Warum bleibt Joachim Löw eigentlich Bundestrainer, war das Rassismus im Doppelpass und dürfen Menschen um Diego Maradona trauern? Hier erklärt Tommi Schmitt, was ihm im Fußball wirklich wichtig ist.
Wie bitte?
Naja, warum sollte es aus popkultureller Sicht derzeit überhaupt cool sein, die Nationalmannschaft zu mögen? Die jungen Leute lieben das Abgerockte, vor den Second-Hand-Läden bilden sich in deutschen Großstädten lange Schlangen. Trash, kultige Narrative und Frisuren aus den 80ern und 90ern. Sie tragen Used-Look-Balenciaga, hören teilweise – viele noch ironisch – Genesis und Pet Shop Boys. Junge NBA-Profis werden in den USA in alten VfL-Bochum-Vintage-Trikots fotografiert. Da stehen wir popkulturell. In Chile unter freiem Himmel hängen und nicht im Robinson Club im Infinity Pool, darum geht’s. Mykonos und Ibiza werden zunehmend belächelt. Im Wald spazieren gehen und nicht im teuren Spa-Bereich verweilen. Es hat schon einen Grund, warum die Hipster in den Eckkneipen sitzen und Herrengedecke in sich reinschütten. Sie sehnen sich nach Bedeutung, nach Schiefem und Echtem. Mehr Goldener Handschuh, weniger P1. Und dann kommt auf der anderen Seite eine auf Hochglanz durchchoreographierte Marke, die Nationalmannschaft, wie ein neuer Golf in Grau-metallic zum Abholen in die Eingangshalle in Wolfsburg gerollt. Bitteschön, guckt uns zu, wie wir heute in Trikots für 120 Euro gegen die Ukraine spielen. Glatt wie das neue Gesicht von Jenke von Wilmsdorff. Und, Überraschung, die Fans wollen das gar nicht. Die wollen wie Papa im alten Opel nach Frankreich fahren. Ohne Klimaanlage, aber mit Schnäuzer. Was mit Geschichte, das riecht, das „instagramable“ ist. Mehr Fynn Kliemann, weniger Christian Lindner. Ich möchte hier nicht zu feuilletonistisch, essayistisch vor mich hinschwallern, das schaffe ich intellektuell auch gar nicht, ich suche lediglich Erklärungen.
Und?
Und das ist meine Erklärung.
Sehnsucht nach Echtem und Skurrilem? Dann wäre Christian Streich ja ein guter Kandidat.
Mein Reden. Seit Jahren. In der Freiburger Thronfolge wäre er dann jetzt auch dran, oder? Er wäre natürlich die perfekte Lösung. Ein Trainer, den alle mögen. Den auch die „großen“ Spieler respektieren, obwohl er einen kleineren Klub trainiert. Das gibt es selten. Dazu zeigt er Haltung und ist, obwohl Badener, ein guter Kommunikator und verfügt über beeindruckende Antennen. Er hat etwas Bundespräsidiales. Das würde ich gerne erleben: Wie die Nationalmannschaft bei der EM die Portugiesen vom Feld fegt und Christian Streich im Patagonia-Fleece anschließend nicht über das Spiel sprechen will – sondern über Geflüchtete, Klimawandel oder SUVs auf dem VIP-Parkplatz. Der fährt 2021 mit dem Tandem zum Finale und hat keine Ahnung, was daran merkwürdig sein könnte. Es würde das, was gerade beim DFB läuft, geradezu konterkarieren. Es wäre fantastisch. Leider hat er wohl keine Lust.
Was macht Ihnen Hoffnung?
Ich habe zumindest den Eindruck, dass es beim DFB wenigstens ein Fehlerbewusstsein gibt. Und das ist doch schon mal ein Anfang. Es muss etwas verändert werden. Und wie es immer so ist im Feuilleton-Deutschland: Wenn alle erst mal etwas gemeinsam kacke finden, wendet sich das Blatt und es wird irgendwann wieder cool. These, Antithese. Es ist doch immer dasselbe hier. Wir lieben die, die am Boden liegen. Vielleicht versöhnen wir uns ja also demnächst auf zunächst unerklärliche Weise wieder mit der Mannschaft DIE MANNSCHAFT. Who knows?
„An Köln scheitern also nicht nur Städteplaner und Architekten“
Kommen wir zur Bundesliga: Die Bayern führen die Liga – natürlich – an. Klagen aber, dass ihnen alsbald die Spieler ausgehen.
Sekunde.
Alles in Ordnung?
Hören Sie das? Ich glaube, ich habe da gerade die Handballer, Tennisspieler und Basketballer laut lachen hören. Spaß beiseite: Klar müssen die Bayern unter der Woche häufiger ran als Markus Lanz. Aber das solide Spiel bei Atlético Madrid zeigt doch, dass sie, anders als Alexander Gauland, über einen guten zweiten Anzug verfügen. Und unter uns: Gegen Schalke und Mainz würden Lewandowski, Goretzka und Neuer zu dritt auch noch irgendwie ein 1:1 rausholen. Sonst helfen halt „Brazzo“ und Oliver Kahn aus. Die Bayern werden diese Belastung überleben und sich am Ende der Saison für einen internationalen Wettbewerb qualifizieren.
Borussia Dortmund dagegen scheiterte – und diesmal an Köln. Ausgerechnet.
Das ist ja erstmal eine gute Nachricht: An Köln scheitern also nicht nur Städteplaner und Architekten. Dieses Spiel würde ich aber nicht zu hoch sterilisieren, um Bruno Labbadia zu zitieren.
Sondern?
Was musste ich da alles lesen? „Ist es der Rückfall des BVB?“ „Ist es die Wende für Köln?“ Nein, Dortmund kam auf 70% Ballbesitz und 16 Torschüsse, darüber hinaus hat Haaland in der 95. Minute lediglich den Ball nicht im Netz untergebracht. That’s it. Sonst geht das halt in neun von zehn Fällen 2:2 aus und das kann einer Mannschaft in einer Saison, in der es eh keinen Heimvorteil gibt, auch mal passieren. Wenn ich das schon lese: „Zuhause verloren!“ Was bedeutet „zuhause“? Dass da acht Ordner rumstehen, die fußläufig zum Stadion wohnen? Das soll ein Heimvorteil sein? Ist doch eh absurd, Dortmund und Bayern zu vergleichen. Gucken Sie sich doch mal die Etats an. Dortmund ist nun mal in der beknackten Situation, in jeder Saison David Coulthard sein zu müssen. Da muss schon wirklich alles passen, und die anderen müssen versagen, damit am Ende ein Titel herausspringt. Ich finde es eher beeindruckend, wie es der BVB schafft, sich in dieser aussichtslosen Lage, immer wieder zu motivieren, Zweiter oder Dritter zu werden. Man kann da ja schon von Sisyphosball sprechen.
Der Doppelpass, die Expertenrunde bei Sport1, warnte schon vor einer Woche, dass nicht alles glänzen würde beim Bayern-Verfolger. Und hätte mit dieser Prognose Wochensieger werden können. Dann kam Steffen Freund…
… und erklärte die schlechte Leistung von Nabil Bentaleb und Amine Harit gewissermaßen mit deren Wurzeln. Ja, ich weiß und darüber habe ich lange nachgedacht. Ob Steffen Freund ein Rassist ist? Ich glaube nicht. Aber seine Aussagen waren natürlich rassistisch. Er hat es ja noch während der Sendung bemerkt und hat versucht, sich zu korrigieren. Wer das sieht und hört, der möchte ihm am liebsten über die Brücke helfen. Alle wissen ja, was er bei seiner Korrektur meinte, aber er machte es nur noch schlimmer. Das war einfach insgesamt großer Mist. Das Lustige ist: Als er das über algerisch-französische Spieler sagte, saß ich in einem Zinedine-Zidane-Trikot vor dem Fernseher und musste doch sehr lachen. Ich hoffe da einfach auf eine persönliche Entschuldigung bei den beiden Schalkern und vor allem auf einen Lerneffekt. Denn ich finde Freund als renommierten Spieler und Trainer aus der Premier League rein inhaltlich als Fußballexperten ziemlich gut.