Warum bleibt Joachim Löw eigentlich Bundestrainer, war das Rassismus im Doppelpass und dürfen Menschen um Diego Maradona trauern? Hier erklärt Tommi Schmitt, was ihm im Fußball wirklich wichtig ist.
Zurück zum Sport: Heute Abend treffen Hertha und Union im Hauptstadtderby aufeinander. Ist für Sie auch der Kultklub aus Köpenick der Favorit?
Ja, klar! Union ist schlichtweg toll. Es ist zwar sehr einfach, Union super zu finden – in etwa so, wie Welpen, Sonnenuntergänge und Pommes. Aber was soll ich machen? Die sind nun mal wahnsinnig cool, diese Expendables von Köpenick. Alte, smarte Dudes, die es nochmal wissen wollen. Ich glaube, die trainieren auch gar nicht. Die sind wie die Dänische Nationalmannschaft 1992, haben einfach Bock und tunneln dich, wenn sie wollen. Union ist ein schöner bunter Fleck in dieser Liga, in diesem tristen Jahr. Als hätte Jackson Pollock einen Farbkleks auf die Tabelle geworfen. Große Namen, viel Feuerwerk, mehr Ertrag als erwartet. Eigentlich genau das, was Hertha immer sein wollte. Nicht auszuschließen, dass Lars Windhorst dieses Spiel aus der Loge ansehen und denken wird: „Moment mal! Wofür habe ich denn eigentlich die ganze Kohle ausgegeben? Und der Zehner von den Roten da, der saß doch gestern um 3 Uhr noch neben mir im Adlon am Black-Jack-Tisch?!“
Max Kruse. Der Transfer der Saison?
Ja. Der macht einfach Spaß. Ich mag seinen Stil sehr. Er spielt so einen einfachen Fußball. Vermeintlich ganz simpel, wie Thomas Müller in ästhetisch. Bei Kruse habe ich immer das Gefühl, der wird gesteuert. Der spielt so, wie andere FIFA zocken. Er ahnt Räume, die man normalerweise nur aus der Vogelperspektive sehen kann. Und dadurch erscheint das alles so einfach. Dazu die Beidfüßigkeit. Alles, was er auf dem Platz macht, folgt einer absoluten Logik. Als Fan sitzt man ja oft vor dem Fernseher und brüllt „Seitenwechsel!“ oder „Steil!“ oder „Links schicken!“, was absurd ist, weil die Spieler aus ihrer Perspektive nicht jeden Raum sehen können, so wie wir von oben. Aber Kruse befriedigt Zuschauer in der Hinsicht, dass er genau diese Bälle dann wie auf Zuruf spielt. Ein Genuss.
Erlauben Sie uns zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wo waren Sie, als Sie von Maradonas Tod erfuhren?
(Lacht.) Bier und Wein kaufen, kein Witz. Ich war schockiert, aber aufgrund des Lebensstils auch nicht sonderlich überrascht.
Maradona erreichen posthum vor allem Liebe und Zuneigung, seine Skandale rücken in den Hintergrund. Das stört den ein oder anderen Kritiker. Kann man in diesem Fall Kunst und Künstler trennen?
Zunächst halte ich es für eine Errungenschaft unserer Zeit, dass man nicht alles abfeiert, sich öffentlich kritisch mit Menschen wie Maradona auseinander setzen kann und das auch tut. Da lief links und rechts viel selbstverschuldete Scheiße in seinem Leben. Trotzdem irritiert es mich, wie einige Menschen, die das Trauern um Maradona kritisieren, das generelle Phänomen Trauer interpretieren. Meiner Meinung nach trauert man doch mindestens zur Hälfte stets aus egoistischen Gründen. Egal, ob die Tante, der Freund oder eine Oma das Zeitliche segnen: man vermisst vor allem die Zeit mit der Person, die eigene Vergänglichkeit rückt ins Bewusstsein und die Melancholie trifft einen aber sowas von ins Mark. Daraus ergibt sich Trauer. Bei Maradona ist es doch das Gleiche. Ich behaupte, dass die meisten Trauernden nicht unbedingt den Menschen Diego an sich betrauern, sondern das, was ihn umgab: Die Legende. Der Mann, der dafür sorgte, dass eine ganze Generation die 10 tragen wollte, sich nicht die Schuhe zuband, die Stutzen tief trug, Tricks übte und stundenlang mit dem Ball an die Hauswand kickte. Nicht nur in Neapel, sondern auf der ganzen Welt. Eine Legende, die Turniere prägte, die einen Zauber umgab. Diese Legende ist nun weg; tot wird sie nie sein. Aber sie ist weg. Und um diese Legende, also die eigene Jugend und die Endlichkeit, zu trauern und vielleicht sogar zu weinen, ist mehr als legitim und beinahe logisch. Da wurde aus dem Jenga-Turm der Kindheit ein Stein gezogen. Das darf dich schon mitnehmen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Moment mal! Sprechen wir diesmal gar nicht über Schalke? Ich dachte, das sei hier schon eine eigene Rubrik.
Haben Sie denn neue Erkenntnisse über den Verein gewonnen?
Nicht wirklich. Mittlerweile verkörpert Schalke für mich das Bild des trotteligen Lottomillionärs, der sein ganzes Vermögen verprasst hat, weil er sich eine Kartbahn in sein Schwimmbad hat zimmern lassen. Wer da alles gespielt hat: Goretzka, Sané, Neuer, Draxler, Özil, Kehrer, Matip, Meyer, Kolasinac, Embolo, Rafinha, Farfan, Rakitic und so weiter. Einige gingen auch ablösefrei, klar. Aber dazu haben sie in den letzten zehn Jahren den Pokal geholt und zig Mal in der Europa League und Champions League gespielt. Außerdem noch die liquiden Sponsoren und treuen Fans. In einem Guy-Ritchie-Film würde ich jetzt eine Flasche auf die Theke hauen und „WO IST DIE VERDAMMTE KOHLE HIN?“ brüllen.
Schalke-Fan möchte man zurzeit nicht sein.
Ein Freund von mir, großer Schalke-Fan, hat jetzt beschlossen, dass er sich keine Spiele mehr ansehen wird. Ob 1:3 gegen Augsburg, ob 0:5 gegen Bielefeld – er tut sich das nicht mehr an. Weil er fest damit plant, dass Schalke mit dem Ende der Corona-Pandemie sowieso in der 2. Liga spielen wird. Dann will er zurückkehren und mit 10.000 Schalkern hedonistisch und feuchtfröhlich durch die Zweitligastädte tingeln: Sandhausen, Paderborn, Hamburg. Neue Stadien, neue Leute, neues Bier. Das werden sicherlich großartige Touren. Ich halte das für eine charmante Vorstellung und einen guten Ansatz mit der blau-weißen Entwicklung umzugehen. Und wenn ich jetzt so drüber nachdenke, bin ich sogar etwas neidisch darauf. Schließlich befinden wir uns in einer Saison, die, wenn wir ganz ehrlich sind, doch ohnehin total egal ist. Dann lieber jetzt absteigen. Kriegt eh keiner mit.