf wen kommt es gegen die lauf‑, konter- und vor allem formstarken Costa Ricaner an?
Es kommt nicht auf einzelne Spieler an. Die Stärke liegt nach wie vor in der Kompaktheit und im Zusammenhalt. Darin, dass die Mannschaft kaum Torchancen zulässt und ihre in der Regel wenigen, eigenen Gelegenheiten nutzt. Es klingt wie eine Floskel, aber: Das klappt nur als Einheit.
Herausgeragt hat gegen die Elfenbeinküste aber Giorgos Karagounis. Der schleppt sich mit seinen 37 Jahren zwar über den Rasen, aber es scheint, als gäbe es nur dann Ruhe und Ordnung, wenn er auf dem Platz steht.
Keine Frage: Karagounis ist ein wahrer Kapitän. Der Mann war vor zehn Jahren Europameister und schon damals ein wichtiger Spieler. Er hat für Inter Mailand und Benfica gespielt und wird von allen anerkannt – das sieht man bei Standardsituationen: Er kann einen Freistoß nach dem anderen in die Mauer schießen – es wird nicht darüber diskutiert, wer den nächsten schießt. Das macht Karagounis. Er ist Rekord-Nationalspieler und Chef. Sein Kampfgeist, sein Passspiel, seine Ruhe – er spielt jetzt im Alter zwar weniger spektakulär, aber er ist sehr wichtig für diese Mannschaft, weil er voranmarschiert. Auch außerhalb des Platzes. Viele der jungen Spieler ziehen sich an ihm hoch. Karagounis ist ein Phänomen.
Gegen die Elfenbeinküste hat er erstmals von Anfang an gespielt und es wirkte, als seien mit ihm die Krieger-Mentalität und der absolute Wille der Europameister von 2004 zurückgekehrt.
So ist es. Die anderen nehmen ihm alles ab, was er sagt und was er macht. Es gab vor dem Turnier kritische Stimmen in der Presse, ob er nicht zu alt sei für dieses Turnier. Aber man sieht: Es war ein großartiger Schachzug von Fernando Santos, Karagounis zu nominieren.
Samaras, der Siegtorschütze, hat nach dem Spiel gegen die Ivorer gesagt, das Team sei eine Einheit wie zuletzt 2004. Ein paar Tage vorher aber hatten sich Tzavellas von PAOK und Maniatis von Olympiakos nach einer Trainingseinheit beinahe noch geprügelt.
Natürlich wird da auch Rauch zum Feuer gemacht. Bei den letzten Turnieren gab es in jedem Quartier mal Reibereien, das gehört dazu. Das kann auch ein gutes Zeichen sein, denn gerade durch die Rivalität der großen Vereine sind aus den Spielen gegeneinander noch Dinge abgespeichert, die einfach mal ausgesprochen werden müssen. PAOK und Olympiakos haben sich vor wenigen Wochen erst ein Pokal-Halbfinale für die Ewigkeit geliefert, ich war als PAOKs Co-Trainer dabei, das war ein sehr emotionales Spiel mit zwei Platzverweisen. Natürlich prägt diese Atmosphäre die Spieler auch und im Endeffekt ist es gut, dass die beiden sich ausgesprochen haben – jetzt ist es vom Tisch.
Solche Vorfälle hat es während des vergangenen Jahrzehnts aber immer weniger gegeben. Ist das ein Verdienst von Otto Rehhagel, der den griechischen Spielern Disziplin beigebracht hat?
Natürlich! Neben dem EM-Titel 2004 ist das sein größter Verdienst. Er hat die Spieler dazu gebracht, die Nationalmannschaft wieder als Ehre zu sehen und gern dorthin zu reisen. Ich kann mich an Jahre davor erinnern, da sind Spieler von PAOK, Panathinaikos, Olympiakos oder AEK Athen gar nicht erst hingefahren, weil die Spieler der anderen Vereine da waren. Es war Rehhagels größtes Kunststück, das zu ändern, die Spieler zu vereinen und dafür zu sorgen, dass jeder für jeden alles gibt. Das kann man Rehhagel gar nicht hoch genug anrechnen.
Spürt man in Griechenland noch viel vom 2004er-Triumph?
Absolut, vor jedem Turnier werden die alten Bilder und Dokumentationen über die EM gezeigt. Die damaligen Helden tingeln durch Talkshows und geben ein Interview nach dem anderen. Vor jedem Turnier versucht die Presse, der Mannschaft und der Öffentlichkeit den Spirit von damals mitzugeben. Vor ein paar Tagen erst hat sich Theodoros Zagorakis geäußert, der Kapitän und „Spieler des Turniers“ von 2004. Die Mannschaft sei noch lange nicht am Ende, hat er nach dem Sieg gegen die Elfenbeinküste gesagt. Das hören die Menschen gern und es wird immer so sein, dass dieses Turnier und seine Helden als Motivation dienen.
Ist es tatsächlich auch so, wie es einige Spieler nach dem Sieg gesagt haben: Gibt ein Erlebnis wie das Erreichen des Achtelfinales dem noch immer sehr unter der wirtschaftlichen Krise leidenden Land Hoffnung?
Definitiv. Der Großteil der Menschen hat schlimme finanzielle Probleme und wegen Steuern und Sparmaßnahmen große Einbußen, was Gehälter und Renten angeht. Es gibt sehr viele Menschen, die sich leider deshalb das Leben nehmen – das kommt nicht so sehr an die Öffentlichkeit. Immerhin habe ich im letzten halben Jahr gemerkt, dass es sich einigermaßen stabilisiert. Die Menschen lernen, damit irgendwie zu leben und den Kampfgeist zurückzugewinnen. Aber die vergangenen Jahre waren sehr schwierig – da sind die Griechen schon dankbar für Fußballspieler und andere große Sportler. Daran ziehen sie sich hoch – und die Nationalmannschaft ist natürlich des Griechen liebstes Kind.
Jetzt sind Sie nach acht Jahren zurück in Deutschland – waren die Arbeitsbedingungen auch ausschlaggebend für die Rückkehr?
Im Profifußball sind die Arbeitsbedingungen gut, gerade bei einem Top-Club wie PAOK. Das ist nahezu identisch mit deutschen Vereinen. Es war einfach nur eine glückliche Fügung: Der Vertrag bei PAOK lief aus und zeitgleich kam der Anruf aus Düsseldorf von Oliver Reck, den ich schon lange kenne. Ich fühle mich bei der Fortuna schon jetzt sehr wohl und bin mir sicher, wir können dort eine Menge erreichen. Insofern bin ich dankbar und glücklich, natürlich auch, weil ich wieder nah bei meiner Frau und meinem 15 Monate alten Sohn sein kann, die immer in Köln gelebt haben. Dennoch: Es war keine Frage der Arbeitsbedingungen. Die waren in Saloniki auch grandios.