Rot-Weiss Essen wird auch nächste Saison nicht in der 3. Liga spielen. Eine traurige Nachricht für Fußballromantiker und ein weiterer Beleg für den Fehler in der Liga-Hierarchie: Wer nach der Regionalliga-Reform 2008 aus der Drittklassigkeit abstieg, ist verdammt.
In der 93. Minute beerdigte Sven Kreyer die Aufstiegshoffnung von Rot-Weiss Essen. Per Elfmeter traf der ehemalige Essener, nun in Diensten von Rot-Weiß Oberhausen, zum 1:1‑Ausgleich. Die zweite Mannschaft von Borussia Dortmund auf Tabellenplatz eins der Regionalliga West hat nun neun Punkte Vorsprung – und punktet die Saison über sehr konstant. So erscheint es wenig wahrscheinlich, dass RWE trotz einem Spiel weniger noch vorbeiziehen könnte. Der direkte Aufstiegsplatz in die 3. Liga und somit die Rückkehr in den Profifußball, sie bleiben ein Wunschtraum.
Für Rot-Weiss war es das zweite Spiel in Folge, das in den letzten Minuten aus der Hand gegeben wurde. In der Vorwoche setzte es bei Schlusslicht Rot Weiss Ahlen durch ein Tor in der 91. Minute die dritte Saisonniederlage. Drei Niederlagen in 29 Spielen – in der Regionalliga West reicht das, um im Aufstiegsrennen chancenlos zu sein. Der Fall Rot-Weiss ist dabei symptomatisch für das Schicksal vieler Regionalligisten. Und der Verein selbst seit Neuformierung der Regionalligen stetiges Opfer des undurchlässigen Liga-Systems.
Schon einmal hat RWE die Drittklassigkeit in den letzten Minuten verspielt: Am 31. Mai 2008. Nachdem die Essener in der Vorsaison am letzten Spieltag auf die Abstiegsplätze der zweiten Liga gerutscht waren, widerfuhr ihnen Selbiges eine Liga tiefer. Die bereits als Absteiger feststehenden Lübecker gewannen bei RWE durch einen Treffer in der 88. Minute. RWE stieg ab. Und zwar zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt.
Denn als der DFB 2008 die eingleisige 3. Liga einführte, mussten in der Saison 2007/08 von den 37 Regionalligisten (damals drittklassig) 17 aus der Regionalliga absteigen. Das hatte zur Folge, dass sich viele Vereine, darunter auch RWE, zur Winterpause sowohl im Auf- als auch im Abstiegskampf befanden. Essen starte katastrophal in die Rückrunde, fing sich und rutschte am letzten Spieltag durch besagte Heimniederlage gegen Lübeck doch unter den Strich. Genau zum Zeitpunkt, als dieser Strich zum Grabmal avancierte. Von den 17 damaligen Absteigern kehrten elf bis heute nicht in die Drittklassigkeit zurück.
Dass sich die Essener mit ihrem Schicksal in Gesellschaft namhafter Vereine wie dem 1. FC Magdeburg oder dem VfB Lübeck befanden, dürfte nur wenig Trost gespendet haben. Zwei Vereine, die eine ähnlich schlimme Zeit durchmachten. Magdeburg brauchte sieben Jahre, um aus der Regionalliga aufzusteigen, Lübeck zwölf. Der VfB musste sogar – genau wie Essen – nach Insolvenz eine Saison in der fünften Liga antreten. Von den damaligen Absteigern der Regionalliga Süd kehrte sogar nur ein Verein zurück. Die SV Elversberg schaffte dies 2013 – und stieg direkt wieder ab. Seitdem betreiben die Saarländer jedes Jahr erheblichen Aufwand, um oben mitzuspielen, scheitern aber kontinuierlich.
Die Murmeltier-Schleife ist durch den Aufstiegsmodus zwangsläufiges Verhängnis ambitionierter Viertligisten. Bis 2018 stieg kein Meister direkt auf. Die fünf Regionalliga-Meister und der Zweite der Regionalliga-Südwest spielten untereinander drei Aufsteiger aus. Seit 2018 gibt es einen vierten Aufstiegsplatz. Der Meister der Regionalliga Südwest darf seitdem direkt hoch, seit dieser Saison kommt der Meister der Weststaffel fest dazu. Die anderen drei Regionalligen rotieren mit einem festen Aufstiegsplatz, die beiden übrigen Meister spielen den letzten Aufsteiger aus. Der Modus erschwert die Rückkehr ungemein: Von den 38 Drittliga-Absteigern seit 2009 schafften nur zwei den direkten Wiederaufstieg (VfR Aalen 2010 und Chemnitz 2020), 23 warten bis heute auf die Rückkehr.
Ein Argument zur Einführung der 3. Liga war, die Schere zur zweiten Liga zu schließen. Nimmt man die Ergebnisse der Relegation zwischen den beiden Ligen oder das Abschneiden der jeweiligen Aufsteiger zur Grundlage, ist dieses Vorhaben durchaus gelungen. Auf der anderen Seite ist jedoch die Schere nicht nur aufgegangen, sie ist zerbrochen.
Die Reform im Jahr 2008 machte den Schritt von der Viert- in die Drittklassigkeit zum Flaschenhals, die nochmalige Umstrukturierung 2012 zur fünfgleisigen Regionalliga zum Nadelöhr. Die DFB-Liga-Pyramide ist keine Pyramide, sondern ein Wolkenkratzer auf einem Plateau – und aus Wolkenkratzern zu fallen, kann tödlich enden. Vereine aus Erfurt, Wuppertal oder Offenbach kennen diesen Sturz: Die Hoffnung starb zuletzt.
Die Probleme sind lange bekannt. Lösungen lange diskutiert. Oft führen Gegner einer zwei- oder dreigleisigen Regionalliga die Kosten für die weiten Anreisen als Gegenargument an. Dass ein solches Modell jedoch finanziell machbar wäre, zeigen alleine schon die bundesweiten Ligen von wirtschaftlich schwächeren Sportarten wie zum Beispiel die 2. Basketball-Bundesliga oder der Inline-Skaterhockey-Bundesliga. Tatsächlich fehlt der Wille zur Reform. Abgesehen von der Einführung des vierten Aufstiegsplatzes 2018, hat sich nichts verändert. Und so werden sich auch in Zukunft Vereine finanziell verheben, um den Kraftakt Aufstieg zu riskieren. Sie werden auch zukünftig scheitern. An sich selbst, an Konkurrenten mit ähnlicher Risikobereitschaft oder an zweiten Mannschaften.
Für die Fans von Rot-Weiss Essen bleibt nichts anderes, als auf die nächste Saison zu hoffen. Bis dahin sind die Duelle gegen Münster, Oberhausen und Aachen die Höhepunkte im tristen Regionalliga Alltag, Allesamt Vereine, deren Anhängern ebenfalls nur die Hoffnung bleibt.