Viele Fans belächeln den FC Bayern für die Verpflichtung von Ivan Perisic. Dabei ist der Transfer überaus sinnvoll – allein der Zeitpunkt nicht.
Folgendes Szenario: 24. Februar 2019, Sonntagmorgen, ein Hotel am Münchner Flughafen. Für das Talkformat „Doppelpass“ eines bekannten Sportsenders hat sich dort eine illustre Runde aus Sportjournalisten und Fußballfunktionären eingefunden, darunter der Präsident des FC Bayern München, Uli Hoeneß.
In der Bundesliga hinken die Bayern den Erwartungen hinterher, erst durch einen 1:0‑Sieg über Hertha BSC am Vortag konnten sie nach Punkten zum Tabellenführer Borussia Dortmund aufschließen, der an diesem Abend noch gegen Bayer Leverkusen spielen wird müssen. Alles einkalkuliert, so Hoeneß gelassen. „Wir sind bereit gewesen, die Meisterschaft auch mal ein Jahr zu opfern“, verrät der Präsident mit Blick auf den Kader und verdiente aber demnächst scheidende Spieler. Denn erst in der nächsten Saison, da wolle man so richtig klotzen, auch auf dem Transfermarkt. Und als schüre er damit nicht schon genug Erwartungen, sagt er dann auch noch: „Wenn Sie wüssten, was wir alles schon sicher haben für die kommende Saison…“
Soweit der Teil des Szenarios, der sich tatsächlich so abgespielt hat. Verlassen wir diesen Pfad nun und spinnen ein wenig rum: Wenige Wochen nach Hoeneß’ „Doppelpass“-Auftritt lässt der FC Bayern den Worten Taten folgen und präsentiert nach dem Rekord-Einkauf von Lucas Hernández noch einen weiteren Neuzugang für die kommende Saison: Ivan Perisic.
Lauter Pluspunkte
Fans und Presse sind sich einig: Die Verpflichtung des Kroaten ist kein Traum-Transfer, aber ergibt durchaus Sinn. Schließlich verlassen den Klub im Sommer mit Franck Ribery und Arjen Robben die prägenden Flügelspieler der vergangenen Jahre. Allein mit den jungen Serge Gnabry und Kingsley Coman wird das nicht aufzufangen sein. Da kommt dieser Perisic mit seinen 30 Jahren und der Erfahrung, die er in der Serie A und der Champions League gesammelt hat, gerade recht. Zudem kennt er die Bundesliga ja schon aus seiner Zeit bei Dortmund und Wolfsburg und überhaupt: Wie er es geschafft hat, mit den Kroaten im vergangenen Sommer ins WM-Finale zu marschieren, das war schon beeindruckend!
Apropos Nationalmannschaft: Dort haben sich ja bereits auch Perisic und Bayern-Trainer Niko Kovac kennen und schätzen gelernt, ein weiterer Pluspunkt. Während seiner Zeit als Trainer der kroatischen Auswahl setzte Kovac stets auf den beidfüßigen Flügelspieler. Lediglich in zwei von 19 Spielen unter Kovac kam Perisic nicht zum Einsatz. Schließlich passt er mit seiner körperlichen Robustheit bestens in das von Kovac bevorzugte Pressing-System.
Körperlich robust, ein gutes Stichwort: Denn im Gegensatz zu den äußerst anfälligen Coman und Gnabry verpasste Perisic in den vergangenen Jahren kaum ein Spiel aufgrund von Verletzungen. Sein letzter längerer Ausfall datiert aus dem Frühjahr 2015, als er beim VfL Wolfsburg sieben Spiele aufgrund von Adduktorenbeschwerden verpasste.
Doch nicht nur wegen dieser Eigenschaft, auch aufgrund seiner Spielweise gilt Perisic als hervorragende Ergänzung zu den beiden jungen Flügelspielern. Während Coman und Gnabry als klassische Eins-gegen-eins-Spieler bevorzugt ins Dribbling gehen, überzeugt Perisic als Vorbereiter. Dank seiner Beidfüßigkeit ist er in der Lage, aus zahlreichen Positionen zu flanken. Gleichzeitig strahlt er selbst eine große Torgefahr aus. Insgesamt 116 Tore hat er in bislang 424 Pflichtspielen erzielt.
Doch zurück in die Realität: Nun haben die Bayern Ivan Perisic eben nicht bereits frühzeitig verpflichtet, sondern erst im bereits weit vorangeschrittenen Transfersommer. Weil zudem wochenlang über einen Wechsel von Leroy Sané spekuliert worden war, wirkt die Perisic-Verpflichtung nach Sanés tragischer Verletzung nun wie eine Notlösung.
Keine „B‑, C‑, oder X‑Lösung“
Dem trat Kovac bereits vor der offiziellen Verkündung des Transfers entschieden entgegen: „Jeder Spieler hat den nötigen Respekt verdient und man kann nicht über eine B‑, C‑, oder X‑Lösung sprechen“, sagte er vor dem Pokalspiel gegen Energie Cottbus in der ARD. Man dürfe „nicht immer draufhauen und alles urplötzlich schlecht machen.“
Dass dies nun aber geschieht, haben sich die Bayern durch ihr Gebaren seit dem 24. Februar 2019, durch ihr öffentliches Werben um Leroy Sané, durch Dementis und Widersprüche selbst zuzuschreiben. Ein Treppenwitz, dass Niko Kovac laut „Sportbild“ schon zu einem früheren Zeitpunkt eine Verpflichtung von Ivan Perisic angeregt habe. Die Bayern-Bosse jedoch, so heißt es, hätten abgelehnt. Wenn sie gewusst hätten, wen sie danach noch alles verpflichten würden…