Die WM in Katar sorgt weiterhin für Diskussionen. Das Fan-Bündnis „Unsere Kurve“ fordert Verbesserungen in Transparenz und Nachhaltigkeit. Wie sich die Fans das vorstellen, erklärt Sprecherin Helen Breit.
In 11FREUNDE #234 erzählen wir ausführlich, wie sich Katar den internationalen Profifußball im letzten Jahrzehnt untertan machte. Wie sich der Wüstenstaat eine WM kaufte und Wanderarbeiter dafür teuer bezahlten. Das Heft ist jetzt am Kiosk und hier bei uns im Shop erhältlich.
Helen Breit, der norwegische Verband debattiert bereits über einen Boykott der WM in Katar. Vom DFB gibt es keine klaren Statements, außer sie werden mit Farbe auf Trikots gepinselt. Warum tut man sich in der DFB-Zentrale so schwer?
Das müssten Sie den DFB fragen und nicht eine Fan-Organisation. (Lacht.) Uns beschäftigen viele Fragen, die von Verbandsseite unbeantwortet sind: Wie positioniert ihr euch? Was ist eure Haltung? Wie könnt ihr euch auch über eine WM hinaus dafür einsetzen, dass Menschenrechte in Katar geachtet werden? Und vor allem: Warum haltet ihr euch so zurück? Das sind ja die Fragen, die in Deutschland öffentlich noch unbeantwortet sind.
Was würden Sie sich vom Verband wünschen?
Wir fordern ein deutliches Statement, damit wir wissen woran wir sind. Auch DFB-Vertreter*innen waren am Vergabeprozess der WM beteiligt, die Korrputionsvorwürfe zur Vergabe sind laut, sie müssen umfassend aufgeklärt werden. Dies gilt genau so für die Korrputionsvorwürfe bezüglich der Vergabe der WM 2006 nach Deutschland. Auch dass der DFB in die Bewerbung für die EM 2024 Menschenrechte mitaufgenommen und damit in den Vordergrund gerückt hat, steht aus unserer Sicht im Widerspruch zu einer WM-Teilnahme in Katar. Es ist für uns unverständlich, warum der DFB weiterhin eisern schweigt.
Lässt sich die WM in Katar überhaupt noch verhindern?
So realitätsfern sind wir nicht, dass wir glauben diese WM tatsächlich noch verhindern zu können. Ich gehe davon aus, dass das Turnier stattfinden wird. Wir sollten lieber darüber sprechen, ob eine Teilnahme und wenn ja, unter welchen Bedingungen sie möglich ist und wie die FIFA und die Verbände diese Situation ausbaden wollen.
„Die Situation in Katar muss langfristig beobachtet werden“
Wie stellen Sie sich das vor?
Wir befürchten, dass niemand mehr ein Auge auf die Situation in Katar hat, wenn die WM vorbei ist. Es braucht aber langfristige und nachhaltige Konzepte zur Verbesserung der Lebenssituation der Arbeitsmigrant*innen und benachteiligter Gruppen vor Ort. Uns geht es darum, für die Menschen vor Ort das Beste aus der schlechten Situation herauszuholen. Wir fordern daher auch den DFB auf, die Situation im Auge zu behalten. Wir fänden es zum Beispiel mehr als unmoralisch, wenn der DFB mit diesem Turnier unter schlechtesten Bedingungen noch Gewinn verbuchen würde. Unser Vorschlag ist es daher, Gewinne des Verbandes und Prämienzahlungen für die Mannschaft für fünf Jahre einzufrieren und das Geld an Menschenrechtsorganisationen zu spenden, sollten keine nachweislichen Verbesserungen eintreten.
Katars Democracy Index (ein Index, der u.a. Bürgerrechte, politische Teilhabe und die politische Kultur bewertet, d. Red.) steigt seit zehn Jahren kontinuierlich. Ist die WM nicht auch eine Chance, diese Reformen voranzutreiben?
Wir gehen davon aus, dass bis zur WM versucht wird, vieles auf Hochglanz zu polieren, ein bisschen was für die Menschenrechte getan wird und ein paar mehr Standards eingeführt werden. Möglich ist aber auch, dass vieles davon wieder zurückgefahren wird, wenn die Kameras aus sind, weil der Druck der Öffentlichkeit dann nicht mehr da ist. Genau da wollen wir ansetzen und deutlich machen: Wenn man an diesem Turnier teilnimmt, dann trägt man die Verantwortung, dass die Errungenschaften, wenn es sie gibt, nachhaltig implementiert werden. Diese Parameter muss der DFB gemeinsam mit Menschenrechtsorganisationen festlegen.
Für den DFB ist eine Weltmeisterschaft eine große Einnahmequelle. Lässt sich das überhaupt durchsetzen?
Wirtschaftlich kann man mit dem Geld ja eh noch nicht planen, weil man nicht mit Gewissheit sagen kann, ob man die Qualifikation schaffen wird und wie man beim Turnier abschneidet. Es gibt beim DFB hoffentlich auch einen Finanzplan, der diese Szenarien vorsieht. Wir fänden es unmoralisch, wenn der DFB mit Scheuklappen in die WM geht und damit auch noch Geld einnimmt.
„Was wir nicht wollen, sind Spieler, die Postings absetzen, weil es ihnen ein Berater eingeflüstert hat, um das Image aufzupolieren“
Was wünschen Sie sich von den Hauptakteuren, den Spielern?
Wir möchten, dass Spieler ihre Reichweite nutzen, um über nicht hinzunehmende Zustände zu sprechen. Für uns haben sie eine Verantwortung, sich damit auseinanderzusetzen und sich zu informieren oder von Expert*innen informieren zu lassen. Natürlich von unabhängigen Menschenrechtsorganisationen und nicht dem eigenen Berater oder Sponsor. Wir wollen, dass die Spieler die Öffentlichkeit nutzen, um ihre Meinung in ihrer eigenen Sprache weiterzuverbreiten und glaubhaft zu machen, dass sie sich für Menschenrechte einsetzen. Was wir nicht wollen, sind Spieler, die Postings absetzen, weil es ihnen etwa ein Berater eingeflüstert hat, um das Image aufzupolieren.
Haben Sie Verständnis dafür, dass es Spielern äußerst schwerfallen würde, auf die Weltmeisterschaft zu verzichten?
Es handelt sich hier immer noch um Sportler, die sich bei einer Weltmeisterschaft miteinander messen wollen. Wir sagen aber auch, dass Spieler verantwortlich handeln müssen, und sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sein sollen. Wir alle bewegen uns ja in dieser Ambivalenz. Mit dieser Widersprüchlichkeit, die diese ganze Debatte kennzeichnet, müssen wir uns alle auseinandersetzen. Die Herausforderung ist, sich alles anzuschauen und einen Umgang damit zu finden. Jeder muss abwägen zwischen dem sportlichen Interesse und der Frage, wo diese Weltmeisterschaft stattfindet und ob das Bedingungen sind, die ich allen Menschen wünsche oder eben nicht.
Mit großer Wahrscheinlichkeit wird Katar auch nach der WM weiterhin als Sponsoringpartner bei namhaften europäischen Vereinen vertreten sein. In Belgien haben sie mit der AS Eupen gleich einen ganzen Verein gekauft, um ihre Jugendspieler auszubilden. Müssen Vereine Konsequenzen fürchten, wenn sie sich gegen die WM aussprechen?
Sponsoring ist ja freiwillig und die Vereine werden nicht gezwungen, das Geld anzunehmen. Ich bin der Meinung, dass zum Beispiel der FC Bayern auch Möglichkeiten hat, durch andere Sponsoren dieses Geld zu generieren. Der Verein wird nicht daran zugrunde gehen, wenn sie die Geschäftsbeziehungen zu Katar beenden. Das ist genau der Moment, in dem die Mitglieder, die Fans, die Vereine und die Verantwortlichen konsequent sein sollten und sich ins Leitbild schreiben, dass diese Form des Sponsorings ein absolutes No-Go ist. Sie müssen sich bewusst machen, mit wem sie da Beziehungen pflegen.
Hinweis: Das Interview fand zu einem Zeitpunkt statt, an dem noch kein Positionspapier des Deutschen Fußball-Bunds veröffentlicht war. Mittlerweile gibt es ein Statement zur Menschenrechtslage in Katar seitens des DFB. Die Stellungnahme ist hier nachzulesen. Das angesprochene Menschenrechtskonzept im Bezug auf die EM 2024 gibt es hier.