Heute vor 40 Jahren gewann die Nationalelf in Rom den EM-Titel. Regisseur des deutschen Teams war Bernd Schuster, der im Verlauf der Europameisterschaft zum Weltstar aufstieg. Doch der Titel soll der einzige Erfolg des blonden Engels im DFB-Dress bleiben. Für das 11FREUNDE-Spezial zum Thema „Euro“ blickten wir mit ihm auf drei unvergessliche Wochen in Italien zurück.
Können Sie sich diese Haltung erklären?
Ich glaube, mein Jugendtrainer Ludwig Paula war Schuld daran. Mein Vater ist nach den Spielen mit dem SV Hammerschmiede Augsburg gern in die Kneipe gegangen und hat es krachen lassen. Aber der Paula hat mein Talent erkannt und sehr darauf geachtet, dass ich nicht mit anderen Jugendlichen durch die Gegend schleudere. In unserer Augsburger Diskothek hat der sogar mit beim Besitzer ein Hausverbot für mich erwirkt.
Wie das denn?
Ich war dort mit Freunden Billard spielen, habe mein Spezi getrunken und wollte anschließend nach Hause und wie jeden Samstag „Sport-Studio“ gucken. Aber kaum hatte ich den Queue angesetzt, merke ich, dass hinter mir einer das Ding festhält. Als ich mich umdrehte, stand da der Besitzer und sagte: „Sorry, Bernd, aber Du musst raus. Der Paula hat’s angeordnet!“ Der war eine Vaterfigur für mich, der hat sogar den Vertrag beim FC verhandelt.
Selbst nach dem EM-Titel konnten Sie nicht loslassen, obwohl Sie nach der langen Saison endlich Urlaub hatten?
Nach dem Finale flog ich das erste Mal in meinem Leben in den Urlaub: nach Marbella. Meine Frau hatte dort einen Bekannten, dem das Hotel „Puente Romano“ gehörte, wo Björn Borg seine Hochzeit mit der Tennisspielerin Mariana Simionescu feierte. Da waren wir eingeladen, tolle Sache. Und wissen Sie, was passiert, als ich da am Pool liege?
Nein.
Plötzlich stehen drei Spieler vom FC Barcelona neben mir: „Charly“ Rexach, Asensi und Migueli.
Die zentrale Achse bei Barça in jenen Jahren.
Die machten dort auch Urlaub und wollten mir nachträglich zum Titel gratulieren – und nur drei Monate später waren wir Teamkollegen.
Weil Sie sich in Köln mit dem neuen Trainer Karl-Heinz Heddergott überwarfen, der Ihrer Meinung nach keine Ahnung von Fußball hatte. Sie nannten ihn: „Du Flasche.“
„Amateur“ oder sowas. Aber es war ja auch Wahnsinn, so einen Coach nach Hennes Weisweiler zu holen.
Das Zusammentreffen mit den drei Barça‑Spieler war also ein Zeichen.
Fast wie Vorsehung. Sowas ist mir öfter im Leben passiert. Als ich gerade beim FC Profi wurde, habe ich beispielsweise geträumt, wie ich einen Pokal in den Nachthimmel stemme. Hinterher wusste ich: Das war die Prophezeiung unseres Titelgewinns bei der EM.
Wer Sie reden hört, würde meinen, dass Sie sich im Kreise der Nationalelf sehr wohl gefühlt haben.
1980 hatten wir einen sehr engen Zusammenhalt im Team – was auch daran lag, dass uns niemand etwas zutraute. Eine gute Mischung von guten Jungs. Als ich nach Spanien ging, wurde die Nationalelf sogar ein Stück Heimat für mich. Denn in Katalonien hatte ich anfangs furchtbares Heimweh und war froh, wenn ich zum DFB kam. Aber je länger ich weg aus Deutschland war, desto größer wurde die Distanz.
Im Mai 1981 wurden Sie nach einem Freundschaftsspiel gegen Brasilien vom DFB suspendiert.
Die Nationalelf war meine große Liebe, aber da habe ich mich vom DFB sehr missachtet gefühlt.
Wie meinen Sie das?
Der FC Barcelona wollte mich für das Spiel nicht freigeben, weil wir tags drauf in der Copa del Rey gegen Rayo Vallecano antreten mussten. Also bin ich auf eigene Faust zum Länderspiel nach Stuttgart geflogen, um wenigstens eine Halbzeit gegen Stars wie Socrates, Cerezo und Zico zu spielen.
Nach dem Spiel gab Hansi Müller bei sich in Feuerbach eine Kellerparty, zu der das Team eingeladen war.
Sie können sich vorstellen, dass es ziemlicher Stress für mich war, auch weil spanische Journalisten mir auf den Fersen waren. Dann fuhr der Mannschaftsbus aber nach Spielende direkt zu Hansi nach Hause, was mich ziemlich schockte. Also sagte ich vor der Wohnungstür zu Toni (Schumacher, d.Red.): „Sei mir nicht böse, ich kann da nicht mit. Sag dem Trainer, dass ich ins Bett muss.“ Und bin mit dem Taxi ins Hotel. Aber was dann vorgefallen ist, war der Wahnsinn.
Später sagten Sie, dass wohl auch der Alkohol eine Rolle gespielt habe.
Auf der Feier haben wohl einige Spieler auf den Trainer eingeredet. Jedenfalls rief Derwall in den frühen Morgenstunden bei mir auf dem Zimmer an. Meine Frau hob ab und teilte ihr mit, dass ich zum WM-Quali-Spiel gegen Finnland fünf Tage später gar nicht mehr anreisen müsse.
Ein Rausschmiss per Telefon.
Es hat ihn wohl gekränkt, dass ich ihm nicht persönlich gesagt hatte, was bei mir anliegt. Dennoch hat mich seine Reaktion schwer enttäuscht. Ich hatte doch alles getan, um mich in den Dienst der Mannschaft zu stellen. Warum hat er mir nicht den Rücken gestärkt?
Paul Breitner war beim Testspiel gegen Brasilien in die Nationalelf zurückgekehrt. Rummenigge bildete beim FC Bayern mit ihm ein kongeniales Duo. Schon nach dem EM-Erfolg 1980 sagte er zur Situation in der Nationalelf: „Paul fehlt mir schon.“
Ich glaube, Paul und ich hätten sehr gut harmonieren können. Gute Fußballer verstehen sich – wenn nicht abseits des Rasens, dann zumindest beim Spielen. Aber Paul war einer, der gern den Ton angab. Als er zur Nationalelf zurückkam, rief er Felix (Magath), Hansi und mich zusammen und erklärte uns mit Streichhölzern, wie wir spielen sollten. Das kam nicht nur bei mir komisch an, das ging auch den anderen so.
Wegen des Eklats in Stuttgart verpassten Sie die WM in Spanien, kehrten aber im Herbst 1982 nochmal in die Nationalelf zurück.
Doch das Verhältnis hatte sich verändert. Es gab dann wieder Ärger, als ich ein Länderspiel absagte, weil mein Sohn auf die Welt kam. Heute ist es völlig normal, aber damals fehlte den DFB-Leuten jegliches Verständnis. Ich glaube, mein Pech war, dass ich zu früh dran war. In der Ära Beckenbauer wäre ich besser zurechtgekommen.