U21-Coach Stefan Kuntz reist mit seinem Team als Titelverteidiger zur EM nach Italien. Rund läuft es beim DFB-Nachwuchs derzeit nicht: Es mangelt an Top-Talenten, Spieler bekommen zu wenig Einsatzzeiten in den Klubs und im Angriff fehlt der Knipser.
Stefan Kuntz, Deutschland fährt als Europameister zur U21-EM nach Italien. Wie groß sind die Chancen auf die Titelverteidigung?
Bei Juniorenteams von einer Titelverteidigung zu sprechen, finde ich schwierig, denn der Kader unterscheidet sich zu 80 Prozent von dem, der vor zwei Jahren den Titel holte.
Aber Sie können doch absehen, wie stark Ihr Team ist.
Wir sind auf einem guten Weg, aber eine belastbare Prognose kann ich erst abgeben, wenn ich weiß, welche A‑Nationalspieler bei uns und unseren Gegnern im Kader stehen. Deutschland trifft in der Vorrunde auf Serbien, Österreich und Dänemark. Ich gehe davon aus, dass die Serben mit Luka Jovic und Marko Grujic kommen, auch wenn die längst zum Stammpersonal der A‑Elf gehören. Bei uns ist das anders.
Das heißt?
Wenn einer wie Kai Havertz die Fähigkeiten mitbringt, geben wir ihn direkt zur A‑Mannschaft weiter. Im Ausland ist das anders: In Spanien beispielsweise sind die jungen Talente verpflichtet, in der U21 zu spielen.
Konsequenz ist, dass zum Kern Ihrer Mannschaft aktuell Profis wie Luca Waldschmidt, Mahmoud Dahoud, Levin Öztunali oder Nadiem Amiri gehören. Gute Spieler, die bei Ihren Klubs aber keine Einsatzgarantie haben.
Unser Kader ist in der Regel dreigeteilt: Erstens: Profis, die regelmäßig Einsatzzeiten in ihren Klubs bekommen. Zweitens: Diejenigen, die mal drin und mal draußen bleiben. Drittens: Spieler, die eher wenig eingesetzt werden.
Aber es wäre für Sie schon von Vorteil, wenn Ihre Akteure alle bei den Klubs zum Einsatz kämen, oder?
Manche Dinge können wir nicht ändern. Das müssen die Verantwortlichen im Verein entscheiden. Generell arbeiten wir mit den Klubs sehr gut zusammen. Die sind froh, wenn ihre Profis bei uns auf hohem Niveau Spielzeiten bekommen. Das Paradebeispiel ist Alexander Nübel, der bei Schalke im vergangenen Jahr noch hinten dran war, bei uns aber regelmäßig auflief, und nun im Klub zur Nummer eins aufgerückt ist.
Und damit geben Sie sich zufrieden?
Ich habe meinen Jungs vor den Freundschaftsspielen gegen England und Frankreich gesagt: „Stellt durch euer Auftreten die Frage, warum ihr nicht mehr Einsatzzeiten in euren Klubs bekommt.“ Denn diese Teams laufen mit einer Vielzahl von Talenten auf, die auch in der Bundesliga regelmäßig spielen. Und das haben meine Jungs gemacht.
Ihre Mannschaft besiegte England mit 2:1 und spielte gegen Frankreich 2:2 unentschieden.
So gesehen sind U21-Spiele auch eine sehr gute Motivation.
Inwieweit können Sie die Spieler bei Lehrgängen noch weiterentwickeln? Die Zeit ist doch viel zu kurz.
Das sehe ich anders. Wir geben den Jungs ja nicht nur Spielzeiten auf Top-Niveau, sondern arbeiten auch im Individualtrainingsbereich. Bei uns können und sollen sie Fehler machen. Und wenn ein Fußballer in diesem Bewusstsein trainiert, fällt es ihm leichter sich auszuprobieren, Erfahrungen zu sammeln und Selbstbewusstsein zu entwickeln.