U21-Coach Stefan Kuntz reist mit seinem Team als Titelverteidiger zur EM nach Italien. Rund läuft es beim DFB-Nachwuchs derzeit nicht: Es mangelt an Top-Talenten, Spieler bekommen zu wenig Einsatzzeiten in den Klubs und im Angriff fehlt der Knipser.
Aber letztlich werden Sie als Coach an Erfolgen gemessen. Zehrt es nicht an den Nerven, wenn Sie auf Ihre besten Spieler verzichten müssen: Leroy Sané, Kai Havertz, Julian Brandt, Timo Werner und Thilo Kehrer haben Sie bereits an Jogi Löw verloren.
Mein Job ist es, Spieler so zu entwickeln, dass wir sie an die A‑Nationalelf weiterreichen können. Deshalb käme ich nie auf die Idee, egoistisch zu denken: Ich will um jeden Preis Europameister werden, also brauche ich die besten Spieler, auch wenn einige bei Jogi Löw schon viel besser aufgehoben sind.
Sie sagen, die Zusammenarbeit mit den Erstligisten sei sehr gut. Aber es muss Sie doch nerven, wenn etwa beim BVB ausländische Jungtalente wie Christian Pulisic, Jaden Sancho oder Abdou Diallo Stammspieler sind und Levin Öztunali oder Mahmoud Dahoud auf der Bank sitzen.
Das ändert nichts daran, dass die Zusammenarbeit gut ist. Mich rufen regelmäßig Bundesligatrainer an, geben mir Hinweise zur aktuellen Form und fragen, ob ich mit ihren Jungs an bestimmten Schwächen feilen kann.
Und über Einsatzzeiten reden Sie nicht?
Nochmal: Wer spielt, entscheiden die Vereine. Wenn mich aber ein junger Spieler fragt, wohin er wechseln soll, sage ich: „Dahin, wo du am meisten spielst.“ Denn Einsatzzeiten sind in diesem Alter viel wichtiger als Geld. Bestes Beispiel: Flo Neuhaus. Der ist ein Jahr zurück in die zweite Liga gegangen, hat viele Spiele für Fortuna Düsseldorf gemacht und wurde nun auf Anhieb Stammspieler in Mönchengladbach.
Aber Neuhaus ist eher die Ausnahme als die Regel.
Es gibt auch viel Anlass zur Hoffnung. Schauen Sie wie Luca Waldschmidt in Freiburg zur Geltung kommt. Oder Marco Richter! Ihn hatten wir vor einem Jahr noch gar nicht so auf der Rechnung – und was für eine Entwicklung hat der in Augsburg gemacht. Es gibt nicht nur Typen wie Kai Havertz, der mit seinem Talent mal eben die U21 überspringt, sondern auch Spätentwickler.
Gibt es Klubs, die der Entwicklung junger Spieler besonders entgegenkommen? Luca Waldschmidt macht in Freiburg eine bessere Figur als beim HSV.
Generell lässt sich sagen, dass Vereine, in denen großer Druck herrscht, nicht gerade ideal für die Entwicklung junger Spieler sind. Wenn die Philosophie eines Klubs darauf ausgerichtet ist, ein Talent so intensiv zu fördern, dass es nach und nach sein volles Leistungsvermögen erreicht, ist es natürlich von Vorteil.
Die A‑Nationalelf scheiterte bei der WM 2018 in der Vorrunde, die U19 verpasste das EM-Ticket und die U17 hat sich nur mit Müh und Not für die EM qualifiziert. Warum ist der deutsche Fußball international nicht mehr erste Wahl?
Es kann schon sein, dass wir durch die großen Erfolge der A- und U‑Nationalmannschaften zwischenzeitlich die Reformen ein bisschen aus den Augen verloren haben.