Eine neue Super Liga für die besten Teams Europas? Was gerüchteweise an die Öffentlichkeit drang, ist bald schon Realität. 11FREUNDE war bei der Gründung dabei.
Die Funktionäre der nationalen Ligen sind in heller Aufregung: Wie Sky gestern vermeldete, plant ein Konsortium der besten,oder zumindest reichsten europäischen Klubs die Gründung einer Super Liga. „Diese Untergrundprojekte“, zürnte Javier Tebas, der Präsident der spanischen La Liga noch am selben Tag, „sehen nur gut aus, wenn man darüber um fünf Uhr morgens nach einer Nacht in einer Bar nachdenkt.“ Ist das so?
Um diese Frage zu beantworten, folgten 11FREUNDE-Redakteure dem einzigen Hinweis und recherchierten dort, wo sie sich am wohlsten fühlen: In einer Bar, nachts gegen fünf. Um alle Beteiligten, die mutmaßlichen Täter, mal zu fragen: Habt ihr gesoffen? Die Antwort lautet: Nicht mehr als sonst auch. Und wenn, dann nur die Flaschen Crémant, die einer der Anwesenden aus dem VIP-Raum des letzten International Champions Cup mitgehen ließ.
Denn der Fußball, besonders der internationale, darbt. Das müsse man verstehen, heißt es, beim Schluck aus der Champagnerschale. Die Coronakrise, ein Champions-League-Finalturnier ohne Zuschauer, und jetzt meckern auch noch die nationalen Verbände: Den kleinen Vereinen solle in der Not geholfen werden. „Dabei“, ein Mann im grauen Anzug und mit nur zwei Uhren ums Handgelenk nimmt uns beiseite, „gilt doch das alte Not-Prinzip“. Frauen und Kinder zuerst? Nein nein, der Mann im Anzug, ein Vertreter von JPMorgan Chase & Co, lächelt, das habe man seit dem Untergang der Titanic aufgegeben. Rette sich, wer kann!
Man sei froh, sagt der Bankenvertreter, dass seine Institution mit einer kleinen Anschubfinanzierung helfen könne. 6 Milliarden Euro. 6 000 000 000 Euro. Neun Nullen! „Ja, als wir so viele Nullen sahen, haben wir haben kurz überlegt, ob wir Schalke mitspielen lassen.” Das sei dann aber irgendwann vergessen worden, es gab ja noch so viele andere Ideen. Also, der Reihe nach. „Es ist eine Super Liga.” Also wie eine bessere Champions League? „Ja ja, nur das diesmal das Geld an den richtigen Stellen landet!” Das klingt ja fantastisch!
„Haben Sie noch nie von einem Festgeldkonto gehört?!”
Beim Amateursport? Bei der Unterstützung ehrenamtlicher Arbeit? Bei der Subventionierung von Auswärtstick..? „Was? Sind Sie bescheuert? Beziehungsweise: Haben Sie noch nie von einem Festgeldkonto gehört?!” Äh, ja doch, aber dann ist ja alles wie in der Champions League! „Natürlich nicht!” Ach nein?
Nein. Denn die Super Liga verfolge einen ganz anderen Ansatz – den der FIFA. „Unter der Schirmherrschaft der FIFA haben wir völlig neue Möglichkeiten.” Ach ja? „Natürlich. Als offizielle FIFA-Veranstaltung powered by CocaCola trademarked by QatarAirways copyrighted über die aserbaidschanische State Oil Company brauchen wir nicht einmal mehr so tun, als wären uns Werte noch wichtig.” Und das sei sehr interessant, vor allem für Stakeholder, Investorengruppen und Business Angels aus dubiosen Unrechtsstaaten. „Wir als JP Morgan sind sehr froh, dass sich die Vereine für unser Angebot entschieden haben. Das katarische Finanzministerium und Sauron waren harte Verhandlungsgegner.”
Um welche Vereine handelt es sich eigentlich? Gut klar, darüber wurde Stillschweigen vereinbart, müsse man verstehen, aus wirtschaftlichen Interessen. „Wenn die kleineren Vereine schon jetzt wissen, wer bald an den ganz großen Töpfen sitzt, dann müssen die Klubs schon in diesem Sommer eine Fantastilliarde hinlegen, um das mittelmäßige Talent vom Tabellenachten wegzuschnappen, damit es in der zweiten Mannschaft oder bei einem belgischen Leihverein kickt und so zumindest die nationale Konkurrenz schwächt.”
Aber ist das überhaupt noch wichtig, die nationale Konkurrenz zu schwächen, wenn sich sowieso alles in der Super Liga entscheidet? Eine Frage, die an diesem Abend für breite Lacher am Bartresen sorgt. Entschuldigung. „Kerls, wir lassen unsere nationalen Ligen doch nicht sterben!” Gut klar, nach den neuesten TV-Plänen wäre die Super Liga am Freitagabend, am Samstagmorgen um 8 Uhr (für den asiatischen Markt), grundsätzlich aber am Samstagnachmittag ab 13 Uhr, mit einem Topspiel um 18.30 Uhr und einem Supersamstagsspiel um 21.05 Uhr (englische Zeit) dran. Dazu kämen drei Sonntagsspiele, die je im Wechsel von zweieinhalb TV-Sendern übertragen würden, selbstverständlich allesamt Pay-TV und nicht im Gesamtpaket erhältlich, es sei denn, der Fußballfan würde sich für das Super-Liga-TV-Premiumpaket entscheiden, dass auch die Spiele am Montagabend überträgt, sofern keine englische Mannschaft beteiligt ist. Klar sei aber: Eine weitere Spieltagsentzerrung werde es mit der neuen Super Liga nicht geben, logisch.
Und die Bundesliga? Die Premier League? Die Serie A? Gut, das wäre ein kleines Problem. Aber wieso nicht aus Fehlern lernen (verdächtige Blicke über den Kneipentresen hin zu einem sehr reichen Mann aus München, Name d. Red. bekannt)? Am gleichen Tag, so wie bisher die zweiten und dritten Ligen, könnte in der Bundesliga nicht gespielt werden. Schließlich seien die Spieler der Super-Liga-Teams zugleich auch Nationalspieler – eine Super-Liga-Klausel besagt, dass nicht weniger als drei Nationalspieler pro Partie eingewechselt werden dürften (die sogenannte Lautern-Wechselklausel) -, die wiederum in den Qualifikations‑, Nations-League‑, WM- und EM-Spielen sowie dem bald neugeschaffenen FIFA-Nations-Turnier auflaufen müssen.
Der Bankier im grauen Anzug ist mittlerweile hinter die Theke gegangen, um sich den nächsten Schlüpferstürmer selbst zu mixen. Mit einer gekonnten Bewegung presst er eine Limone bis zum letzten Tropfen aus. Und erzählt: „Die Terminierung und Vermarktung der nationalen Ligen hat uns vor Probleme gestellt. Wir mussten uns fragen: Interessiert sich der chinesische Markt überhaupt für Augsburg gegen Mainz?” Die Antwort: Auch egal. Ab jetzt wird jeden Dienstag gegen 11.30 Uhr angepfiffen. Falls da keine Fans kämen, sagt der Mann aus München, seien sie für die Scheißstimmung eben selbst verantwortlich.
Hm, klingt unfair. Und wenn doch mal eine der Super-Liga-Mannschaften absteigen sollte? Nicht mehr auf die Beine kommen würde, trotz einer sicherheitsnetzartigen Relegation irgendwann runter müsste und die am Ende die Rasenheizkosten nicht mehr bezahlen könnte? Was wäre dann? „Junge”, der Mann im Anzug wird ernst, „wir sind hier doch nicht beim Sport, wo jeder gewinnen und verlieren kann, wie er lustig ist.” Nein, nein. Investitionen, da seien sich alle einig, die müssten sich irgendwann auch mal auszahlen. „Wo kommen wir denn dahin, wenn einer 500 Millionen in einen Fußballverein steckt und am Ende immer noch 2. Liga spielt?” Verlierer würde es auf Dauer nicht mehr geben.
Fünf Männer aus England erzählen, wie bei ihnen 2016 Leicester City Meister wurde. „Das muss man sich mal vorstellen: Die hatten sich die Truppe nicht einmal teuer zusammengekauft und wollten am Ende die Trophäe haben!” Erschütternd.
Aber klar: Die nationalen Ligen, der Pokal, auch die Champions League seien weiterhin wichtige Turniere. Anders ließe sich der Gewinn eines Triples am Saisonende ja gar nicht feiern. „Und nicht alle unsere Fans können ständig nach LA oder Saudi-Arabien reisen, um uns spielen zu sehen.” Die Gruppe der Superreichen, das wird in dieser Nacht klar, sie hat ein Herz für die weniger Glücklichen des Lebens. „Wir sind auf dem Boden geblieben”, wird uns versichert, als wir um kurz vor fünf das Etablissement verlassen wollen. Obschon: Es gäbe da ein vielversprechendes Angebot, vom Mars…
Wir entfernen uns von dem Ort, an dem die Idee der Super League vielleicht entstanden ist. Erleichtert, dass sich jemand um den Fortbestand des Fußballs sorgt, laufen wir heim, wo der Pay-TV-Receiver schon auf uns wartet. An einer Straßenecke spricht uns ein Mann an. Er trägt einen verschlissenen Anzug, am Revers sind die Spuren eines heruntergefallenen Lachshäppchens zu sehen. Er habe bis vor kurzem einem großen Fußballverband vorgestanden. Er buchstabiert: U‑E-F‑A. Nie gehört. Dann bittet er uns um etwas Kleingeld. Angewidert laufen wir weiter.