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Das vorweg: Jimmy Gre­aves lebt. Ein gemüt­li­cher Groß­vater, der seinen Haar­kranz unter einer labb­rigen Schirm­mütze ver­birgt. Nicht aus Eitel­keit, son­dern um sich keinen Son­nen­brand auf der Glatze zu holen. Trüge er auch noch ein Fern­glas um den Hals, könnte man sich ihn ohne wei­teres auf der Strand­pro­me­nade eines See­bads vor­stellen, wie er seinem Enkel­sohn die am Hori­zont vor­über­zie­henden Tanker zeigt. Er freut sich ganz offenbar über die Jahre, die ihm noch bleiben. Mögen es viele sein. Denen, die hinter ihm liegen, winkt er nach wie den vor­über­zie­henden Tan­kern, freund­lich, wie er ist.

Er soff wie ein Loch

Kaum vor­stellbar, dass dieser urge­müt­liche Mann einmal der beste Stürmer Eng­lands, wenn nicht Europas war, sehnig, pfeil­schnell, blitz­ge­scheit. Dass er mehr als 400 Tore in 600 Spielen schoss, für Tot­tenham, Chelsea, West Ham. Dass er Welt­meister 1966 wurde (wenn auch im End­spiel ver­letzt). Dass er einer der best­aus­se­henden Bur­schen im gesamten König­reich war, ein Beau, der als Wer­be­model jedes Rasier­wasser zum Kas­sen­schlager gemacht hätte. Dass er aber auch soff wie ein Loch, immer mehr, fla­schen­weise, bis ins Deli­rium. Kaum vor­stellbar, dass Jimmy Gre­aves, dieser vitale Opa Bär mit Plauze und Schnauz­bart, längst tot sein müsste.

Er selbst war es, der sich vor dem frühen Ableben bewahrte, indem er sich seine Krank­heit öffent­lich ein­ge­stand. Ich bin Jimmy Gre­aves. Ich bin ein Pro­fi­fuß­baller. Ich bin Alko­ho­liker.“ So beginnt seine hart­ge­kochte Bio­grafie Gre­avsie“, die, 1978 erschienen, erst­mals die Sauf­kultur unter bri­ti­schen Fuß­bal­lern aufs Scho­nungs­lo­seste sezierte. Hier wurde das, was jahr­zehn­te­lang als dritte Halb­zeit“ folk­lo­ri­siert worden war, das obli­ga­to­ri­sche Feucht­fröh­lich­sein im Kreise der Sports­ka­me­raden, als töd­liche Gefahr für das Leben jener Gewohn­heits­trinker dar­ge­stellt, zu denen auch Gre­aves gehörte. Um die Stunden zu über­brü­cken, bis er end­lich den Pub entern konnte, spritzte er sogar Wodka in Orangen, die er in der Umklei­de­ka­bine in sich hin­einfraß. Ein Trick, der schon den Hol­ly­wood­star Errol Flynn ins Grab gebracht hatte.

Wie es eigent­lich kommt, dass so viele bri­ti­sche Profis vor und nach ihm an der Fla­sche hingen, und wie es kommt, dass er den­noch eine solch rasante Kar­riere hin­legte, erklärt Gre­aves in seiner Lebens­beichte nicht. Er ist ein Erzähler, kein Erklärer, seine Geschichte muss als war­nendes Bei­spiel rei­chen.

Aber viel­leicht hängt beides, sein Auf­stieg und sein Fall, ja auf so ein­fache Weise zusammen, dass es da gar nichts mehr zu ana­ly­sieren gibt: Stamm­spieler bei Chelsea mit 17, Tor­schüt­zen­könig und Natio­nal­spieler mit 19, das hun­dertste Ligator mit 21, das zwei­hun­dertste mit 23 – die vielen Biere und das Auf­ge­ho­ben­sein in einer Runde erfolg­rei­cher junger Männer halfen ein­fach, nach der auf­ge­putschten Stim­mung eines wich­tigen Spiels emo­tional wieder run­ter­zu­kommen und die innere Aus­ge­gli­chen­heit wie­der­zu­er­langen.

Abge­sehen von einem kurzen Gast­spiel beim AC Mai­land in der Saison 1961, hatte Gre­aves überall seine Sauf­kum­pane, etwa Peter Sil­lett, seinen Lehr­meister in der drin­king school von Chelsea: Big Peter war einer der her­aus­ra­genden Cha­rak­tere des Teams. Und was für ein Trinker!“, schreibt er in seiner Bio­grafie. Er konnte die Pints ver­senken, als ob am nächsten Tag die Sonne nicht mehr auf­gehen würde.“

Er kramte in der Müll­tonne und lutschte an der leeren Wodka-Fla­sche

Für Sillet ging sie 1998 tat­säch­lich nicht mehr auf, er starb an Krebs. Gre­aves selbst blickte bereits in den Sieb­zi­gern in die ewige Nacht. Nach seinem Kar­rie­re­ende lebte er regel­recht in seinem Stamm-Pub, außer­halb der Öff­nungs­zeiten betrank er sich allein vorm Fern­seher. An einem Sonn­tag­morgen im Februar 1978 goss seine Frau Irene heim­lich allen Wodka, den er im Haus ver­steckt hatte, in den Aus­guss. Als er den Not­stand bemerkte, kroch er im Mor­gen­mantel auf die Straße, kramte in den Müll­tonne und lutschte an der ersten Fla­sche, die ihm in die Hände fiel. Sie war leer. Heu­lend und zit­ternd lag Jimmy Gre­aves, der größte Stürmer seiner Zeit, auf dem Bür­ger­steig vor seinem Haus.

Als er nach ein paar Tagen wieder zu sich kam, beschloss er, ein Buch zu schreiben. Seine Geschichte. Getrunken hat er nie wieder einen Tropfen.