Fabian Wohlgemuth fängt mit Holstein Kiel mal wieder von vorne an. Hier spricht er über die Suche nach dem perfekten Zweitligaspieler, Neu-Coach Andre Schubert und sagt, was in den Jugendleistungszentren falsch läuft.
Fabian Wohlgemuth, Sie kamen vor einem Jahr gemeinsam mit Tim Walter zu Holstein Kiel. Wie war die Zusammenarbeit mit ihm?
Das letzte Jahr war sehr intensiv, sehr speziell. Tim Walter und ich kamen recht spät dazu. Holstein steckte noch die verlorene Relegation in den Knochen. Knapp vier Wochen waren es bis zum Trainingsstart und unser Kader umfasste ganze zwölf Spieler. Für uns, die wir beide selbst gerade den Schritt aus dem Nachwuchsleistungszentren gemacht hatten, war dies eine mittlere Feuertaufe. Wir kannten die Abläufe, hatten aber den relevanten Spielermarkt in seiner Aktualität nicht durchdrungen. Da war die Konkurrenz schon erheblich weiter. Aus Mangel an Zeit, waren wir darauf angewiesen, die Lösungen für unsere Lücken im Kader mit viel Fantasie zu schließen.
Können Sie das an einem Beispiel festmachen?
An unseren Stürmern: Mit Marvin Ducksch und Dominick Drexler hatten wir 40 Tore an die Konkurrenz verloren. Wir brauchten mindestens zwei Spieler für das Sturmzentrum. Verlässliche Torschützen waren im Juni natürlich längst vergriffen – oder unbezahlbar. Tim Walter und ich kannten Janni Serra aus der Jugend. Beim VfL Wolfsburg wollten wir ihn seinerzeit für die U17 verpflichten, als er noch Innenverteidiger spielte. Er entschied sich damals für Borussia Dortmund – und wurde dort zum Stürmer umfunktioniert. Wir wussten, dass er zuletzt weniger Spielpraxis hatte, aber wir wollten unbedingt einen defensiv arbeitenden Stürmer haben. Also waren wir uns einig.
Und der zweite Stürmer?
Dafür schauten wir in die 3. Liga, gingen die Kandidatenliste durch. Auch dort waren die meisten Stürmer nicht mehr auf dem Markt. Benjamin Girth schon. Ein Strafraumstürmer, der mit einem Kontakt das Tor macht, aus dem Bauch heraus entscheidet – den brauchten wir. Nach 20 Jahren im deutschen Vereinsfußball ist es zwangsläufig so, dass sich die Wege mehrfach kreuzen. Girth war uns damals beiden schon als Juniorenspieler in Magdeburg bekannt.
Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb, dass sich Kiel am ungünstigsten Platz der Nahrungskette befände. Stimmt das?
Ich habe das nicht gelesen und wäre gespannt zu erfahren, was uns dafür aus Sicht der „Süddeutschen Zeitung“ so qualifiziert. Unsere Pufferzone für Fehlentscheidungen ist sicher nicht besonders komfortabel. Wir müssen genau hinschauen und können rein wirtschaftlich betrachtet auch nicht mit dem ganz dicken Pinsel malen. Deshalb gehören auch Leihspieler aus den Kadern der Erstligisten zu unserer Zielgruppe. Dabei existiert die große Chance, für einen abgesteckten Zeitraum erstklassigen Fußball noch für zweitklassiges Geld zu bekommen. Da haben wir ein gutes Gespür bewiesen. Ich sehe uns in diesem Sinne nicht benachteiligt.
Träumen Sie nicht davon, auch mal von Nachhaltigkeit sprechen zu können?
Die 2. Bundesliga ist eine Sprungbrettliga. Wer dort auffällt, wird nicht dauerhaft in Kiel zu halten sein. Dennoch geht es für uns darum, schrittweise zu einer festen Größe im deutschen Profi-Fußball zu werden. Das wird nicht ohne Kompromisse möglich sein. Dennoch, nichts ist notgedrungen; alles, was bei uns geschieht, ist Teil unserer Strategie. Dazu gehören auch weiterhin ganz grundsätzliche Themen.
Welche?
Wir haben mit rund 4 Millionen Euro den höchsten Gewinn aller Zweitligisten erzielt. Doch unsere Mannschaft trainiert auf denselben Plätzen, die vor 35 Jahren angelegt wurden. Keine Drainage, kein gesäter Rasen. Also fließt nicht einmal die Hälfte unserer Transfererlöse in den Neuaufbau der Mannschaft zurück. Stattdessen: Zwei neue Rasenplätze mit Heizung und Flutlicht. Und wir haben eine vierte Tribüne gebaut.
Dass Leon Goretzka ein fantastischer Fußballer ist, sieht jeder. Aber wie findet man eigentlich einen guten Zweitligaspieler für Holstein Kiel?
Wie gesagt, wir sind gezwungen, genau hinzuschauen, prüfen bei einem Kandidaten – soweit das möglich ist – jedes Detail. Dabei geht es eben nicht nur um das aktuelle Leistungsbild, sondern auch und gerade um das, was wir einem Akteur aufgrund seines Potenzials und mit Blick auf die Gemengelage in Kiel zutrauen. Während bei jungen Spielern immer Ausschläge nach oben und unten zu sehen sind, bringt ein gestandener Profi in aller Regel ein verlässliches Mindestmaß an Leistung. Aber im Normalfall kommen exakt diese Spieler eben nicht nach Kiel. Sie landen bei den Großen: Stuttgart, HSV, Hannover 96, Nürnberg.
Warum?
Wir bewegen uns hier in einem harten Wettbewerb um Gehälter und Prämien, den wir in der Ligaspitze ökonomisch nicht bedienen können. Deshalb müssen wir alternative Wege finden. Wir müssen zuschlagen, wenn Entwicklungen noch in ihrem Anfangsstadium sind, unsere Erfahrungen und Intuition mit einbringen. Und natürlich versuchen wir, unsere Personalentscheidungen auf ein breites Fundament zu stellen und beteiligen an diesem Prozess sämtliche Kompetenzen innerhalb unseres Vereins.
Wie schätzen Sie die Leistungsdichte in der Liga ein?
Als sehr hoch. Das macht es mittlerweile noch schwieriger, die richtigen Spieler zu filtern. Wenn man jedoch fündig geworden ist, gestaltet sich der nächste Schritt – hin auf ein höheres Leistungsniveau – einfacher. Das ist zum Beispiel beim SC Paderborn vortrefflich gelungen: Kai Pröger startete noch für Rot Weiss Essen in die Spielzeit, Sebastian Vasiliadis kam vom VfR Aalen. Beide wurden dennoch geholt und spielen jetzt in der 1. Bundesliga – eine echte Meisterleistung.
Also geht auch Ihr Blick in die unteren Ligen?
Es wird zum Knie-Schuss, einen gestandenen Zweitligaprofi mit großen Anstrengungen zu uns zu holen, der am Ende nur noch seine Karriere verwalten möchte. Die 3. Liga hat den höchsten Altersschnitt, dort sind viele gute Spieler aktiv, die aber den Sprung nach ganz oben nicht gepackt haben. Stattdessen suchen wir auch dort allein Spieler, die hoch motiviert, hungrig und gierig sind, Erfolg zu haben. Viele Zweitligisten schauen sich jetzt öfter in den Regionalligen um und holen dort junge, ambitionierte Spieler. Alle hoffen, das große Los zu ziehen.
Und andersherum?
…ist die Schere zwischen 1. und 2. Bundesliga immer weiter auseinandergegangen. Nur um mal eine Vorstellung zu erhalten: Wir haben vor nicht allzu langer Zeit Gespräche mit einem Reservisten eines Erstligisten geführt. Der hatte im vergangenen Jahr nur ein einziges Bundesligaspiel gemacht. Ein Wechsel wäre also sinnvoll. Bei uns allerdings hätte er nur ein Fünftel seines aktuellen Gehalts verdient.
Der Spieler könnte bei Ihnen zumindest spielen.
Für ein Fünftel seines bisherigen Gehalts! So sehr ihn eine Entscheidung für uns sportlich adeln würde – in wirtschaftlicher Hinsicht müsste man das wohl eher als verrückt bezeichnen. Das sind doch – auf einem hohen Niveau natürlich – existenzielle Fragen, denen sich ein Fußballer in einem solchen Moment stellen muss. In solchen Fällen brechen uns einfach die Argumente weg.
Unter Ihrer Regie sind beim VfL Wolfsburg Spieler wie Julian Brandt oder Maximilian Arnold zu Topprofis gereift. Sind Sie auf solche Entwicklungen besonders stolz?
Ich empfinde keinen Stolz. Ich freue mich natürlich darüber, dass sich junge Menschen entwickeln. Aber ich glaube, stolz können andere wie die Trainer oder die Pädagogen sein. Die hatten einen viel intensiveren Kontakt zu den Spielern.
Aber wenn Sie jetzt doch einen Namen nennen müssten?
Dann: Elvis Rexhbecaj.
Warum?
Als ich nach Wolfsburg kam, fing er auch gerade an. Und als ich ging, war er immer noch dort. Elvis hinkte in der biologischen Entwicklung stets hinterher; und das in einer Zeit, als der Fußball gerade sehr viel athletischer wurde. Er hatte auch mal längere Phasen auf der Bank verbracht. Aber Elvis hat uns alle begeistert, weil er nie aufgesteckt hat. Nach fünf Wochen auf der Bank ist Elvis im Training immer noch am meisten gelaufen.
Und dann wurde er belohnt?
Von wegen, Ausbildungs-Fußball tickt anders. Im Mittelpunkt steht immer die Suche nach einem neuen Makel. „Ja, toller Spieler, mit viel Herz dabei. Doch schade, …“
Er war also schon abgeschrieben?
Ja, quasi. Die Kader werden ja vor jeder Saison neu zusammengestellt und da wurde es einige Male ganz schön eng für ihn. Noch bei den A‑Junioren gab es große Zweifel. Aber wir entschlossen uns, es zu probieren. Und mittlerweile spielt er für den VfL regelmäßig in der Bundesliga. Ich hätte ihn gern bei uns in Kiel.
War es förderlich, dass sein Vater währenddessen beim VfL die Spielfelder gemäht hat?
Ich bin überzeugt davon, dass es grundsätzlich förderlich ist, wenn die Eltern in der Nähe leben.
Sie boten dem Vater einen Job an, weil sie Elvis Rexhbecaj unbedingt haben wollten. Fast hätte er es nicht geschafft. Zeigt das nicht auch, welche extremen Mittel im Jugendfußball herrschen?
Solche Fälle gibt es ja überall – und sie gehen eher selten positiv aus. Es gibt genügend Juniorenspieler, um die sich Vereine vor Jahren gerissen haben, deren Väter gar plötzlich von den Klubs ihrer Söhne als Scout beschäftigt wurden. Und jetzt spielen sie nur in der Regionalliga. Trotzdem ist es in der heutigen Zeit so: Wenn von den fünf, sechs Spielern nur einer in die Bundesliga kommt, dann hat sich alles gelohnt. Alles.
Ist das so?
Das ist eine einfache Rechnung. Wenn ein Jugendspieler in der Bundesliga spielt, möglicherweise obendrein in der Nationalmannschaft und dann in der heutigen Zeit zu einem zweistelligen Millionenbetrag den Verein wechselt, dann hat sich alles amortisiert: Die Trainingsplätze, die neuen Umkleiden, die Fahrtkosten. Alles.
Alle anderen bleiben auf der Strecke. Ist das nicht schon bei der Anwerbung scheinheilig?
Nein, denn versprechen kann man den Jungs nichts. Wir haben uns in Wolfsburg stets bestmöglich bemüht, alle unsere Spieler sowohl fußballerisch als auch schulisch weiterzubilden. Dass nur der kleinste Teil aller Ausbildungsspieler später den Durchbruch schafft, ist allen bekannt, schockiert also niemanden. Ich habe ohnehin den Eindruck, dass auch gar nicht mehr alle – selbst bei guten Aussichten – den letzten Ehrgeiz in sich tragen, oben ankommen zu wollen.
Woran könnte das liegen?
An den Komfortzonen, in die diese rundum-versorgten jungen Leute in den Nachwuchsleistungszentren eingebettet werden. Auch an den Veränderungen in unserer Gesellschaft. Der Fußball als Möglichkeit des sozialen Aufstiegs ist zwar nicht entzaubert, hat jedoch für die große Mehrheit an Relevanz eingebüßt. Vielen, fast allen, geht es auch so gut. Wenn man aber sieht, aus welchen Konfliktherden die heutigen Topprofis kommen, dann ist eine Tendenz erkennbar.
Und zwar?
Dies sind dann die wahren Aufsteigergeschichten. Elvis Rexhbecaj ist ein Flüchtlingskind aus dem Kosovo. Hat dort Nächte in Luftschutzbunkern verbringen müssen. Der Vater ist dankbar, zu jeder Tag- und Nachtzeit arbeiten zu dürfen. Diese Belastbarkeit seines Vaters hat Elvis adaptiert und konditioniert. Diese Bereitschaft fehlt mittlerweile vielen.
In Ihrer Zeit als Leiter des Nachwuchszentrums des VfL Wolfsburg haben Sie einst gesagt: „Die Stadt ist für Fußballer ideal, weil Sie keine Ablenkung bietet.“
Wolfsburg ist kein Dorf. Sondern dank VW eine Großstadt, die die europäische Wirtschaft mitbestimmt. Wolfsburg ist ein Umschlagsplatz für Geld und Beziehungen. Der Fußball hat davon eine Menge abbekommen: Die gesamte Infrastruktur – mit den Trainingsplätzen und der Arena – ist perfekt. Deshalb ist Wolfsburg als Aktionsfeld für eine fußballerische Ausbildung ideal.
Abgeschottet von der normalen Welt…
In Wolfsburg kann sich jeder auf Fußball konzentrieren, somit besser werden. Doch was passiert im Kopf? Selbstmotivation und Bodenständigkeit gehen verloren. Viele Talente realisieren nicht mehr, was außerhalb der Trainingszentren passiert. Das ist ein Problem vieler gutsituierter Nachwuchsleistungszentren: Den Jungs wird einfach alles abgenommen. Es ist für alles gesorgt, bloß keine Probleme.
Beliebte Anekdote aus der Redaktion. Als wir Julian Draxler besuchten, fragte er, wo wir in Wolfsburg schon gewesen wären. Ein Kollege sagte: Am Bahnhof. Draxler entgegnete: Dann habt ihr ja alles gesehen.
Der Bahnhof ist beliebt. Wer die Anonymität sucht, fährt mit dem ICE in die Hauptstadt. Man kennt ja die Geschichten von Bendtner, Kruse, Geld im Taxi. Ich bin damals zwei, drei Mal in der Woche in meine Heimat Berlin gependelt, wo meine Familie lebt. Eine Stunde bis nach Berlin. Im Zug kannte man sich, es waren ja immer die gleichen Gesichter.
Gibt es eine Art Fußball-Abteil?
(lacht.) Die 1. Klasse.
Keine Ablenkung – ist das auch ein Argument für Spieler, die Sie jetzt als Geschäftsführer Sport nach Kiel locken wollen?
Wolfsburg und Kiel haben nicht viel gemeinsam. Kiel ist schon besonders, sehr vielfältig, facettenreich, lebendig. Uni, Hafen, Handball – alles quasi auf Weltniveau. Eine Stadt mit Strand. Alle Spieler und Mitarbeiter, die zum ersten Mal hier waren, sind sofort begeistert. Meine Wohnung liegt 100 Meter von der Förde entfernt. Ich gehe manchmal morgens hinunter, sehe dabei Segelyachten, Kreuzfahrtschiffe und Fähren an mir vorbeischippern. Das ist etwas Besonderes, das macht den Kopf frei.
Eine Besonderheit, die einige Ihrer Spieler nur für kurze Zeit zu wissen schätzen. Aktuell verließen mit David Kinsombi, Atakan Karazor und Kingsley Schindler drei absolute Leistungsträger den Verein. Trainer Tim Walter schloss sich Ligakonkurrent VfB Stuttgart an. Fühlen Sie sich wie Sisyphus, der den Stein immer wieder den Berg raufrollen muss?
Nein, Kinsombi und Schindler fehlten uns mit schweren Verletzungen bereits in der gesamten Rückrunde. Wir sind geübt darin, in der laufenden Aktion Lösungen für diejenigen Spieler zu finden, die sich zu Höherem berufen fühlen. Das gehört zur DNA des Vereins und ist eine Qualität, die uns im Wettbewerb erheblich weiterhilft. Auch der Verlust von Tim Walter hat uns nicht unvorbereitet getroffen. Über die Ambitionen des Trainers, ohne dass er sie selbst geäußert hätte, wurde schon seit März eifrig geschrieben.
Mit Andre Schubert hat Holstein Kiel einen neuen Coach. Einer, von dem es heißt, dass er zuletzt bei Eintracht Braunschweig Probleme innerhalb der Mannschaft hatte.
Im schnelllebigen Fußball ist Andre Schubert ein sehr erfolgreicher Trainer. Er ist mit Paderborn aufgestiegen. Er hat eine starke erste Saison mit dem FC St. Pauli gespielt. Er hat Gladbach auf dem 18. Platz übernommen und ist in die Champions League eingezogen. Er hat Braunschweig mit neun Punkten hinter dem Strich noch vor dem Abstieg gerettet. Auf dem Papier ist das ziemlich erfolgreich.
Gerade Sie sollten sich doch eigentlich nicht vom Papier täuschen lassen.
Genau, und deshalb halten wir uns an die Fakten. Schubert weiß, welche Aufgaben ihn bei uns erwarten. Wir haben unsere Ziele intensiv besprochen: Also frischen, offensiven, antriebsfreudigen Fußball erhalten. Und obendrein ist uns wichtig: Auch Schubert hat in Paderborn, beim DFB und in Gladbach Ausbildungsarbeit betrieben. Auf dieses Handwerk legen wir hier in Kiel sehr viel wert.
Andre Schubert gilt als sehr ehrgeizig.
Ja, das passt. Der Umgang mit der Mannschaft, die Ansprache und die Arbeit auf dem Platz ist durchweg professionell.
Sie verpflichteten im Nachgang auch Fabian Boll als Co-Trainer. Um Schubert einen Part für die gute Laune an die Seite zu stellen?
Ja, denn das wichtigste im Spiel ist die Freude (lacht).
Es gibt im Fußball die Denkweise, dass es bei einem Trainerwechsel auch einen Charakterwechsel benötigt. Auf einen Taktierer sollte zum Beispiel ein Motivierer folgen.
Was sich auf dem Markt ablesen lässt, ist der verlässliche Wechsel von Alt auf Jung. Nach einem Haudegen heißt es im Management immer: Wir brauchen jetzt einen jungen, innovativen Trainer. Danach braucht es wieder einen Routinier, der die Abläufe kennt und das Spiel mit den Medien beherrscht. Das ist häufig dasselbe.
Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, können Sie das nicht immer ganz nachvollziehen.
Echte Pharaonen gibt es heutzutage kaum mehr. Niemand agiert mehr als Alleinherrscher. Jeder Mensch hat seine eigene Art und seine Kernkompetenzen. Aber es wird keinen Trainer mehr geben, der alles auf sich vereint. Auch bei unserer Trainersuche. Ich muss gestehen, dass ich wählerisch bin. Ich wollte jemanden, der eine Verbindung zu den Spielern aufbaut, der im richtigen Moment Härte zeigt, in jedem Moment die richtige taktische Entscheidung fällt und der einzelne Spieler und den Teamverbund besser macht.
Und Manager?
Für die ist jeder Arbeitstag viel zu kurz. Ich hatte mir immer vorgenommen, die Spiele unserer A- und B‑Junioren zu beobachten, auch die C‑Jugend interessiert mich. Aber ich schaffe es einfach nicht. Ich habe ja auch zwei Kinder, die sehe ich viel zu selten. Aber wichtig ist, dass ich die Einsicht habe und überlege: Wen hole ich mir an die Seite, um diese Schwäche zu kompensieren? Genauso wie es unser Trainer jetzt auch macht.
Weshalb Fabian Boll jetzt Co-Trainer ist?
Dass Andre Schubert seine Stärken und aber auch Schwächen kennt, ist für mich ein starker Beweis von Professionalität.
Aber hat Holstein Kiel nun einen Charakterwandel auf der Trainerposition vorgenommen?
Entscheidend ist doch, was die Mannschaft braucht, was die Mannschaft mit ihren unterschiedlichen Typen voranbringt. Ich glaube grundsätzlich, dass Abwechslung einer Mannschaft guttut. Aber das ist abhängig von der Struktur eines Kaders. Ist die Mannschaft bereit für einen Taktikfanatiker? Oder läuft es über die Emotion? Sollte man die Jungs anschreien oder in aller Ruhe den Austausch suchen? Wir haben sehr viele intelligente Spieler. Fast jeder hat Abitur. Hauke Wahl, der für den Spielaufbau zuständig ist, hat ein fantastisches Einser-Abi. Solche Spieler setzen sich sehr intensiv mit ihrem Sport auf allen Ebenen auseinander, sind aufnahme- und lernfähig. Dass Hauke nun deshalb besser funktioniert, weil ein Intellektueller auf der Bank sitzt, ist völliger Quatsch. Fußball ist Volkssport Nummer 1, weil es zur Spielintelligenz keinen Numerus Clausus braucht.