Der Coronavirus legt nicht nur den Profibetrieb lahm, sondern auch den Amateurfußball. Unser Autor vermisst seine Mannschaft.
Für einen Nachmittag waren wir Könige in Köpenick. „Auuuuux Champs-Élyseés! Auuuuux Champs-Élyseés!” Wir schulterten unsere Sporttaschen, tranken einen Schluck aus der halbvollen Flasche Berliner Pilsener und gingen den schmalen Gang eines Umkleidetrakts in Richtung Ausgang. Wir hoben unsere Hände und aus der Kabine hörten wir die Stimmen unserer Kollegen, die Joe Dassin imitierten und ein letztes Mal lauter wurden: „Auuuuuuuuux Champs-Élyseés! Ba-dap Ba-da-dap!”
Um das vorab gleich klarzustellen: In diesen Tagen gibt es so viel wichtigeres als Fußball. Und doch, fehlt er mir sehr. Nicht nur wegen des Sports, sondern aufgrund anderer Dinge. Um das zu erklären, muss ich ein wenig ausholen.
Ich bin ein überdurchschnittlich guter Fußballer, im Bundesschnitt gesehen, und damit also auch die Hälfte der Bevölkerung eingenommen, die noch nie und schon gar nicht ambitioniert gegen einen Ball getreten hat. Jeder Fußballtrainer allerdings würde sagen: Motiviert, und ein hoffnungsloser Fall. Was im Umkehrschluss bedeutete, dass ich mit 15 Jahren meinen Verein, den SV Meppen, verließ und zu einem kleineren Verein im Umland ging. Dort lief ich vor ziemlich genau zehn Jahren bei einem Derby auf, wie es in unserem Landkreis jedes zweite Spiel ist, wenn die Vereine zweier beieinander liegender Dörfer aufeinandertreffen. Doch schon in der ersten Halbzeit und im Mittelfeld verfingen sich die Stollen meines Schuhs bei einer Grätsche im Boden. Dabei verdrehte sich mein Knie derart unnatürlich, dass sich der Meniskus mit dem Geräusch von zehn Seiten reißenden Papiers in zwei Teile trennte.
Die Chirurgen im Krankenhaus, allesamt eher Skifahrer als Bolzer, nähten die Teile zusammen und sagten, dass mit dem Fußballspielen solle ich vergessen. Vier Monate später stand ich wieder auf dem Platz, ausnahmsweise kein Derby, und riss mir 26 Minuten später den Meniskus sauber an der Naht erneut auf. Es ließe sich an dieser Stelle exzellent die Geschichte vom verhinderten Talent erzählen. Das wurde an dem einen oder anderen Abend an dem ein oder anderen Tresen auch schon getan. Das ist auch nicht das Problem, sondern: Ich liebe Fußball.
Viele meiner Freunde spielen mittlerweile nicht mehr. Sie reisen zu Fußballspielen, sammeln besuchte Stadien wie früher Bilder fürs Paniniheft, was erstaunlicherweise nicht nur teurer ist, sondern auch noch weniger Frauen beeindruckt. Auch ich begann damit, als ich nach Berlin zog und meine Fußballschuhe beim Umzug vergaß, vielleicht aus Faulheit auch vergessen wollte. Viel Spaß machten mir ausschweifende Stadionbesuche aber nicht, und so begnügte ich mich schnell damit, ein wenig wehzuleiden und bedeutungsschwanger auf mein Knie zu zeigen, wenn jemand fragte, ob ich denn wieder Sport machen wolle. „Jaja, sehr gerne, aber das Knie…”, an dieser Stelle streckte ich das Bein langsam aus, mit etwas Glück knackte es, „… geht einfach nicht.” Ich hatte vergessen, was ich verpasste. Was da draußen auf mich wartete.
Die Folgen waren verheerend: Schmerzen im Rücken deuteten einen Anflug von Bandscheibenvorfällen an, ich notierte im Spiegel so etwas wie ein Bäuchlein, konnte keine fünf Kilometer am Stück laufen. Dabei war ich nicht einmal 30. Dann rettete mich einer, der es selbst vielleicht nicht weiß: Mein Kollege Max, der diesen Abschiedstext auf sein eigenes, verletzungsbedingtes Karriereende schrieb. Es ist ein wunderschöner Text. Er beschreibt, was für einen wahnsinnigen Aufwand wir betreiben, damit wir am Wochenende in Berlin, Brandenburg oder nahe der Dreisam ein Fußballspiel bestreiten, für dessen Ausgang sich vermutlich nicht einmal unsere Familie interessiert, aber doch zumindest unsere Mannschaft. Weshalb genau dieses Spiel von keiner größeren Bedeutung sein kann. Ich empfehle, den Text zu lesen. Er endet so: „Arbeit, Familie, Wochenendhäuschen. Es gibt gute Gründe, sich den Quatsch nicht länger anzutun. Gleichzeitig rufe ich euch an dieser Stelle zu: Spielt, solange euch eure Knochen durch den Landkreis tragen. Ihr werdet es früh genug vermissen.”