Eigentlich war Horst Hrubesch als Nachwuchsdirektor zum Hamburger SV zurückgekehrt. Nun soll er als Interimstrainer den Aufstieg retten. Es wäre das späte Happy End einer lange unerfüllten Liebe.
Dieser Text erschien erstmals in 11FREUNDE #232 (hier bei uns im Shop erhältlich), als Horst Hrubesch schon einige Monate als Nachwuchsdirektor beim HSV arbeitete. Am Montagmorgen gab der Verein nach fünf Spielen der Profis ohne Sieg die Trennung von Cheftrainer Daniel Thioune bekannt. Horst Hrubsch übernimmt den Posten bis zum Saisonende.
Horst Hrubesch sitzt in seinem Büro hinter einem großen Computerbildschirm und spricht über: Mettbrötchen. Vom Fenster im ersten Stock des HSV-Campus hat er freie Sicht aufs Volksparkstadion und den vorgelagerten Trainingsplatz. Hinter ihm an der Wand: ein Bild von den ausverkauften Rängen in der Arena. Und aus dem Mund des nun 70-Jährigen poltert wie ein Backstein dieses Wort, das in der futuristischen Architektur des Nachwuchsleistungszentrums so aus der Zeit gefallen wirkt wie das emeritierte Kopfballungeheuer selbst. Mettbrötchen.
Die Semmeln waren nun mal ein zentraler Faktor für Hrubeschs späte Rückkehr an die Stätte seiner größten Erfolge. Vor 37 Jahren hatte er den Klub verlassen müssen. Nach dem Gewinn der Meisterschaft und des Landesmeisterpokals 1983 leiteten Trainer Ernst Happel und Manager Günter Netzer den Umbruch ein, und das Geld, sich neben den prominenten Neuverpflichtungen Dieter Schatzschneider und Wolfram Wuttke im Angriff weiterhin das in die Jahre gekommene Urviech zu leisten, hatte der Hamburger SV nicht.
Er hat es den Architekten der großen Erfolge nie übelgenommen. War richtig! Mussten sie versuchen! Auch wenn die angestrebte Reform des Teams damals daneben ging. Denn die beiden Transfers erwiesen sich als schwer erziehbar. Wuttke ist längst tot. Schatzschneider fristet seit Jahren ein Dasein als Faktotum bei Hannover 96. Hrubesch aber kehrt mit 69 Jahren zum HSV zurück. Als Nachwuchsdirektor, verantwortlich dafür, dass der Verein zukünftig wieder mehr Talente ausbildet, die das Zeug zum Profi haben, und so die klammen Klubkassen entlasten.
Wie konnte das passieren? In seinem Alter? Die Frage nervt ihn. „Na, wegen der Pandemie“, bellt er, „und wegen Jonas Boldt.“ Eigentlich hatte er sich im November 2018 vom Fußball endgültig verabschiedet. Nach 34 Jahren als Trainer, 18 davon beim DFB, hatte er im März des Jahres noch die Frauen-Nationalelf übernommen und nach gelungener WM-Quali dem Verband Lebewohl gesagt. Dann war er mit Gattin Angelika im 46. Ehejahr zu der lange versprochenen Weltreise aufgebrochen. Singapur, Malaysia, Borneo, Neuseeland, Hawaii, zum Schluss das Spielerparadies Las Vegas. Zehn Wochen on the road. Und selbst nach der Rückkehr litt er noch nicht unter Entzugserscheinungen.
Okay, im Sommer 2019 reisten die Hrubeschs nach Frankreich, und weil sie schon mal da waren, schauten sie auch Partien der Frauen-WM an. Mal sehen, was die Mädels so machen. Anschließend plante der Rentner bereits das nächste fußballferne Projekt: Mit zwei Freunden wollte er ein Buch übers Fliegenfischen schreiben und dafür zu den interessantesten Fanggebieten rund um den Globus reisen – unter anderem nach Kanada. Arbeitstitel: „Fliegen rund um die Welt.“ Doch Corona machte dem Autorenteam einen Strich durch die Rechnung.
Fortan saß er zu Hause im Dorf Boostedt bei Neumünster. Wer Hrubesch erlebt, erkennt schnell, dass er Gesellschaft braucht. Er redet gern, hat den Schalk im Nacken, zündelt freundlich, im besten Sinne ein Typ „Stammtischbruder“. Männer wie er werden im Profifußball seit den späten Siebzigern nicht mehr gebaut. Für so einen wiegt der Lockdown noch ein paar Prozente schwerer. Wenn ihm die Decke auf den Kopf fiel, schwang er sich aufs Motorrad, fuhr durch die Gegend und schaute auch mal bei Trainingseinheiten des HSV vorbei.
In der Vergangenheit haben etliche Funktionäre versucht, ihn zurück an den Volkspark zu locken. Bernd Hoffmann umgarnte ihn im April 2010, als der Klub Erfolgstrainer Bruno Labbadia nach internen Querelen rausschmiss. Die Legende sollte das irritierte Umfeld besänftigen und als Interimstrainer einspringen. 2016 wollte ihn der HSV kurzfristig als Nachfolger von Vereinsboss Didi Beiersdorfer. 2018 brauchte Vereinspräsident Jens Meier im Wahlkampf gegen Rückkehrer Bernd Hoffmann eine Galionsfigur. „Ich habe immer gesagt, ich kann mir eine Rückkehr vorstellen“, erklärt er, „wenn der Verein zur Ruhe kommt und einen klaren Weg gehen will.“ Anders gesagt: Wenn man ihm die Möglichkeit gibt, einen guten, nachhaltigen Plan mitzugestalten. Doch diese Perspektive konnte er bei allen Optionen, die der Klub ihm bot, niemals gewinnen. Und in der Rückschau lässt sich festhalten: Er lag mit seiner Beurteilung der Lage goldrichtig.
Als Jonas Boldt nach dem internen Machtkampf im März 2020 den Vorstandsvorsitz beim HSV übernommen hatte, setzte er sich eines Tages ins Auto, um den Hrubeschs in Boostedt einen Besuch abzustatten. Ohne Hintergedanken, wie er sagt. Der 39-Jährige wollte den Veteranen lediglich zu seiner Sicht auf die Metamorphose des einst stolzen Liga-Urgesteins zum notorischen Chaosklub und Zweitligisten befragen.
Die beiden kennen sich, seit Hrubesch als DFB-U21-Coach vor den Olympischen Spielen 2016 nach Leverkusen kam, um für die Abstellung von unter anderem Lars Bender zu werben. Ein Jahr später machte Boldt ihm nach der Entlassung von Trainer Roger Schmitt im Frühjahr 2017 sogar das Angebot, bis Saisonende die Werkself zu übernehmen. Hrubesch schien wie gemalt für den Job, weil er viele Bayer-Akteure schon beim Verband unter seinen Fittichen gehabt hatte. Doch auch für diesen Kurzzeiteinsatz war sich Hrubesch zu schade.
Als die beiden nun beim Kaffee saßen, stellte Angelika ein Tablett mit Mettbrötchen auf den Tisch. Sie griffen zu, Zwiebeln oben drauf und Boldt bekam, was er wollte: eine treffende Analyse zur Misere und obendrauf Hrubeschs Ideen zu einer erfolgreicheren Nachwuchsarbeit. „Und die Mettbrötchen waren wirklich gut“, witzelt der alerte Boldt, der von da ab so regelmäßig Abstecher nach Boostedt machte, dass Hrubesch irgendwann fragte, ob er eigentlich wegen ihm komme – oder nur wegen der Fleischsemmeln der Gattin.
Doch da hatte Boldt Hrubeschs Leidenschaft längst neu entfacht und ihm das Angebot unterbreitet, federführend in die Talentförderung beim HSV einzusteigen. Der Schlüssel für seine endgültige Zusage war die Entscheidung der Vereinsführung, nach dem Saisonende den Vertrag mit Trainer Dieter Hecking nicht zu verlängern. „Ein Knackpunkt“, so Jonas Boldt, „war der Entschluss, mit Daniel Thioune und Hannes Drews zwei Profitrainer zu haben, die für eine größere Durchlässigkeit zum Nachwuchs stehen.“
Wenn Horst Hrubesch von seinem Bürofenster aus unten den Jugendspielern beim Trainieren zuschaut, erinnert er an den Alm-Öhi aus der Alpensaga „Heidi“. Ein knorriger Patriarch, gütig, lebenserfahren, hilfsbereit. Einer, der nur in diesem Milieu ganz bei sich ist. Was für Heidis Großvater die Almwiesen mit den Ziegen, ist für Hrubesch der Jugendfußball des HSV: ein wichtiges Stück Heimat. In diesem speziellen Kontext ist die Wirkmacht seiner Sozialkompetenz schier unendlich. Hrubesch redet wie ein Fußballer mit einem Vokabular wie aus dem Jugendsprachen-Almanach 1975 – und trotzdem verstehen ihn alle richtig. Er duzt, ohne überheblich zu wirken. Seine Sätze beginnen oft mit der Floskel: „Noch mal …“. Als hätte er das alles schon hundertfach erzählt, doch für sein Gegenüber macht er es gern ein weiteres Mal. Keiner seiner Eleven auf dem Rasen beschwert sich beim Ombudsmann wegen Mobbing, wenn Hrubesch beim Trainingsspiel anmerkt: „Klumpfuß, nu’ spiel den Ball sauber!“ Und als in der Vorwoche die Frauen des FC Bayern vor seinem Fenster den Walddörfer SV im DFB-Pokal mit 13:0 demütigten, sandte der Lange von oben einen charmanten Gruß an eine siegreiche FCB-Spielerin, die gerade vom Platz schlenderte und die er noch aus Nationalcoachzeiten kannte: „Wat is, du blinde Nuss?“ Was die Dame mit einem freundlichen Winken zu ihm hoch quittierte.
Es wäre ein Kinderspiel gewesen, ihn früher zurück nach Hamburg zu lotsen. Einer mit seiner Verdrängung braucht eigentlich nur das, was ihn schon als Spieler groß werden ließ: Entfaltungsmöglichkeit, das Vertrauen seiner Vorgesetzten in seine Fähigkeiten, Loyalität sowie die Chance, Verantwortung zu übernehmen. Doch die HSV-Funktionäre, die vor Boldt an ihm baggerten, einte meist, dass sie ihn in seiner koketten Hemdsärmeligkeit nicht für voll nahmen und glaubten, ihn als Marketingtool missbrauchen zu können. Doch um Hrubeschs donnerndes Ruhrpottidiom als Mangel an Empathie, Intuition oder gar Intellekt zu interpretieren, braucht es schon eine fette Portion Hamburger Arroganz. Und die scheint dem schnieken Betriebswirt Boldt, der als gebürtiger Franke und aufgewachsen in Düsseldorf und Heidelberg über keinerlei Pfründe in der Hansestadt verfügt, fremd zu sein.
Hrubeschs Vita lässt sich auf zwei Arten nacherzählen. Die eine ist die Erfolgsstory des Kopfballungeheuers, das mit 24 Jahren Profi bei Rot-Weiss Essen wird. Dort mit 42 Toren in der Zweitligasaison 1977/78 einen Rekord für die Ewigkeit aufstellt. Als HSV-Mittelstürmer in fünf Jahren zwei Meistertitel, die Torjägerkanone und den Europapokal holt. Zum Nationalspieler reift, Europa- und Vizeweltmeister wird. Die andere aber ist die Geschichte eines Geprügelten, der sich allen Brüchen und Rückschlägen widersetzt. Von einem, der nach dem frühen Tod des Vaters schon im Jugendalter die Rolle des Familienoberhaupts ausfüllen muss. Der erst Fliesenleger lernt und dann als Dachdecker schuftet. Der die Hilfe von Routiniers wie Manni Burgsmüller, Gert Wieczorkowski und Ente Lippens braucht, um im Fußball Fuß zu fassen. Der nach dem Wechsel an die Elbe von der „Bild am Sonntag“ schnell als Fehleinkauf gebrandmarkt und dann von Trainerkoryphäen wie Branko Zebec und Ernst Happel in mühsamer Kleinarbeit zum Weltklassespieler geformt wird. Von Zebec lernt er, dass jede Elf nur so gut ist wie ihr schwächstes Glied. Und dass, wenn jeder für den anderen einsteht, Verlieren überhaupt keinen Sinn ergibt. Der Satz wird zum Leitmotiv seines Lebens. Legionen deutscher Spieler haben ihn aus Hrubeschs Mund gehört.
Sein Killertool, neudeutsch gern unter dem Begriff „Authentizität“ wegsortiert, jedoch ist: Er hat die ganze Scheiße, die ein Leben für angehende Profis bereithalten kann, am eigenen Leib erfahren. Ergo: Er hat die guten Seiten des Jobs nie als Selbstverständlichkeit verstanden. Sein Wechsel nach Hamburg 1978 veränderte alles. „Das war die Geschichte vom Jungen vom Lande, der in die große Stadt kommt“, sagt er. „Es ist nicht nur der Verein, diese ganze Region ist mein Zuhause geworden.“ Die fünf Jahre als Spieler in der Hansestadt prägen ihn bis heute. Er weiß, dass mit seinem Namen hier eine seit Jahrzehnten ungestillte Sehnsucht verknüpft ist. Der tief verwurzelte Glaube, der HSV sei durch sein prosperierendes Umfeld und die Lebensumstände von allen deutschen Klubs am ehesten prädestiniert, auf Augenhöhe mit dem FC Bayern zu spielen. Die Ära Hrubesch hat ja bewiesen, dass es geht. Und er verhehlt nicht, dass er in den 37 Jahren, die er weg war, stets ein Auge auf den Verein gehabt hat. Das treue Kopfballungeheuer. Und es war längst nicht alles schön, was er da sah: „Deshalb tue ich mich schwer mit dem Begriff ‚Herzensangelegenheit‘. Ich bin zurückgekommen, weil ich was erreichen will!“
Im deutschen Fußball gibt es keinen, der die Befindlichkeiten von Talenten besser kennt als er. Seine Fähigkeiten als Menschenfänger sind jahrzehntelang erprobt. Er könnte Kurzgeschichten schreiben, wie er als Verbandscoach mit Jugendspielern in den Verbal-Clinch ging. Spielern in der Ehekrise neuen Mut zusprach und sie zu Höchstleistungen motivierte. Oder bei der U21 Mesut Özil anpampte, er solle aufhören, sich feiern zu lassen und sich bei Jerome Boateng bedanken, der mit dem Ball über den ganzen Platz galoppiert war und so abspielte, dass Özil nur noch abstauben musste. Darüber wie er eine Tagesreise im Auto nach Düren unternahm, um Deniz Naki zu überzeugen, für Deutschland statt für die Türkei aufzulaufen.
Ähnlich detailverliebt versieht er neuerdings auch sein Tätigkeitsfeld in Stellingen. Den Begriff „Nachwuchsleistungszentrum“ empfindet er als irreführend für die Einrichtung, die er leitet. Der Campus sei eine Ausbildungsstätte: „Und wenn wir hier gut ausbilden, kommt die Leistung von ganz allein.“
Er will, dass die Talente, die hierher kommen, den Spaß an der Sache nicht verlieren. Hrubesch kennt die stagnierenden Erfolgskurven der Hochbegabten, die unter dem Leistungsdruck zerbrachen. Dabei ist das Leben als Profi doch ein Privileg. „Als ich mit 24 Profi wurde, hatte ich jahrelang als Dachdecker gearbeitet“, sagt er. „Ich wusste, was harte Arbeit ist. Und verglichen damit, ist ein Job im Fußball paradiesisch. Deshalb möchte ich, dass die Talente diese Freude empfinden. Sie sollen mit lachenden Gesichtern auf den Platz gehen und freudig wieder runterkommen. Und zwischendurch sollen sie den Mut haben, eigene Entscheidungen zu treffen, Ideen entwickeln und sich trauen, Fehler zu machen und dafür einzustehen.“
Hrubesch versteht sich nicht als Koordinator oder als denjenigen, der Trainingspläne absegnet und Konzepte schreibt – so wie es sein Vorgänger Bernhard Peters tat. Er will machen und tun. Seine Tage sind lang. Zum Dienst tritt gewöhnlich um halb neun an und arbeitet oft bis acht Uhr abends durch. Bis mittags verfolgt er die Trainingseinheiten der U16 bis U21. Dann fährt er raus nach Norderstedt, wo außerhalb des Lockdowns die U11 bis U15 trainieren. Manchmal geht er nach dem Ende der Einheiten auf den Rasen, schnappt sich Hütchen und wartet, ob ihm ein Jugendspieler zur Hilfe eilt. Bei einem Spiel der U13 fiel ihm mal ein „Überflieger“ (O‑Ton Hrubesch) auf, der sich mit dem Abspielen schwertat. Nach Abpfiff ging er zu dem Jungen, schaute mit ihm das Spiel auf dem Nebenplatz an und fragte: „Was machen die falsch?“ Der Junge: „Die spielen zu wenig ab, da ist kein Tempo im Spiel.“ Darauf Hrubesch: „Siehste, hast du gerade auch so gemacht. Macht nicht so viel Spaß, allein zu spielen, oder?“
Seine Abteilung versteht er als integralen Bestandteil des neuen Wegs, den der HSV beschreiten will. Die Zeiten, in denen der Klub für horrende Summen gestandene Profis einkaufte, sind Vergangenheit. Die Rothosen drücken Verbindlichkeiten von 74 Millionen Euro, die Jahre in der zweiten Liga, eines davon vor Geisterspielkulisse, haben die Möglichkeiten arg eingeschränkt. Es wird auch auf die Ergebnisse des NLZ ankommen, wie sich der Hamburger SV weiterentwickelt. Einen ersten zarten Erfolg kann Hrubeschs Bereich bereits verbuchen. Nachdem im Vorjahr Stephan Ambrosius und Josha Vagnoman den Sprung schafften, dockt jetzt auch Linksaußen Ogechika Heil bei den Profis an. Hrubesch ist überzeugt: „Einer wie Ogi wäre vor zwei Jahren nicht oben angekommen – vielleicht auch nie.“
Doch er ist nicht naiv. Natürlich kann der HSV im Falle des Wiederaufstiegs den Kader nicht allein mit Nachwuchsspielern aufstocken. Dennoch wird die Nachwuchsarbeit bei den Profis neuerdings gesehen und wertgeschätzt. Hrubeschs milde Bilanz ein halbes Jahr nach seiner Rückkehr: „So, wie es hier läuft, ist es von den Profis bis runter zur Fußballschule schlüssig!“
Wie lange er den Job noch macht, ist offen. Offiziell wurde sein Vertrag gerade bis Juni 2023 verlängert – weil auch Jonas Boldts Kontrakt bis dahin läuft. Offenbar ist der Verbleib des Vorstandschefs für ihn die Garantie, dass er sein Ding durchziehen kann. Doch unabhängig von Laufzeiten will Hrubesch die Grundlage für ein nachhaltiges Konzept legen: „Jetzt müssen wir einen großen, kantigen Stürmer wie Simon Terodde noch kaufen, denn wir haben hier keinen“, so der Nachwuchsdirektor, „aber wenn wir den Weg weiter verfolgen, können wir irgendwann, vielleicht erst, wenn ich nicht mehr hier bin, diese Lücke auch mit einem eigenen Jungen füllen.“
Eins aber bereitet Horst Hrubesch Kopfzerbrechen: Wieso er während seiner Zeit als Coach der Frauen erkennen musste, dass Nationalspielerinnen auf dem Platz mit so viel mehr Überzeugung zu Werke gehen als viele männliche Kollegen. Aus Ansprachen an Herrenteams war er gewohnt, ständig Nachfragen zu bekommen, teilweise auch Widerrede, wenn etwas unklar war. Als er seine erste Besprechung bei den DFB-Frauen machte, hatte er den Eindruck, die Spielerinnen würden gar nicht verstehen, was er von ihnen wolle. Reihum blickte er in regungslose Gesichter. Kein Mucks kam aus dem Forum. Doch auf dem Platz entzündete das Team ein Feuerwerk. Hrubesch merkte, dass alle Spielerinnen bemüht waren, jede seiner Vorgaben minutiös umzusetzen. Als es auch beim nächsten Teammeeting ähnlich wortkarg ablief, hatte seine Assistentin Ulrike Ballweg mit dem zusehends ratlosen Coach ein Einsehen: „Horst, wenn wir Frauen etwas verstanden haben, sagen wir nichts. Wenn nicht, dann fragen wir!“
Rückblickend hält er die Zeit bei der Frauen-Auswahl mit für das Beste, was er seiner Laufbahn erlebt hat. Ob Teamgeist, Einsatzwillen oder Opferbereitschaft, jede seiner Vorstellungen wurde von Team übererfüllt. Seit dem HSV von 1983 kam keine Elf seiner Idealvorstellung von innerer Geschlossenheit mehr so nah, dass es schlichtweg keinen Sinn ergibt, dass diese Frauen ein Spiel verlieren. Doch wie erklärt einer mit seiner Erfahrung, dass Frauen stets ans Leistungslimit und teilweise auch darüber hinaus gehen können – und Männerprofis so oft Probleme dabei haben? „Ich kann es Ihnen nicht sagen, warum die Frauen immer hundert Prozent geben. Ist aber so!“, sagt Horst Hrubesch. „Aber Frauen riechen ja auch immer gut – und Männer öfter mal nicht.“
Mit Jonas Boldt will er bald darüber sprechen, inwieweit es sinnvoll ist, wieder ein HSV-Frauenfußballteam in den Wettbewerb zu schicken. Es werden auch wieder Mettbrötchen gereicht.