Läppische 16 Jahre und 355 Tage war Nuri Sahin alt, als Dortmunds Trainer Bert van Marwijk ihm Anfang August 2005 offenbarte, dass er im Bundesligaspiel gegen Wolfsburg in der Startelf stehen werde – eine echte Sensation. Selbstredend, dass Sahin zum damals jüngsten Bundesligaspieler der Geschichte avancierte. Die zwei Jahre in der A‑Jugend, die der Teenie eigentlich noch hätte absolvieren können? Geschenkt.
Einmal Frühstarter, immer Frühstarter
Sahin legte in der Folge einen von mehreren Titeln gepflasterten Karriereweg hin, spielte bei Real Madrid und Liverpool, rückte aber nicht in die Klasse der Superstars auf, in der ihn viele Experten nach den Rekorden zum Karriereauftakt schon gesehen hatten. Sei’s drum, eines hat sich Sahin auf jeden Fall bewahrt: das Faible für Frühstarts. So macht er es in Sachen Trainerkarriere gerade ähnlich wie damals. Der gebürtige Lüdenscheider hat beim türkischen Erstligisten Antalyaspor den Routinier Ersun Yanal abgelöst – im Alter von nur 33 Jahren. Dabei zählt Sahin selbst noch zum Profikader, stand in allen bisherigen Saisonspielen auf dem Platz. Spielertrainer also. „Wir vertrauen ihm sehr. Er darf selbst entscheiden, ob er spielt oder nicht“, zitierte „Haber Global“ Antalyaspors Präsidenten Aziz Cetin
Vom großen Vertrauen in die Angestellten ist in der Branche schnell die Rede, in diesem Fall scheint aber mehr als eine Phrase dahinterzustecken: Sahin erhielt einen Vertrag über satte fünf Jahre. Bestenfalls soll der ehemalige türkische Nationalspieler (52 Einsätze) an der Mittelmeerküste also eine neue Ära prägen. Genau das war zwar auch schon die Aufgabe von Vorgänger Yanal, der allerdings nur punktuell liefern konnte. Während Antalyaspor die letzte SüperLig-Saison mit lediglich vier Zählern Vorsprung zur Abstiegszone auf Rang 16 abschloss, erreichten die Rot-Weißen immerhin das Finale des nationalen Pokals, der letztlich an Besiktas ging (0:2). Als Yanal mit seinem jungen Team den Start in die laufende Spielzeit verpatzte, reichte es den Bossen – und Sahins Zeit war gekommen.
Acht Spieltage sind absolviert, ebenso viele Punkte hat Antalyaspor auf dem Konto. Das reicht gerade einmal für Platz 14. Sahins unmittelbare Aufgabe ist damit klar – schnell weg von den Abstiegsplätzen. Dauerhaft dürften aber ambitioniertere Ziele auf der Agenda stehen. Dabei kann Sahin auf eine talentierte Mannschaft bauen, deren Gerüst eine Reihe erfahrener Stützen bildet. Der Spielertrainer selbst ist eine davon, der Italiener Andrea Poli eine andere. Bis zum Sommer gehörte auch Lukas Podolski noch der Riege der Erfahrenen an.
Nuri Sahin (Antalyaspor)
Nuri Sahin absolvierte in dieser Saison alle acht Spiele für Antalyaspor. Jetzt wird er sich das Gekicke primär vom Seitenrand aus anschauen. Sahin beerbte überraschend den entlassenen Trainer Ersun Yanal. Sahin erhielt direkt einen Fünfjahresvertrag als Trainer. Muss er jetzt auch was leisten für.
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Vincent Kompany (RSC Anderlecht)
20019 kehrte Vincent Kompany nach elf Jahren bei Manchester City nach Belgien zurück und wurde beim RSC Anderlecht Spielertrainer. Seit 2020 ist er Cheftrainer in Vollzeit.
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Adolfo Pedernera (CD Los Millonarios/Kolumbien)
„El Maestro“ gehört nicht nur zu den begnadesten argentinischen Kickern aller Zeiten, er war auch Spielertrainer des kolumbianischen Serienmeisters der 50er- und 60er-Jahre. Sein Motto: „Den Gegner nicht demütigen, sobald man fünf Tore geschossen hat.“ Die „Los Millonarios“ brillierten gerne auf Europatouren – bis der bester Spieler, Alfredo di Stefano, von Real Madrid abgekauft wurde.
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Hans Krauß (SpVgg Fürth)
Man muss schon ganz tief in der historischen Schatzkiste wühlen, um einen Spielertrainer mit deutschen Meisterwürden zu finden. Hans Krauß, gerufen „Urbel“, führte seine SpVgg (damals noch ohne Greuther) Fürth zusammen mit seinem Bruder Konrad 1929 als 26-jähriger Spielertrainer zur deutschen Meisterschaft.
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Helmut Schön (Dresden, Zwickau, Berlin)
In Spielertrainerfunktion wurde der Mann mit der Mütze, man lese und staune, mit seinem Heimatverein SG Dresden-Friedrichstadt DDR-Vizemeister. Über den Umweg der saarländischen Fußball-Auswahl folgte Schön 1956 dem Ruf des DFB – und blieb 22 Jahre.
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Jogi Löw (FC Frauenfeld/Schweiz)
Spielertrainererfahrung scheint eine Voraussetzung für den Bundestrainerjob zu sein. In der Schweiz verbrachte Löw seinen Karriereherbst, indem er 1994 das drittklassige FC Frauenfeld übernahm, ehe er ein Jahr später vom Schweizer Coach Rolf Fringer als reiner Co-Trainer nach Stuttgart mitgenommen wurde.
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Kenny Dalglish (FC Liverpool)
105-mal knipste der Schotte für seine Reds, bevor er 1985 zum Spielertrainer befördert wurde und sofort ein Erfolgsgarant blieb. In seinem ersten Jahr holte „King Kenny“ das Double. Bei seinem letzten Auftritt 1990 wechselte er sich unter diebischer Freude im Alter von 39 Jahren selbst ein – und feierte in der Folge die 18. Liverpooler Meisterschaft.
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Graeme Souness (Glasgow Rangers)
Ab 1986 übernahm Souness die damals nur fünfte Kraft im Land, beendete mit der Meisterschaft eine neunjährige Durststrecke und legte das Fundament für die bis zum Zwangsabstieg 2012 währende nationale Dominanz neben Celtic. Nicht selten mit eiserner Härte: in seiner ersten Spielertrainer-Saison kam Grobian Graeme auf sechs Platzverweise.
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Sir Alex Ferguson (FC Falkirk/Schottland)
„Sir Alex“, 1969 noch Stürmer bei den Glasgow Rangers, wurde nach einem verschuldeten Gegentor gegen Lokalrivale Celtic als personifizierter Sündenbock aus dem Kader geschmissen. Daraufhin heuerte er als spielender Manager beim FC Falkirk an – der Startschuss einer Weltkarriere.
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Glenn Hoddle (FC Chelsea)
In den 90-er Jahren wird Chelsea zum Mekka der Spielertrainer. Mit Hoddle (r.) bekleidete ein englisches Idol ab 1993 das Amt. Den Job hat er drei Jahre inne, sein Status als Idol hält nicht viel länger. 1999 erklärte er in einem Interview, dass Behinderte für ihre Sünden aus einem früheren Leben büßen würden und wurde als englischer Nationaltrainer entlassen.
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Ruud Gullit (FC Chelsea)
Auf Hoddle folgte Ruud Gullit, der von 1996 bis 1998 Kopf und Fuß der Blues ist. Er wurde der jüngste Siegertrainer in der langen Geschichte des englischen Pokals. Zuletzt war Gullit 2017 für sieben Spiele Co-Trainer der niederländischen Nationalmannschaft unter Dick Advocaat.
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Gianluca Vialli (FC Chelsea)
Für zwei erfolgreiche Jahre, davon eins als Spielertrainer, steht ab Februar 1998 der italienische Titelsammler an der Seitenlinie. Es sei denn, er stellt sich selbst auf – wie im Finale des vorletzten Europapokals der Pokalsieger, das Chelsea 1999 gewann (1:0 gegen Stuttgart).
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Karl-Heinz Riedle (FC Fulham)
Vor 18 Jahren sprang Karl-Heinz „Air“ Riedle im April 2000 als Spielertrainer für sieben Spiele beim FC Fulham ein und beendete die Saison auf einem versöhnlichen neunten Platz. Für sein letztes Profijahr ordnete sich Kalle wieder im Team unter und erlebte als Edeljoker das Happy End seiner Karriere: Fulham stieg erstmals in die Premier League auf.
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Trevor Francis (Queens Park Rangers)
Francis, übrigens der erste Millionentransfer in der Fußballgeschichte, war bekannt als harter Hund, der dem Sport alles unterordnete. So belegte er 1989 als Spielertrainer bei den Queens Park Rangers einen seiner Spieler mit einer öffentlichen Geldstrafe – weil dieser anstatt einem Ligaspiel der Geburt seines ersten Kindes beiwohnen wollte.
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Romario (Vasco de Gama/Brasilien)
Punkteschnitt als Spielertrainer: 3,0 Punkte
Amtsdauer: Drei Tage
Grund des Rücktritts: Vasco de Gamas Präsident wollte die Aufstellung bestimmen – nicht mit „O Baixinho“.
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Eric Cantona (Frankreich Beachsoccer)
Auch was seine Trainerkarriere angeht, hatte Cantona seinen eigenen Kopf. Ab 1999 trieb er als Spielertrainer und Organisator die Beachsoccer-Sparte maßgeblich voran und wurde sechs Jahre später mit der französischen Nationalmannschaft Weltmeister.
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Ali Daei (Saipa Teheran/Iran)
Der zweifache Länderspiel-Welttorjäger (hier beim „Wimpeltausch“) ist auch Meisterspielertrainer in seiner iranischen Heimat. Bei Saipa Teheran steuerte er 2006/07 zehn Tore zum Titelgewinn bei und schnitt damit deutlich besser ab als sein Vorgänger: Werner Lorant hielt es nur drei Monate im Amt.
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Dorinel Munteanu (u.a. CFR Cluj)
Der Spielmacher, von 1995 bis 2004 in der Bundesliga beim 1. FC Köln und dem VfL Wolfsburg aktiv, absolvierte ab 2005 bei verschiedenen rumänischen Vereinen 48 Spiele, in denen er sich selbst einsetzte. Mit überschaubaren bis nonexistenten Erfolg. Sein letztes Match bestritt er im Alter von 39 Jahren, seit 2008 ist Schluss.
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Vinnie Jones (Queens Park Rangers)
Kniff einst Paul Gascoigne in die Hoden, hält angeblich den Rekord der schnellsten gelben Karte aller Zeiten (3 Sekunden!) und ist Spielertrainerschauspieler. Er war 1998/99 nicht nur in Doppelrolle bei Queens Park Rangers beschäftigt, sondern fing zeitgleich eine Hollywood-Karriere an. Mittlerweile in seiner Filmografie: „Eurotrip“ (als Hooligan-Boss) oder „X‑Men 3“.
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Ryan Giggs (Manchester United)
Nach der Ferguson-Ära wurde der sympathische Waliser 2013 Manchester Uniteds spielender Co-Trainer und später in der Saison sogar interimsmäßiger Chef, nachdem David Moyes geschasst worden war. Im letzten Saisonspiel wechselte er sich in der 70. Minute selbst ein, bereitete das finale Tor vor und verkündete danach sein Karriereende.
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Edgar Davids (FC Barnet/England)
So cool seine Schutzbrille auch war, sein Job als Spielertrainer war’s nicht so wirklich. Mit 39 Jahren übernahm Davids 2012 den englischen Viertligisten FC Barnet, gab sich zeitweise die Rückennummer „1“ und flog in seiner letzten Saison in acht Spielen dreimal vom Platz. Cool.
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„Klopp hat in meinem Leben einen anderen Stellenwert“
Sahin schwärmte schon bei seinem Wechsel in die Türkei von der Kaderstruktur beim neuen Verein. „Das Projekt von Antalyaspor hat mich überzeugt. Vor allem das Investment des Klubs in junge Spieler und die Rolle, die ich hier einnehmen soll“, sagte der ehemalige Bremer der türkischen Nachrichtenagentur „DHA“. Bei Werder reifte damals übrigens auch die Idee von einer Trainerkarriere, Sahin hatte bei U17-Trainer Christian Brand hospitiert. Erste eigene Erfahrungen an der Seitenlinie sammelte Antalyas neuer Coach bei Heimatklub RSV Meinerzhagen, bei dem er sich in verschiedenen Bereichen engagiert. Wenn es das Profileben in Dortmund oder Bremen zuließ, gab Sahin in Meinerzhagen den Co-Trainer. Drei Aufstiege von der Bezirks- in die Oberliga innerhalb von nur vier Jahren kamen dabei rum, immerhin.
Dass auch seine Rolle bei Antalya schon bald die des Trainers umfassen sollte, war zum Zeitpunkt der Ankunft hingegen nicht abzusehen. Zumal Sahin sich im gleichen Interview sehr wohlwollend über Ersun Yanal äußerte, der „die Arbeit sehr wissenschaftlich“ angehe und „einen guten Dialog mit den Spielern“ führe. Ein Vorbild für Sahin – doch längst nicht das größte.
In der Gesprächsreihe „Corendon Sports Talks“ sagte er: „Jeder Trainer hat eine eigene Energie, die er mitbringt. Aber Klopp hat im meinem Leben natürlich einen ganz anderen Stellenwert. Unsere Beziehung war viel mehr als nur eine Trainer-Spieler-Beziehung.“ Unter dem heutigen Liverpool-Chefcoach erlebte Sahin in Dortmund seine beste Zeit. Einflüsse auf die nun gestartete Trainerkarriere erscheinen logisch, womit sich Sahin sicher keinen schlechten Orientierungspunkt gesucht hätte. Nur bis zum ersten Trainertitel wird er sich wohl keine elf Jahre Zeit lassen. Er ist ja lieber früh dran.