Warum bleibt Joachim Löw eigentlich Bundestrainer, war das Rassismus im Doppelpass und dürfen Menschen um Diego Maradona trauern? Hier erklärt Tommi Schmitt, was ihm im Fußball wirklich wichtig ist.
Tommi Schmitt, wir kommen mal wieder zu spät. Joachim Löw, das verkündete der DFB schon am Montag, bleibt bis zur EM Bundestrainer. Herzlichen Glückwunsch!
Und in der Hamburger Nivea-Zentrale knallen die Q10-Korken! Eines vorweg: Ich bin kein Fan dieser Entscheidung. Aber immer, wenn eine Person von allen Seiten kritisiert wird, werfe ich mich gerne reflexartig dazwischen. Denn wenn Bashing aus dem Mainstream kommt, ist es mir meistens zu billig. Was haben wir auf der Habenseite? Unter Löw hat die Nationalelf nahezu immer abgeliefert wie keine Nationalmannschaft weltweit unter irgendeinem anderen Trainer. Das ist erst mal nicht wegzudiskutieren. Schieben wir den Horror in Russland mal charmant beiseite, stand die Truppe unter seiner Riege immer mindestens im Halbfinale aller Turniere. Und jeder, der noch genügend IQ-Punkte beisammen hat, um sich vor dem Toilettenbesuch die Hose runterzuziehen, wird die Nations League nicht als Turnier bezeichnen. Also: Weltmeister geworden, Confed Cup gewonnen, einmal im EM-Finale gestanden, zweimal WM-Dritter. Das alles in etwa 15 Jahren. Auch wenn natürlich an den Stammtischen dieses Landes eckbänkig und bierwurstig gerne das „Argument“ eingerülpst wird, Deutschland hätte 2014 nicht wegen, sondern trotz Löw den Titel geholt. Absoluter Kokolores, sagen ja auch die Spieler von damals. Übrigens: Ist es nicht außerordentlich lustig, dass Erik Durm über mehr WM-Titel verfügt als Lionel Messi? Egal, zurück zu Löw: sportlich gesehen, bis auf den negativen Ausreißer 2018, ist seine Bilanz soweit mehr als okay.
Wieso ist die Stimmung dann so, entschuldigen Sie die Ausdrucksweise, beschissen?
Weil die generelle Entwicklung im DFB negativ ist. Das hat allerdings mehrere Gründe und liegt nicht nur am Trainer.
Und was für Gründe sind das?
Es ist die alte Leier: Identifikation, weniger Marketing, menschlicher sein, bessere Fan-Einbindung, die Stimmung muss verbessert werden und – bitte nicht falsch verstehen – das gemäßigt Asoziale muss im Stadion wieder zugelassen werden. Ganz ehrlich: Dieses Jever Fun’ige muss endlich da raus. Der normale Fußballfan hat mit dem Fan der Nationalmannschaft, wenn es den gibt, doch gar nichts mehr zu tun. Auf mich wirkt das mittlerweile wie eine andere Sportart. Das Ambiente rund um ein Länderspiel erinnert mich jedes Mal an eine Stadionszene aus einem Tatort, wo Statisten mit Häuptlingsschmuck und selbstgestrickten Schals „Einer geht noch, einer geht noch rein“ rufen und mehr schlecht als recht Fußballfans imitieren. Es ist nah dran, und hat doch nichts mit der Realität zu tun. Und wenn ich noch eine gleichgültige Choreographie in Schwarz-Rot-Gold sehen muss, auf der irgendwas von „12. Mann“ steht, zerreiße ich mein Olaf-Marschall-Confed-Cup-Trikot von 1999!
Bitte nicht!
Nein, keine Sorge. Aber mich macht das einfach traurig. Mein Enthusiasmus ist verflogen. Es muss doch einen Grund haben, warum ich als Fußballverrückter nur durch Push-Meldungen auf dem Smartphone erfahre, dass die Nationalelf gerade spielt. Klingt wie ein zu oft gebrauchter Gag aus WhatsApp-Gruppen, aber das Problem ist: Es ist wahr, ich verfolge das alles gar nicht mehr. Und das nicht nur, weil ich 20 Minuten brauche, um Klostermann und Halstenberg auseinander zu halten.
Aber ist da nicht auch der Trainer gefragt, für Identifikation zu sorgen?
Wenn man es runterbricht, kommt man natürlich immer zu dem Punkt, an dem man die oft kolportierten „neuen Impulse“ setzen muss, richtig. Die WM 2018 wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, um zurückzutreten. Aber jetzt ist es so, wie es ist. Und wer sollte nun übernehmen? Rudi Bommer? Ernst Middendorp? Wer ist denn sonst noch auf dem Markt?
Hm.
Eben. Ich glaube einfach nicht, dass der Trainer das größte Problem ist. Die Nationalelf steht einem riesigen PR-Dilemma gegenüber. Dazu kommen Corona und ein generelles Abwinken der Fußballfans in allen Ländern gegenüber den kommenden und jetzigen Wettbewerben. Daran sind aber mehr die UEFA und FIFA Schuld als Oliver Bierhoff und Konsorten. Nations-League-Geisterspiele, am Ende des Tunnels eine seelenlose EM, womöglich ohne Fans, und eine WM in Katar. Prost. Was für eine Aussicht. Jede Zeit bekommt die Turniere, die sie verdient. Auf was soll man sich da freuen und sich als Fan emotional vorbereiten? Ich kaufe mir mittwochs doch auch nicht voller Vorfreude einen Anzug, weil ich am Samstag im Café Extrablatt frühstücken gehe.
Früher gab es die Metapher von der Nationalmannschaft als Lagerfeuer, an dem sich die ganze Nation versammeln und wärmen würde. Heute, so heißt es, versammele sich die Nation zwar noch immer an diesem Lagerfeuer – allerdings nur um gemeinsam zu spotten.
Tatsache! Die Nationalmannschaft guckt man mittlerweile ironisch. Das ist eine gute Beobachtung, die zynisch und bitter daher kommt, aber absolut der Wahrheit entspricht. Was hat uns bloß so ruiniert?
Sagen Sie es uns.
Das versuche ich ja die ganze Zeit! Aber Sie merken doch, wie verzwickt das Thema ist. Ich habe vielleicht noch eine andere Erklärung, eine, sagen wir, modische.